Bild nicht mehr verfügbar.

Weltschmerz ist für alle da. Immer. Die Neuseeländerin Lorde überführt ihre emotionalen Erschütterungen behutsam in ihr Leben als Zwanzigjährige. Doch manche ihrer akustischen Hilfsmittel sind von Figuren wie Justin Bieber kontaminiert.

Foto: Reuters / Carlo Allegri

Wien – Jugendlicher Schmerz ist so rein. Die Mischung aus Naivität und vorzeitiger Abgebrühtheit, aus Idealismus und der Ahnung, dass es noch öfter wehtun wird, hat der Popmusik große Momente beschert. Meist waren und sind es unglückliche Männer, die sich ihren Schmerz von der Seele singen. Exorzismus in drei Minuten.

Ob das Gefühl gestellt oder wahrhaftig ist, wen kümmert's. Solange sich die Empfänger darin wiederfinden, ist alles gut. Dass diese Form der Schmerztherapie eine überwiegend männliche Domäne ist, bildet bloß das nach wie vor herrschende Ungleichgewicht der behaupteten Wichtigkeit zwischen den Geschlechtern ab. Oder die höhere männliche Wehleidigkeit. Doch der unrasierte Schmerzensstammtisch, an dem unsereins ins Bier weint, hatte immer schon Konkurrenz.

LordeVEVO

Die Welt hielt den Atem an

Mit der 20-jährigen Lorde gesellte sich vor ein paar Jahren jemand Neuer zur Damenrunde nebenan. Gerade 16-jährig offenbarte sich die Neuseeländerin Ella Marija Lani Yelich-O'Connor in elektronischen Popsongs als so mitgenommene wie kühl-analytische Chronistin ihrer Lebenswelt: Herzschmerz, Orientierungslosigkeit, Party, die ersten Ausrutscher, gängige Themen. Doch die Welt hielt den Atem an.

Denn die Resultate dieser Nabelschau fielen altklug, aber lässig aus, desperat, aber beherrscht. Das bedeutete den Anfang einer Weltkarriere. Ihr erstes Album Pure Heroine verkaufte sich bis heute fünf Millionen Mal. Vom Ende der Welt aus eroberte Lorde diese und landete mit ihrem nun erschienenen zweiten Album Melodrama in den US-Charts gleich ganz vorne.

Durch die Decke geschossen

David Bowie wollte in ihr noch die Zukunft der Musik erkannt haben, Bruce Springsteen coverte ihren Hit Royals zwar als plumpen Irrtum seinerseits. Doch allein der Umstand, dass er es tat, zeigt, dass viele in Lorde etwas zu erkennen vermeinen, das sie als besonders einschätzen.

Schon als Zwölfjährige erhielt Ella Marija einen Fördervertrag von Universal Music. Doch anstatt einer formbaren Kaulquappe, die alle Schablonen des Konservenpop brav ausfüllt, bekam der Verlag eine eigensinnige Künstlerin. Sie machen zu lassen stellte sich als richtige Entscheidung heraus.

Nun ist Melodrama das angeblich schwierige zweite Album. Dahinter vermutet der Laie enormen Druck seitens der Plattenfirma. Dabei ist meist das Gegenteil der Fall. Wer schon mit seinem Debüt durch die Decke schoss, den lässt man in Ruhe arbeiten, wird schon werden. Siehe Norah Jones.

LordeVEVO

In der Nähe des Schablonenpop

Auch Lorde ließ man werkeln. Vier Jahre älter nennt sie Melodrama nun selbst einen Schritt in eine neue Richtung. Stimmt nicht ganz, aber thematisch sieht sie Pure Heroine als Dokument ihres Teenagerdaseins, das zumindest von dem Gesetz des Alters her abgeschlossen ist.

Auf Facebook teilte sie mit, Pure Heroine zu schreiben sei ihre Art gewesen, dieser Zeit ein entsprechendes Denkmal zu setzen, Melodrama behandle aber, was nun komme. Dass sich da inhaltlich nicht wahnsinnig viel verändert hat, geschenkt.

Melodrama nimmt das zur Kenntnis und ist dort am stärksten und eindringlichsten, wo Lorde das Tempo rausnimmt. Es gibt zwei, drei Titel, die in Nähe des erwähnten Schablonenpop zu liegen kommen. Lieder wie Green Light, mit dem sie sich in Richtung dieses gehetzten Justin-Bieber-Idioms bewegt, dieser großen austauschbaren Fantasielosigkeit, dieser Hingabe an technischen Firlefanz. Trotz Kompressionsgesang kriegt sie noch die Kurve.

Vielfalt und Radikalität

In den Balladen aber, in denen sich Lorde zur Reflexion zwingt, sich gewissermaßen für uns Salz in ihre Wunden streut, hat das Album seine besten Momente. Mit dem immer wieder auftauchenden Klavier steht es mit einem Bein in der analogen Welt, die Streicher in einem Song wie Writer in the Dark lassen das Lied beinahe klassisch wirken. Aber nur beinahe.

Denn die eingesetzte Elektronik kommt dann doch immer wieder von der Stange. So detailverliebt Lorde arbeitet, manches klingt leidlich bekannt und austauschbar. Oft strapazierte Vergleiche mit Björk oder Soap & Skin verpuffen da. Die Vielfältigkeit der Ersten muss Lorde erst zeigen, die formale Strenge der Zweiten hat sie nicht, die Radikalität beider scheint ihr fremd. Doch am Feld dazwischen ist noch Platz. Vielleicht erblüht sie dort. (Karl Fluch, 3.7.2017)