"Ich habe auch deswegen so wenige Bewerbungen geschrieben, weil ich immer Angst hatte, nicht eingeladen zu werden. Diese Periode hat sehr an mir gezehrt. Wichtig ist dann, sich durch andere Aktivitäten Anerkennung zu verschaffen, Sport zu treiben oder Freunde zu treffen", sagt Ulrike Schneeberg.

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Schneeberg gibt mittlerweile Coachings zum Berufseinstieg. Wir haben sie gefragt: Sind Geisteswissenschafter idealistischer? Und was hilft bei der Jobsuche?

Konkurrenzdruck und unklare Berufsbilder erschweren die Jobsuche für Geisteswissenschafter und Geisteswissenschafterinnen. Damit hat Ulrike Schneeberg, die Literaturwissenschaften und Amerikanistik studierte, selbst Erfahrungen gemacht. Über ihre Suche hat sie nun ein Buch geschrieben, das kürzlich im Marta-Press-Verlag erschienen ist. Darin kommen 25 weitere Geisteswissenschafter zu Wort. Im Interview erklärt Schneeberg, warum ihr die Praxisferne an Unis im Nachhinein fatal erscheint – sich ein geisteswissenschaftliches Studium aber dennoch auszahlt. Entscheidend bei der Jobsuche: mögliche Ablehnung nicht zu scheuen. "Und sich vor allem nicht verunsichern zu lassen von Vorstellungen, wie es laufen muss."

STANDARD: Die Katastrophe ausrufen oder den Kopf in den Sand stecken: Das sind meist die Extreme, wenn es um die Jobsuche nach einem geisteswissenschaftlichen Studium geht. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Schneeberg: Ich hatte nicht sofort Erfolg. Über eine Netzwerkveranstaltung bin ich dann für ein halbes Jahr in einem Social Start-up gelandet. Man weiß seltener über die Möglichkeiten Bescheid. Die gibt es aber sehr wohl.

STANDARD: Auch Zahlen zeigen, dass es bei fast allen schlussendlich funktioniert. Warum ist der Pessimismus dennoch so groß?

Schneeberg: Wir Menschen neigen dazu, das Negative eher wahrzunehmen als das Positive – obwohl es oft gar nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Wir hören ein Vorurteil und fühlen uns durch einzelne Geschichten aus dem Bekanntenkreis bestätigt. Aber eines ist schon klar: Das Berufsbild ist für Geisteswissenschafter eben nicht vorgezeichnet.

STANDARD: Für Ihr Buch haben Sie 25 interviewt. Was arbeiten sie?

Schneeberg: Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe mit einer Sales- und Projektmanagerin bei Philips gesprochen, einem Gründer einer Firma, die Radarmodule für die Bergbauindustrie entwickelt, einem Mitarbeiter bei einem Start-up für Fahrradlogistik. Das sind eher unerwartete Berufsfelder. Aber natürlich sind auch klassischere Berufe für Geisteswissenschafterinnen und Geisteswissenschafter im Buch vertreten: Ich habe mit einer Lektorin gesprochen, einem Literatur-PR-Agenten, einer Journalistin, einem Poetry-Slammer und Autor, einem Stiftungsreferenten und einem Wissenschaftsmanager an einer Uni.

STANDARD: Spoiler: Alle Interviewten sind glücklich mit dem, was sie machen.

Schneeberg: Vielleicht habe ich das auch deswegen so drastisch erlebt, weil ich die Stimmung von Leuten an der Uni, die den Berufseinstieg noch vor sich haben, kenne. Die ist, wie Sie gesagt haben: sehr bedrückt, sehr resigniert. Als ich dann also mit Menschen zu tun hatte, die schon im Beruf stehen, war mein Eindruck, dass alles gar nicht so dramatisch ist. Die meisten sind glücklich oder zumindest sehr zufrieden mit ihrer Arbeit. Sie empfinden sie im Großen und Ganzen als sinnvoll.

STANDARD: Meinen Sie, Geisteswissenschafter haben eher als andere den Anspruch, im Job glücklich zu sein?

