Berlin – Nach dem Schwenk der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Ehe für alle wird es noch in dieser Woche eine Parlamentsabstimmung dazu geben. Dies kündigte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Dienstag in Berlin an. Parteichef Martin Schulz hatte zuvor angedeutet, dass die SPD in dieser Frage zu einem Koalitionsbruch bereit wäre. Das Votum "wird diese Woche passieren", sagte Oppermann.

Die SPD werde dafür sorgen, dass ein Antrag der rheinland-pfälzischen Landesregierung aus dem Bundesrat zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare im Bundestag zur Abstimmung gebracht werde, sagte Schulz. Er äußerte die Hoffnung, "dass die Kollegen der Union dabei mitziehen werden. Ansonsten wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion heute Nachmittag in ihrer Sitzung die weiteren prozeduralen Schritte beschließen und einleiten".

Die SPD reagierte mit ihrem Schritt auf die Ankündigung von Kanzlerin Merkel, bei einem Votum über die "Ehe für alle" den Fraktionszwang aufheben zu wollen. Allerdings will die Union erst nach der Bundestagswahl im September darüber abstimmen lassen. SPD, Grüne und Linke haben im Bundestag eine knappe Mehrheit, doch hatten die Sozialdemokraten bisher aus Koalitionsdisziplin davon abgesehen, Vorstöße zur Einführung der "Ehe für alle" zu unterstützen.

#Ehefueralle

Nach den überraschenden Äußerungen der deutschen Kanzlerin hatten mehrere Abgeordnete gefordert, eine von Angela Merkel ins Gespräch gebrachte "Gewissensentscheidung" im Bundestag noch vor der Wahl zu ermöglichen. Politiker von SPD und Grünen pochten auf eine Abstimmung in dieser Woche, ähnlich äußerten sich ein CDU-Parlamentarier und zahlreiche Twitter-Nutzer.

In sozialen Netzwerken war die #Ehefueralle in der Nacht zum Dienstag ein vieldiskutiertes Thema. "Merkel will erst in nächster Wahlperiode frei über die Ehe für alle entscheiden lassen? Warum? Wir können diese Woche abstimmen. Auf geht's!", twitterte der gleichstellungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sönke Rix. Gleiches forderten mehrere Grünen-Politiker, die Parteivorsitzende Simone Peter schrieb in dem Kurznachrichtendienst: "Wir warten auf die politische Initiative, nachdem die Ehe für alle letzte Woche im Bundestag zum 30. Mal vertagt wurde!"

Merkel rückte von Nein ab

Merkel sagte am Montagabend in Berlin, sie wünsche sich eine Diskussion, die "eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht". Bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag ohne Fraktionszwang gilt eine Mehrheit für die Ehe für alle als sicher. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa hat Merkel die Linie mit CSU-Chef Horst Seehofer abgesprochen.

Die Union hatte die völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften bisher abgelehnt. SPD, Grüne und FDP machen sie zur Bedingung für eine Koalition – und auch in Teilen der CDU gibt es Zustimmung: So schrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann kurz nach Merkels Äußerungen auf Twitter: "Danke, Angela Merkel! Wie befreiend! Von mir aus könnten wir gerne noch diese Woche abstimmen!"

Die Spitze der CDU/CSU-Fraktion hat sich am Dienstag allerdings gegen eine rasche Abstimmung über die völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften noch vor der Bundestagswahl im September ausgesprochen. "Es besteht keine Notwendigkeit für eine überstürzte Entscheidung", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, am Dienstag in Berlin.

Man sei sich bisher mit der SPD einig gewesen, in dieser Legislaturperiode bei diesem Thema keine Entscheidung zu treffen. In der nächsten Wahlperiode müsse bei dem Thema eine seriöse Entscheidung gefunden werden, sagte Grosse-Brömer. Beispielsweise seien auch verfassungsrechtliche Fragen offen.

FDP und Grüne begrüßen Vorstoß

In Deutschland haben Liberale und Grüne den Schwenk der Bundeskanzlerin begrüßt. "Die Ehe für alle Paare ist eine Selbstverständlichkeit in anderen europäischen Ländern, und die sehr überwiegende Mehrheit der Deutschen in allen Umfragen sieht das genauso", sagte FDP-Chef Christian Lindner am Dienstag im Sender RBB.

"Wer wirklich Gleichheit will, macht jetzt den Weg frei für die Abstimmung über die Ehe für alle", sagte die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast, am Dienstag. Ihr Fraktionskollege Volker Beck stieß ins gleiche Horn. "Lassen Sie die Bevölkerung nicht länger warten, und ersparen Sie uns allen einen erneuten Wahlkampf zu dem Thema."

"Nachdem die Bundeskanzlerin nun den Weg geöffnet hat für die Aufhebung des Fraktionszwangs, wäre es doch eine Posse, am Mittwoch im Rechtsausschuss die drei vorliegenden Gesetzesentwürfe zum 31. Mal zu vertagen", sagte Künast. Es liegen Gesetzesentwürfe von den Grünen, den Linken und des Bundesrats zur Einführung der Ehe für alle vor.

Die Gesetzesentwürfe liegen teils seit Jahren beim zuständigen Rechtsausschuss des Bundestags und wurden häufig vertagt. Die Union lehnt die Ehe für alle bisher ab. Vor einer Woche waren die Grünen vor Gericht damit gescheitert, den Bundestag zu einer Abstimmung über die Einführung der sogenannten Homo-Ehe zu zwingen.

"Für mich ist klar, wir müssen die Gunst der Stunde nutzen: Die Ehe für alle muss in dieser Woche kommen", sagte der SPD-Abgeordnete Marco Bülow. "Daher initiiere ich dazu einen Gruppenantrag, der offen ist für alle Fraktionen." Gesetzen, die nicht mehr in dieser Woche beschlossen werden, droht durch die Bundestagswahl am 24. September und anschließende Koalitionsverhandlungen eine lange Verzögerung. (APA, Reuters, 27.6.2017)