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Angespanntes Verhältnis, freundliche Worte: Der türkische Premier Yıldırım (links) wünscht von Tsipras die Auslieferung von acht Soldaten.

Foto: Reuters / Costas Baltas

Die 26. Strafkammer für schwere Straftaten hat schon viel Erfahrung in der Verurteilung von Regierungskritikern. Am Montag aber betrat das Gericht im größten der Istanbuler Justizpaläste Neuland: Unter großem internationalen Interesse begann ein weiterer Prozess gegen namhafte türkische Journalisten. Einem Teil von ihnen wirft die Staatsanwaltschaft vor, "unterschwellige Botschaften" verbreitet zu haben. In den nächsten Wochen und Monaten wird sich das Gericht also mühen, die psychologische Dimension von Leitartikeln in Zeitungen und von Diskussionsbeiträgen in Fernsehrunden auf ihre angebliche Gefährlichkeit hin auszuloten.

Vor allem Ahmet Altan, Schriftsteller und einst Chefredakteur der mittlerweile geschlossenen Tageszeitung "Taraf", soll mit seiner Kolumne "Kum Saati" – die Sanduhr – solche "sublimen Botschaften" in die türkische Bevölkerung gesandt haben. In einer von seinem Bruder Mehmet moderierten Talkshow hätte Ahmet Altan nur einen Tag vor dem Putsch vom 15. Juli 2016 etwa das Signal für den Staatsstreich gegeben. Die NGO Reporter ohne Grenzen spricht von einer "neuen Ebene in der wachsenden Absurdität der Anklagen", die in der Türkei gegen Journalisten geführt würden.

Den Brüdern Altan, der viel gelesenen Kolumnistin Nazlı Ilıcak, einer ehemaligen Parlamentsabgeordneten der Ende der 1990er-Jahre verbotenen islamistischen Tugendpartei, und Chefredakteur und Herausgeber der ebenfalls eingestellten Tageszeitung "Zaman" – sie haben sich in die USA abgesetzt – drohen dreimal lebenslange Haftstrafen. Insgesamt 17 Journalisten sind in diesem Prozess der "Komplizenschaft" mit den Putschisten angeklagt.

Nur Andeutungen

Von der Justizkampagne gegen Regierungskritiker ist am Montag beim Besuch des türkischen Premiers Binali Yıldırım in Athen allenfalls andeutungsweise die Rede. Der linksstehende griechische Regierungschef Alexis Tsipras erwähnt die Notwendigkeit "demokratischer Reformen" und die Lösung der Kurden-Frage, als er ein ums andere Mal die Unterstützung seines Landes für den EU-Beitritt der Türkei bekräftigt. Yıldırım wiederum, der pro forma die Regierung für den türkischen Staatschef Tayyip Erdoğan leitet, spricht von einer "neuen Vision" und einem "neuen Beginn" mit der EU, den die Türkei wolle.

Ein Journalist der regierungsnahen türkischen Tagezeitung "Milliyet" stellte bei der anschließenden Erklärung vor der Presse eine Frage nach den acht Soldaten, die Griechenland nicht an die Türkei ausliefert. Die acht hatten sich am Morgen nach dem Putsch mit einem Hubschrauber nach Alexandroupolis unweit der Grenze abgesetzt. Tsipras verwies erwartungsgemäß auf die Unabhängigkeit der griechischen Justiz und lenkte dann auf das Thema der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus über.

Politisch belasten die Nichtauslieferung der Soldaten und die Flucht – laut türkischen Medien – von angeblich 410 weiteren Armeeangehörigen nach Griechenland die Beziehungen beider Länder. Der massive Anstieg militärischer Flüge über griechische Inseln und die Verletzung der Seehoheit durch die türkische Marine seit einem Jahr dürften hierin ihren Grund haben. Dokumentierte Berichte über eine geheime Zurückweisung türkischer Flüchtlinge über die Landesgrenze in die Türkei im Mai und Juni wies die griechische Regierung zurück.

Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, setzte am Montag den fünften Tag in Folge seinen Fußmarsch von Ankara nach Istanbul fort. Kılıçdaroğlu will damit gegen die Verurteilung eines CHP-Parlamentariers zu 25 Jahren Haft protestieren. Staatschef Erdoğan drohte wiederum dem Oppositionsführer mit der Justiz wegen Unruhestiftung. (Markus Bernath aus Athen, 19.6.2017)