Lindau – Gebärmutterhalskrebs ist immer noch eine häufige Todesursache von Frauen. Dass humane Papillomaviren (HPV) bei der Entstehung dieser Krebsart eine wesentliche Rolle spielen, konnte der deutsche Mediziner Harald zur Hausen in den 1980er-Jahren nachweisen. Bei HPV handelt es sich um eine Gruppe von DNA-Viren, mit der sich praktisch alle Menschen im Laufe ihres Lebens anstecken – bei den meisten bleibt die Infektion folgenlos, bestimmte Typen können aber zu Krebs führen. Für seine Forschung dazu wurde zur Hausen 2008 mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet. Auf seinen Erkenntnissen beruhen die heutigen HPV-Impfungen. In Österreich bekommen neun- bis zwölfjährige Mädchen und Buben die Impfung kostenlos.

Bei der Nobelpreisträgertagung, die vergangene Woche in Lindau am Bodensee stattfand und unter anderem vom Österreichischen Wissenschaftsministerium gefördert wurde, trug zur Hausen über ein weiteres Forschungsgebiet vor, dem er sich aktuell widmet: die Rolle von Rindfleischverzehr bei der Entstehung von Krebs.

STANDARD: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dass HPV hinter der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs stehen könnte?

Zur Hausen: Im Wesentlichen auf der Basis der Epidemiologie (Disziplin, die sich mit Krankheitsfällen in der Bevölkerung beschäftigt; Anm.), die schon seit 1842 angezeigt hatte, dass der Gebärmutterhalskrebs offenkundig etwas mit Sexualkontakt zu tun hat. Es ist dabei über lange Zeit nach Infektionen gesucht worden, vor allem zu übertragbaren Geschlechtskrankheiten wie Syphilis. Doch es konnten keine überzeugenden Befunde gefunden werden. Ende der 1960er-Jahre kamen erste Spekulationen auf, dass Herpesviren eine Rolle spielen könnten. Gelegentlich – wenn auch selten – werden genitale Warzen bösartig. Wir haben elektronenmikroskopisch die typischen Papillomviruspartikel in diesen Warzen gesehen. Ich spekulierte dann, dass diese Viren möglicherweise an einer anderen Stelle, nämlich am Gebärmutterhals, pathogen werden könnten, sprich zur Entstehung von Krebs beitragen.

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Medizinnobelpreisträger Harald zur Hausen erforscht aktuell die Rolle von Rindfleischverzehr bei der Entstehung von Krebs.
Foto: EPA/Cereijido

STANDARD: Wie ist Ihnen der Nachweis schließlich gelungen?

Zur Hausen: Es waren sehr intensive und lange Bemühungen, diese Viren zu charakterisieren. Das gelang erst so richtig sieben Jahre später, das war 1979 – da haben wir das virale Erbgut in genitalen Warzen charakterisiert. Dabei haben wir gesehen, dass es eine Vielzahl an unterschiedlichen Typen von Warzenviren gibt. Dann kam allerdings die große Enttäuschung: Wir haben zunächst keine Genitalwarzenviren in Krebsgeschwüren am Gebärmutterhals gefunden. Wir haben aber noch ein anderes Virus, das nahe mit den genitalen Warzenviren verwandt ist, gefunden. Und dabei hatten wir mehr Glück. Aus den ersten Resultaten, die wir 1983 veröffentlicht haben, ging hervor, dass humane Papillomaviren vom Typ 16 und 18 häufig zu Krebs führen können. Weltweit wurden diese Ergebnisse rasch bestätigt, und mittlerweile ist der Wissensstand dazu ziemlich weit vorangekommen.

STANDARD: Gab es beim Nachweis auch Überraschungen?

Zur Hausen: Jeder neue Typ war eine gewisse Überraschung. Natürlich freuten wir uns, dass wir mit diesen beiden HPV-Typen etwa 70 Prozent der Gebärmutterhalskrebsfälle abdecken konnten. Weiters entdeckten wir, dass zwei spezifische Gene dabei eine wichtige Rolle spielten: Die Expression dieser Gene (In-Erscheinung-Treten der genetischen Information; Anm.) ist die notwendige Voraussetzung für die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs.

STANDARD: Wie läuft der Prozess ab, durch den eine HPV-Infektion zu Gebärmutterhalskrebs führt?

