Wer sich nicht an rechtsstaatliche Grundprinzipien halte, soll weniger EU-Mittel bekommen, fordert Kanzler Christian Kern.

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Wien – Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel bezeichnete den verstorbenen Ex-Kanzler Helmut Kohl als "Leidenschaftseuropäer". Ein solcher Leidenschaftseuropäer will auch Christian Kern sein. Es gehe darum, nicht das "Populäre ins rechte Licht zu rücken", sondern das "Richtige populär" zu machen, erklärte der Bundeskanzler am Montagabend bei einer Veranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik an der TU Wien.

Es sollte eine Art europapolitische Grundsatzrede werden, die Kern hielt. Ursprünglich wollte er nach seinem "Plan A" auch einen "Plan E", also ein eigenes Europapapier, ausgearbeitet von Verkehrsminister Jörg Leichtfried und Ex-Kanzler Franz Vranitzky, präsentieren. Wegen des dazwischengekommenen Wahlkampfes habe man sich nun für eine andere Art der Präsentation entschieden, heißt es im Kanzlerbüro.

Populismusflasche

Nicht fehlen durften natürlich Anspielungen auf ÖVP-Herausforderer Sebastian Kurz. In der jüngeren Vergangenheit habe man in Österreich "einen übergroßen Schluck aus der Populismusflasche genommen", sagte Kern in dem vollen Kuppelsaal im obersten Geschoß der Technischen Universität.

Inhaltlich lautet die Marschrichtung: klar proeuropäisch, aber auch die Reformnotwendigkeit der EU herausstreichen. "Nach Jahrzehnten der Dominanz der Märkte muss Europa wieder zu einem Projekt der Menschen werden, und nicht zu einem Projekt, das von Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen geprägt ist", meinte Kern. Wo er Änderungsbedarf sieht, skizzierte er anhand von sieben Thesen:

  • Rechtsstaatlichkeit In den letzten Jahren hätten einzelne EU-Mitglieder "demokratische und rechtsstaatliche Grundprinzipien Schritt für Schritt außer Kraft gesetzt", meinte Kern. Als Beispiele nannte er Einschnitte bei der Pressefreiheit, bei Bürgerrechten, aber auch die Weigerung von einigen Ländern, einer Verteilung von Flüchtlingen zuzustimmen. Für das nächste EU-Budget fordere er daher, "Auszahlungen der EU an die Einhaltung von rechtsstaatlichen Grundprinzipien zu knüpfen". Das bewirke vielleicht ein Umdenken, "denn die EU ist kein Bankomat, die EU ist eine Wertegemeinschaft".

  • Die Union vollenden Die EU brauche nicht nur verbindliche Ziele für die Staatsverschuldung und die Inflation, sondern auch für Arbeitslosigkeit, Investitionen und soziale Mindeststandards, die von allen eingehalten werden müssten, meinte Kern.

  • Steuergerechtigkeit Bereits wiederholt kritisiert: Großkonzerne würden oft weniger Steuern zahlen als ein "Würstelstand". Kern fordert daher eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern und auch eine Harmonisierung der Steuersätze.

  • Sozialdumping Um Lohn- und Sozialdumping besser bekämpfen zu können, müsse die grenzüberschreitende Verfolgung bei Verstößen verbessert werden.

  • Lohngefälle Wenn nationale Arbeitsmärkte überfordert seien, müsse es möglich sein, "politische Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer zu setzen".

  • Handelspolitik Auch nicht ganz neu: Die SPÖ lehnt Sonderklagsrechte für Investoren ab.

  • Migration Im Kampf gegen illegale Migration brauche es kurzfristig einen "soliden Schutz der Außengrenzen", langfristig aber auch eine Art Marshall-Plan für Afrika. Ganz offensichtlich wieder in Richtung Kurz meinte er: "Einfache Lösungen gibt es für diese Frage nicht. Diese sollte man auch nicht versprechen." (go, 3.7.2017)