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Vor der Wahl: Emmanuel Macron auf Tuchfühlung mit dem Volk.

Foto: Reuters

Der verblüffende Triumphzug des Emmanuel Macron geht weiter. Nach dem ersten Durchgang der französischen Parlamentswahlen liegt die Bewegung "En Marche" des neuen Staatschefs unangefochten an der Spitze und steuert bei der Stichwahl in einer Woche auf eine klare absolute Regierungsmehrheit zu: Den "Marcheurs" wurden am Sonntagabend gut 400 der 577 Parlamentssitze prophezeit.

Frankreichs Politlandschaft wird damit vollständig zu Gunsten der erst ein Jahr alten Bewegung des ehemaligen Wirtschaftsministers umgepflügt. Das Geheimnis dieses Erfolgs liegt letztlich im tiefsitzenden Paradoxon Frankreichs, das Macron aufzulösen vermochte: Der erst 39-Jährige vereinte die revolutionäre mit der monarchistischen Ader der Nation.

Den Volkszorn über die etablierten Parteien leitete er seit Monaten geschickt – geschickter als seine Gegnerin Marine Le Pen – auf seine eigenen Mühlen: Viele Konservative und Sozialisten wurden am Sonntag in ihren angestammten Wahlkreisen richtiggehend weggefegt; in die Lücke springen teils unbedarfte oder völlig unbekannte En Marche-Novizen.

Eine Revolution ist da in Gang oder, auf Französisch gesagt, "en marche". Bloß münden solche Umstürze in Frankreich mit des Volkes Billigung recht häufig in die konstitutionelle Alleinherrschaft eines Einzelnen – von Napoleon über Charles de Gaulle bis François Mitterrand. Die Verfassung hilft mit: Anders als etwa in Deutschland oder England sind französische Parlamentswahlen nicht etwa der Höhepunkt des demokratischen Lebens, sondern ein Anhängsel der präsidialen "Königswahl" – bestimmt dazu, dem Staatschef eine Mehrheit zu verschaffen.

"Emotionale Leere"

Macron selbst hatte im Jahr 2015 – kurz nach seinem Einstieg in die Politik – erklärt, die Franzosen lebten in einer "emotionalen Leere", nachdem sie ihren König 1793 unter die Guillotine geschickt hatten. Der Jungpräsident macht seit seiner eigenen Wahl vor einem Monat klar, dass er willens ist, die gesamte Machtfülle seines Amtes auszuüben. Er weiß, die Franzosen wollen eine starke Staatsführung. Deshalb blickten sie im Parlamentswahlkampf auch großzügig über die bereits aufgeplatzten Finanzaffären im Macron-Lager hinweg.

Doch wehe, wenn der Präsident die Erwartungen längerfristig enttäuschen sollte: Dann kann sich der Volkszorn rasch gegen den republikanischen Thronfolger wenden. Macrons demokratische Legitimitation ist gar nicht so klar definiert wie es scheint. Und vor allem ist seine Mission, Frankreich wieder auf Kurs zu bringen, höchst diffizil: Die Franzosen wählen zwar gerne Reformer, verweigern dann aber deren konkrete Vorhaben.

Das ist der Kern des Problems: Wenn diese Reformen ausbleiben, wird auch die französische Wirtschaft am Boden bleiben. Und wenn sich Frankreich in den nächsten fünf Jahren nicht wieder aufrichtet, wäre bei den nächsten Präsidentschaftswahlen wohl kein Kraut mehr gegen Le Pen gewachsen. Macron hat deshalb keine andere Wahl als zu reüssieren – für Frankreich, für Europa. Die Revolution von Emmanuel I. darf nicht auf halbem Weg stehenbleiben. (Stefan Brändle aus Paris, 11.6.2017)