Die österreichweiten Gesamtausgaben für die Mindestsicherung überschritten im Vorjahr erstmals eine Milliarde Euro. In Wien, wo der Großteil der Bezieher lebt, wurden fast zwei Drittel der Gesamtausgaben ausbezahlt.

Grafik: Der Standard
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Wien – Die Stadtregierung hat bei ihrer Reform der Mindestsicherung auf finanzielle Einschnitte für bestimmte Bezugsgruppen verzichtet. "Nicht die Armen, sondern die Armut wollen wir bekämpfen", machte Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) bei der Präsentation am Dienstag keinen Hehl daraus, hinter der Einigung nach mehr als acht Monaten Verhandlungen zwischen SPÖ und Grünen zu stehen.

Zuletzt ist in Wien vor allem die Zahl von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten, die Mindestsicherung beziehen, gestiegen. Von 2015 auf 2016 nahm die Anzahl um mehr als 10.000 zu. Bundesländer wie Oberösterreich, Niederösterreich und das Burgenland reagierten mit Kürzungen oder Wartefristen, die auf diese Bezugsgruppen abzielten.

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Eine Unterscheidung zwischen österreichischen und nichtösterreichischen Beziehern – darunter eben auch Asylberechtigte – wollte Häupl für Wien nicht treffen. Er berief sich nicht nur auf geltendes österreichisches Recht. "Ich fühle mich auch moralisch dazu verpflichtet", sagte er.

Dass Mindestsicherungsbezieher aus anderen Bundesländern, die von Kürzungen betroffen sind, wie in den vergangenen Monaten auch weiterhin vermehrt nach Wien kommen, müsse man laut Häupl "in Kauf nehmen". Die ÖVP habe eine bundeseinheitliche Lösung "zerstört".

Arbeitsanreize verstärken

Das Modell der Wiener Mindestsicherung (WMS) zielt darauf ab, Arbeitsanreize für Bezieher zu verstärken und sie zurück in den Arbeitsmarkt zu führen. Im Fokus sind vor allem 18- bis 25-Jährige: Sie erhalten nach vier Monaten keine Ergänzungsleistungen mehr und weniger, wenn sie Kursangebote zur Aus- und Weiterbildung oder eine Beschäftigung nicht annehmen. Dies war bereits bisher gängige Praxis. Für die Vermittlung wird eine Anlaufstelle in Kooperation zwischen AMS und MA 40 (Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht) geschaffen.

Zudem erhalten die jungen Bezieher künftig nur noch dann den vollen Betrag von 837,76 Euro, wenn sie nicht mehr im Haushalt der Eltern leben. Bisher bekommen über 21-Jährige auch den vollen Richtsatz, wenn sie keine eigene Wohnung haben.

Reform tritt Anfang 2018 in Kraft

Tritt die Reform wie geplant Anfang 2018 in Kraft, erhalten 18- bis 25-jährige Bezieher ohne eigenen Haushalt 75 Prozent des Richtsatzes, befinden sie sich weder in Ausbildung noch in Schulung oder Beschäftigung, nur 50 Prozent. "Es geht um die Perspektive und ums Angebot", sagte Sozialstadträtin Sandra Frauenberger. "Und wir verknüpfen es mit Mitwirkung." Das Ziel sei es, bis 2020 10.000 junge WMS-Bezieher aus der Mindestsicherung zu holen.

Zudem soll der Anreiz für WMS-Bezieher, mehr Stunden zu arbeiten oder länger in Beschäftigung zu bleiben, mit einer einmaligen Extrazahlung belohnt werden, sagte die grüne Gemeinderätin Birgit Hebein. Sonderzahlungen für Dauerleistungsbezieher mit befristeter Arbeitsunfähigkeit werden gestrichen und in Sachleistungen umgewandelt: Sie sollen Zugang zur gesundheitlichen Unterstützung durch die Gebietskrankenkasse haben. Der Bezug aller anderen Dauerleistungsbezieher bleibt unverändert.

Die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou wies auch auf die Möglichkeit hin, dass künftig bei Familien die Auszahlung auf zwei Konten möglich sei – was eine mögliche Benachteiligung von Frauen verhindere.

Wien steuert zwei Drittel zu Gesamtausgaben bei

2016 wurden für die Mindestsicherung in Wien 659,2 Millionen Euro ausbezahlt – nach STANDARD-Recherchen fast zwei Drittel der österreichweiten Gesamtausgaben in Höhe von 1,02 Milliarden Euro (siehe Grafik links).

Heuer rechnet Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ) mit 700 Millionen. Die Summe dürfte eher nicht halten, wurde von Frauenberger angedeutet. Die Reform der Mindestsicherung in Wien "ist kein Sparkpaket", sagte sie. "Bei den Schwächsten zu kürzen ist keine Heldentat." (David Krutzler, 21.6.2017)