Zur Hausen: Was wir ziemlich genau wissen, ist, dass zwischen dem Auftreten von HPV und dem Entstehen von Gebärmutterhalskrebs 15 bis 30 Jahre vergehen. In dieser Zeit wird das Erbgut der Viren meist in das Erbgut der Zellen aufgenommen. Es verbleibt dort und ist für sich selbst nicht in der Lage, Krebs zu erzeugen, sondern es müssen erst noch Veränderungen an den Genen in der Zelle stattfinden. Normalerweise halten die Gene das Viruserbgut in Schach. Nur wenn diese Gene ausfallen, entsteht Krebs. Das kann durch Mutation entstehen oder durch Anlagerung von Methylgruppen (häufig auftretende Atom-Anordnung; Anm.). Durch diese Veränderungen können Gene zum Schweigen gebracht werden. Klar ist: Es gibt keine Infektion, die allein in der Lage ist, Krebs auszulösen. Es braucht noch andere Zutaten.

STANDARD: Bei welchem Anteil der HPV-Infizierten kommt es schließlich zu Krebs?

Zur Hausen: In Deutschland haben wir dafür sehr zuverlässige Daten: Bei etwa einem Prozent der HPV-Infizierten kommt es zu Gebärmutterhalskrebs. Deutschland ist ein Land, wo einigermaßen Vorsorge betrieben wird, indem Vorstufen von Krebs entfernt werden. In Entwicklungsländern, wo keine Vorsorgeuntersuchungen stattfinden, liegt der Anteil von Krebsfällen wahrscheinlich im Bereich von fünf bis sechs Prozent – wir haben dazu aber keine sicheren Daten.

STANDARD: Sie haben sich schon früh für HPV-Präventionsimpfungen eingesetzt. Seit einigen Jahren sind solche Impfungen in Europa zugelassen. Wie beurteilen Sie die aktuelle HPV-Impfpolitik?

Zur Hausen: Die HPV-Impfungen haben eine sehr komplizierte Geschichte, und in den meisten Ländern sind wir immer noch nicht beim gewünschten Ergebnis. In Österreich hat es lange gedauert, bis diese Dinge gut liefen. Österreich hat eine völlige Kehrtwende gemacht: Es ist jetzt eines der aktivsten Länder weltweit, was die HPV-Impfungen betrifft, zuvor war es in diesem Punkt eines der rückständigsten Länder. Mit der deutschen Impfpolitik bin ich dagegen nicht zufrieden – es passiert zu wenig. In den meisten Bundesländern werden nur knapp 40 Prozent der entsprechenden Altersgruppe geimpft. Ein wesentlicher Punkt ist für mich, dass die Burschen genauso geimpft werden müssen wie die Mädchen, denn in der Regel haben Männer zwischen 15 und 40 Jahren mehr Sexualpartner als Frauen. Sie sind die Hauptüberträger des Virus. Darüber hinaus kann HPV neben Gebärmutterhalskrebs auch verschiedene andere Krebssorten auslösen, die bei Männern häufiger auftreten als bei Frauen, etwa Rachen- oder Analkrebs. Nur wenn auch Männer flächendeckend geimpft werden, ist es theoretisch möglich, diese Viren auszurotten.

STANDARD: Geschlechtsverkehr ist bei weitem die häufigste Übertragungsform von HPV – gibt es noch andere Möglichkeiten?

Zur Hausen: Theoretisch ja, praktisch kaum. Fast alle Infektionen werden auf dem Sexualweg übertragen. Theoretisch kann man HPV auch über andere Wege bekommen, aber die Anhaltspunkte dafür sind ziemlich dünn. Gelegentlich bekommen neugeborene Babys von infizierten Müttern das Virus übertragen. Aber da diese Viren durch weibliche Geschlechtshormone stimuliert werden, die bei Babys aber kaum produziert werden, werden diese HPV in aller Regel sehr schnell wieder los.

STANDARD: In China werden derzeit klinische Studien zur Therapie von Gebärmutterhalskrebs durch das molekularbiologische Werkzeug CRISPR/Cas9 vorbereitet – was erwarten Sie davon?

Zur Hausen: Wenn das funktionieren würde, wäre das toll. Aber im Augenblick sind wir, denke ich, noch weit davon entfernt. Prävention kann dadurch jedenfalls nicht ersetzt werden.

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Fast alle Menschen stecken sich im Laufe ihres Lebens durch Geschlechtsverkehr mit humanen Papillomaviren an. Meist bleibt die Infektion folgenlos, doch manche Typen können Krebs verursachen.
Foto: Picturedesk/ Science Photo Library

STANDARD: Die Forschung zu Gebärmutterhalskrebs und HPV ist schon sehr fortgeschritten, dennoch gibt es bei Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen Nachholbedarf. Welche Aufgabe kommt Wissenschaftern dabei zu?

