Wien – Zehn Kilometer östlich der Stadt Salzburg liegt die idyllische kleine Gemeinde Koppl. Der Salzburg-Ring und die Seen des Salzkammerguts sind nur ein paar grüne Flachgauer Felder entfernt. Seit ein paar Monaten ist der Ort um eine weitere Attraktion reicher. Denn zwischen Gemeindeamt Koppl und der nahegelegenen Bundesstraße liegt die Teststrecke für Österreichs ersten selbstfahrenden Bus.

Teststrecke – das heißt, dass das kleine Gefährt mit den abgerundeten Ecken des französischen Herstellers Navya nicht regelmäßig fährt, sondern Probefahrten nur nach Vereinbarung oder zu bestimmten Gelegenheiten erlaubt. Dann bringt der Digibus, wie man ihn hier genannt hat, seine Passagiere und einen zur Sicherheit anwesenden Fahrer mit einer Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometern ans andere Ende der 1400 Meter langen, zwischen Siedlungen und Feldern gelegenen Strecke.

In Salzburg ist bereits ein selbstfahrender Bus unterwegs.
Foto: APA/Barbara Gindl

Testfahrten auch in Österreich

Kalifornien, Deutschland, Schweden: Projekte zur Erprobung selbststeuernder Fahrzeuge gibt es mittlerweile auf dem ganzen Globus. Seit vergangenen Dezember mit einer entsprechenden Verordnung des Verkehrsministeriums die gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden, nehmen die Roboterautos auch in Österreich Fahrt auf. Neben der Salzburger Testumgebung kommen auch in der Steiermark bald erste Probefahrten auf der Straße.

"Der Minibus kann Strecken abfahren, die man ihm davor gelehrt hat", sagt Karl Rehrl, Leiter des Forschungsschwerpunkts intelligente Mobilität bei Salzburg Research. Das System lernt, indem eine Strecke mit manueller Steuerung per Joystick abgefahren wird und dabei Umgebungsdaten aufgezeichnet werden. In einem aufwendigen Nachbearbeitungsprozess werden die Steuerungsalgorithmen etwa an Kreuzungen und Haltestellen angepasst. Trifft der Digibus auf ein unvorhergesehenes Hindernis, bleibt er stehen. Weitere selbstständige Fahrmanöver sollen erst nach Weiterentwicklungen in den kommenden Jahren möglich sein.

Grafik: Fatih Aydogdu/Text: Daniela Yeoh

Autonomer Zubringer

Die Erfahrungen und Protokolle, die in der bis November laufenden Testphase gesammelt werden, sollen nicht nur technische Erfordernisse für einen möglichen Regelbetrieb mit einem derartigen Fahrzeug klarstellen. Die Salzburger möchten auch herausfinden, wie sich der Roboterbus in ein zukünftiges Mobilitätskonzept einfügen kann. Für Rehrl sind die 1400 Meter nach Koppl eine "Last Mile" – die Lücke zwischen Wohnort und bestehendem öffentlichen Verkehrsnetz. Der Digibus wäre hier ein Zubringer zum Postbus zwischen Salzburg und Bad Ischl, der auf der Bundesstraße verkehrt: "Die Strecke wäre sehr gut für den Regelbetrieb geeignet." Doch bis es so weit ist, ist sowohl technisch als auch rechtlich ein weiter Weg zu überwinden.

Schauplatzwechsel nach Graz. Dort bereiten Entwickler am Grazer K2-Zentrum Virtual Vehicle einen Ford Mondeo auf die ersten Einsätze auf offener Straße vor – keinen gewöhnlichen Ford Mondeo. Das Fahrzeug ist eine offene Forschungsplattform für das autonome Fahren, vollgepackt mit Kamera- und Radarsensoren. Im Gegensatz zum Salzburger Bus soll sich das System nicht nur auf einer vordefinierten Strecke, sondern theoretisch auf allen Autobahnen, später auf jeder Straße zurechtfinden können.

