Rasputin mit Präzision an der Waffe: Slayer-Sänger Tom Araya ist nach wie vor stimmgewaltig als Headliner.

Foto: Herbert P. Oczeret

Blink-182-Sänger Mark Hoppus ließ Skater im Unruhestand noch einmal von der Halfpipe träumen.

Foto: Herbert P. Oczeret

Nickelsdorf – Bevor wir zum Gehörten kommen, ein kleiner Exkurs zum Gesehenen: Das Bandana, ein traditionell quadratisches, 60 x 60 Zentimeter großes Tuch, dient nicht nur seit den Achtzigerjahren als Haarfänger und Stirnfaltenstraffer für eitle Glamrockprotagonisten und Sehnenscheidenstütze für Punkrockschrammler, sondern gehört beim Nova-Rock-Festival als Schutz vor den dichten Staubschwaden, die dort an schönen Tagen (und es gibt dort viele davon) übers Gelände ziehen, gewissermaßen zur Überlebensausstattung.

Bemerkenswert auch, dass dieses dankbare Allzwecktüchlein trotz kindischer Versuche der Totenkopfindustrie, es mit Jolly Roger zu versehen, noch immer überwiegend in seiner althergebrachten Variante mit dem floralen Paisleymuster getragen wird. Benannt nach der schottischen Stadt Paisley, in der das ikonische Tuch im 19. Jahrhundert industrialisiert hergestellt wurde, liegen die Wurzeln des Musters in Persien und Indien. Ha!

Was gut zu wissen ist, kann man aber auch schnell wieder vergessen. Zum Beispiel auf dem Nova-Rock-Campingplatz, wo sich die Liveband eines deutschen Jägerlikörherstellers zuweilen mit dem Folgetonhorn des Notarztwagens mischt und man sich darüber wundert, dass dem Edding auf der Haut auch mit Hakle feucht nicht richtig beizukommen ist. Solcherart seiner Würde beraubt, meidet man auch lieber die an diesem Nachmittag auf den Bühnen stark vertretene Schreihals-Metal-Gemeinde und nähert sich den unverfänglichen, weil mit Selbstironie angefütterten Me First and the Gimme Gimmes.

Erinnerungsmaschinen im weißen Anzug

Als Stammgast im hiesigen Festivalzirkus kokettiert die seit 1995 bestehende Coverband, die sich als Supergroup aus Mitgliedern von NOFX, Foo Fighters oder Lagwagon zusammensetzt, damit, auch schon einmal weiter westlich aufgespielt zu haben: Hello Sankt .. Sankt wie? Egal! Wie jede anständige Coverband mit Geltungsdrang tritt man im weißen Alleinunterhalter-Anzug auf. Als Erinnerungsmaschine werden Songs aus 60 Jahren Popgeschichte in Punkmanier auf die Bühne gebracht. Ohne Scheu spannt man den Bogen von "Heroes" bis "Uptown Girl" und noch viel, viel weiter.

Während die Nullerjahre-Bands Mastodon und Alter Bridge härtere Metal-Gangart der Gegenwart vorführten, gaben sich Good Charlotte vergleichsweise schwachbrüstig als letzte Überbringer einer untergegangenen MTV-Ära zu erkennen: Die Nummern "I Just Wanna live" und "Lifestyles of the Rich and Famous" finden als käsige Ausläufer des Highschool-Punk noch immer ungeteilten, wenn auch leicht verschämten Zuspruch.

Kaputte Kreuz- und stramme Stimmbänder

Mehr Bekenntnisfreude gibt es zu den ernsthafteren Kollegen von Blink 182, die immerhin zwei Generationen von Rollbrettfahrern mit weiten Hosen auf dem Discman und MP3-Player durchs junge Leben begleiteten. Heute sind die Kreuzbänder zwar hin und die Hosen wieder enger, auf Blink wäre allerdings, wie auf dem jüngsten Nummer-eins-Album "California" (2016) zu hören, noch immer Verlass. Veränderung macht schließlich Angst, und Angst ist nicht lustig.

So richtig furchteinflößend kommen auch die älteren Herren der Metal-Gottheit Slayer nicht mehr daher. Als gutmütig gestimmter Rasputin spult Sänger Tom Araya seine textlichen Kriegserklärungen heute mit ironischer Distanz herunter, ohne stimmlich in knapp 40 Jahren Bühnenpräsenz gravierend abgebaut zu haben. Auch der legendäre Gitarren- und Schlagzeugartilleriebeschuss, der in seiner technischen Versiertheit dereinst selbst Jazzkritikern lobende Worte abgerungen hatte, findet präzise sein Ziel. Ohne viel Bühnenschnickschnack, der letztlich bei jungen wie ergrauten Bands allzu oft über musikalische Schwäche hinwegtäuschen soll, stehen Slayer nach wie vor völlig zu Recht am oberen Ende von Festivalprogrammen. Gut gekämpft, alter Mann! (Stefan Weiss, 16.6.2016)