Zur Hausen: Es ist dieselbe Aufgabe, die Wissenschafter immer hatten: Aufklären und die Hintergründe darstellen. Bei HPV ist es heute extrem wichtig, die Kinder, die Eltern und die Lehrer – und in ganz besonderer Weise die Ärzte und Gesundheitsbehörden – aufzuklären, damit sie wissen, was da an Wissen vorhanden ist und dass sie das praktisch umsetzen. Leider sind unter den Ärzten viele dabei, die nicht hinreichend informiert sind und nicht die richtigen Empfehlungen geben. Das ist besorgniserregend. Was man machen muss, ist eigentlich ein beständiges Wiederkäuen: Man muss kontinuierlich aufklären und immer wieder Propaganda dafür machen, damit etwas geschieht. Beim Tabakrauchen haben wir mittlerweile einen gewissen Erfolg, obwohl es Jahrzehnte gedauert hat. Ich hoffe, dass es künftig etwas schneller geht, wobei ich nicht ganz optimistisch bin.

STANDARD: Was sind die Gegenkräfte, die den Prozess aufhalten?

Zur Hausen: Die Gegenkräfte sind sehr vielfältig. Es gibt Leute, die nicht in den natürlichen Ablauf von Infektionen eingreifen wollen, weil sie sagen, dass das notwendig für die Entwicklung ist. Andere wollen sich aus religiösen Gründen nicht impfen lassen. Dann wollen Eltern oft nicht mit ihren Teenager-Kindern über sexuell übertragbare Erkrankungen sprechen. Es gibt eine ganze Reihe an sozialen und ideologischen Motiven. In Deutschland haben wir in diesem Jahr schon 2.000 Masern-Fälle gehabt, die alle vermeidbar gewesen wären, auch zwei Todesfälle von Kindern – das halte ich für einen Skandal. Das ist fast kriminell, wenn man die Impfung vermeidet und damit auch die Umgebung gefährdet.

STANDARD: Sie forschen derzeit zur möglichen Verursachung von Krebs durch den Verzehr von Rindfleisch. Welche Indizien dafür konnten bisher wissenschaftlich nachgewiesen werden?

Zur Hausen: Wir haben seit langem den Verdacht, dass spezifische Infektionen durch Rindfleischkonsum oder durch Milchprodukte übertragen werden. Diese Infektionen allein reichen allerdings noch nicht aus, um Krebs auszulösen. Es müssen immer weitere Zusatzfaktoren mit hineinwirken und Gene verändert werden. Wir haben eine ganze Reihe an möglichen Infektionserregern isoliert und untersucht und sind zunächst auf den überraschenden Hinweis gestoßen, dass sie möglicherweise bei der Entstehung von multipler Sklerose (MS) eine ganz zentrale Rolle spielen. Dahinter steht ein sehr komplexer Mechanismus, und wir glauben, ihm auf die Spur gekommen zu sein.

STANDARD: Können diese Erkenntnisse auch therapeutisch für MS-Patienten genutzt werden?

Zur Hausen: Therapeutisch können wir derzeit noch nichts machen, ich hoffe aber natürlich darauf, dass wir präventiv in der Vorbeugung mehr erreichen können.

STANDARD: Welche Krebserkrankungen könnten in Zusammenhang mit Fleischverzehr stehen?

Zur Hausen: Es sind eine ganze Reihe an Krebserkrankungen, die mit Rindfleischkonsum in Verbindung gebracht werden oder mit Milchprodukten. Angefangen bei Darmkrebs bis zu Brustkrebs. Sie sind aber mit ihren Ursachen noch nicht gänzlich untersucht. Im Augenblick können wir für keine Krebserkrankung sicher sagen, dass sie damit zusammenhängt.

STANDARD: Ist es basierend auf diesen Ergebnissen ratsam, vom Fleischverzehr und Milchkonsum abzuraten?

Zur Hausen: Nein. Diese Infektionen empfangen wir praktisch alle nach der Stillphase, wenn wir mit Milchprodukten von Kühen und mit Fleischprodukten in Berührung kommen. Als Erwachsene entwickeln wir fast alle Abwehrstoffe dagegen. Das bedeutet, dass erwachsene Menschen, ob sie jetzt Milch trinken oder Rindfleisch essen, kein höheres Risiko haben, später an Krebs zu erkranken, als sie es ohnehin schon jetzt haben. Aus unserer Sicht ist die kritische Phase vor allem das erste Lebensjahr. Das längere Stillen durch die Mütter ist ganz offensichtlich ein Schutzfaktor, der solche Infektionen zumindest in der sehr empfänglichen Phase verhindert. Später nach dem Abstillen kommen trotzdem solche Infektionen zustande, aber dann ist das Immunsystem schon ausgereift und die Immunantwort ausreichend gegen solche Infektionen.

STANDARD: Welche Empfehlungen lassen sich daraus ableiten?

Zur Hausen: Länger zu stillen! Mindestens sechs Monate sind ideal.
(Tanja Traxler, 5.7.2017)