Am Grazer K2-Zentrum Virtual Vehicle werden die ersten Einsätze auf offener Straße vorbereitet.
Foto: Virtual Vehicle

Mit Deep-Learning zum intelligenten Fahrzeug

Mit dem US-Hardwarehersteller Nvidia, der für seine leistungsfähige Grafiktechnologie bekannt ist, sind die Grazer eine strategische Partnerschaft eingegangen. Die Nvidia-Chips übernehmen im Fahrzeug die Echtzeitberechnung eines Umgebungsmodells auf Basis der Kamerabilder. Eine eigene Kamera des vor kurzem vom Chipentwickler Intel übernommenen Kameraspezialisten Mobileye ist zudem nur dafür zuständig, Fußgänger und Radfahrer zu erkennen.

Mithilfe sogenannter Deep-Learning-Methoden werden der künstlichen Fahrzeugintelligenz nun die richtigen Verhaltensweisen für jede erdenkliche Situation im Straßenverkehr antrainiert und in Simulationen und Tests validiert. "Das ist eine zeitintensive Aktivität", betont Daniel Watzenig, der sich bei Virtual Vehicle und am Institut für Elektrische Messtechnik und Messsignalverarbeitung der Technischen Uni Graz mit Sensorik und elektronischen Regelsystemen in Fahrzeugen beschäftigt. "Mit dem Ford Mondeo haben wir bereits Fahrten im Ausmaß von mehr als 10.000 Kilometer simuliert."

Von der simulierten Umgebung wird dann auf den richtigen Asphalt gewechselt. Vorerst finden die Außentests mit dem Ford Mondeo am Campus des Forschungsinstituts und auf Testgeländen der Projektpartner Magna und AVL statt. Später geht es dann auf die Autobahn. "Seit einigen Wochen haben wir die offizielle Testgenehmigung aus dem Verkehrsministerium", berichtet Watzenig. "Wir testen in Kürze auf der A2 zwischen Lassnitzhöhe und Graz-West." Virtual Vehicle nutzt dabei die Test-Infrastruktur Alp.Lab (Austrian Lightvehicle Proving Region for Automated Driving) des steirischen Autoclusters, die vom Verkehrsministerium mit 5,6 Millionen Euro unterstützt wird.

Chauffeur für die Autobahn

In der ersten Ausbaustufe der Außentests mit dem Ford Mondeo stehen "klassische Autobahnszenarien" im Vordergrund, so Watzenig: Überholmanöver, Abstandhalten zum vorderen Fahrzeug. "Ein ,Highway-Chauffeur'-System, das auf Autobahnen autonom steuert, sodass der menschliche Fahrer nur noch auf die Autobahn auf- und abfahren muss, könnte als eine der ersten Assistenzfunktionen in Serie gehen." Sämtliche Daten von Kamera, Radar und anderen Sensoren im Wagen der jeweils letzten 30 Sekunden einer Fahrt müssen übrigens im Speicher gehalten werden – ähnlich einer Blackbox im Flugzeug. Auf diese Art sollen kritische Vorfälle und Unfälle einfach rekonstruiert werden können.

In Salzburg, wo man bereits auf erste Straßenerfahrungen mit dem Digibus zurückblicken kann, wird Zwiespältiges berichtet. "Es gibt eindeutig Defizite und weiteren Forschungsbedarf", sagt Rehrl etwa. "Wir hatten gedacht, dass die Technik bereits weiter ist." Eine der Unsicherheiten liege in der Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern. Ihnen ist oft nicht klar, ob sie vom Fahrzeugsystem erkannt wurden und was dieses bei Überholmanövern oder Kreuzungssituationen tatsächlich machen wird.

Viel positiver sind die Erfahrungen mit den Fahrgästen und ihrem Vertrauen in das Fahrzeug. 320 Personen wurden bereits transportiert, etwa die Hälfte davon hat einen Fragebogen ausgefüllt. "Weit mehr als 90 Prozent fühlen sich demnach in dem Fahrzeug sicher", berichtet Rehrl. "Da herrscht eher die Frage vor: Wann wird der Bus fix fahren?" (Alois Pumhösel, 17.7.2017)