Schneeberg: Nein, das glaube ich nicht. Aber wenn Sie nach Unterschieden fragen, habe ich beobachtet, dass sich Geisteswissenschafter schwerer damit tun, in die Wirtschaft einzusteigen. Der Grund: Sie sind eher systemkritisch als beispielsweise BWL-Absolventen oder Ingenieure. Da herrscht eine große Skepsis gegenüber dem Arbeitsmarkt als System. Da ist weniger Pragmatismus als in anderen Fachrichtungen.

STANDARD: Und mehr Idealismus?

Schneeberg: Vielleicht auch mehr Idealismus. Aber auch teilweise Resignation, wenn man die Erfahrung macht, dass der Idealismus im "echten Leben" außerhalb der Uni nicht so einfach umzusetzen ist.

STANDARD: Den Universitäten wird oft vorgeworfen, sie seien Elfenbeintürme.

Schneeberg: Den Eindruck habe ich auch. Ich hätte es sehr schön gefunden, wenn an der Uni eine Brücke zur Außenwelt geschlagen worden wäre. In puncto Transfer zum Beruf können sich die Unis mehr an Fachhochschulen orientieren. Da gibt es Nachholbedarf.

STANDARD: Was müsste passieren?

Schneeberg: Das Konzept von dualen Studien finde ich interessant: Da wird eine praktische Ausbildung im Betrieb mit einer theoretischen an der Uni verknüpft. Vielleicht könnte man so etwas auch in den Geisteswissenschaften einrichten. Ein Studium, verknüpft mit der Arbeit in einer Kommunikationsabteilung oder in einem Verlag.

STANDARD: Was können Absolventen dennoch in eine Organisation einbringen?

Schneeberg: Was ihnen ihr Studium für ihren Job bringt, habe ich auch meine Interviewpartner gefragt. Manche haben vor allem die relativ freie Form des Studierens hervorgehoben: Sie haben gelernt, mit Eigeninitiative und Disziplin ein Ziel zu verfolgen. Andere haben gesagt, dass sie gelernt haben, komplexe Probleme und Texte zu analysieren, was ihnen nun hilft. Auch der offene und kritische Blick, den man bekommt, wurde genannt. Das sind Fähigkeiten, die in vielen Branchen wichtig sind.

STANDARD: Sie haben Ihren jetzigen Job über ein Interview für dieses Buch bekommen. Sich Extraprojekte zu suchen: eine Strategie, die Sie empfehlen?

Schneeberg: Nicht jeder muss ein Buch schreiben, um einen Job zu finden. Das wäre nicht besonders sinnvoll. Aber ich denke, dass es schon klug ist auszuprobieren, die Zeit der Jobsuche zu nutzen für Dinge, die einem Spaß machen. So lernt man auch Leute kennen, die ähnliche Interessen haben. Kontakte knüpfen ist wichtig. Das geht übrigens auch bei Podiumsdiskussionen, Netzwerkveranstaltungen, Karrieremessen. Aber auch Xing oder Linkedin kann man dazu verwenden.

STANDARD: Wie das funktioniert, hat sich mir nie wirklich erschlossen.

Schneeberg: Sie können Menschen, die in einem für Sie spannenden Bereich arbeiten, einfach zu einer speziellen Frage kontaktieren. Damit mache ich regelmäßig wirklich gute Erfahrungen. Leute sind immer offen und freuen sich, dass man sich für sie interessiert.

STANDARD: Was tut man, damit das Selbstbewusstsein während der Jobsuche nicht leidet?

Schneeberg: Ich habe auch deswegen so wenige Bewerbungen geschrieben, weil ich immer Angst hatte, nicht eingeladen zu werden. Diese Periode hat sehr an mir gezehrt. Wichtig ist dann, sich durch andere Aktivitäten Anerkennung zu verschaffen, Sport zu treiben oder Freunde zu treffen. Und sich vor allem nicht verunsichern zu lassen von Vorstellungen, wie es laufen muss. Man sollte sich ganz bewusst Ängsten stellen. Schließlich kann man von seinen Ängsten, von seinen "Monstern", sehr viel lernen, wenn man sie sich mal richtig anschaut. (Lisa Breit, 28.6.2017)