Ingrid Brodnig (32) ist Journalistin, Autorin und Österreichs "digitale Botschafterin" in der EU. Ihr Buch "Lügen im Netz .Wie Fake News, Populisten und unkontrollierte Technik uns manipulieren" ist vorige Woche im Brandstätter-Verlag erschienen.

Foto: Ingo Pertramer/Brandstätter Verlag

Eine mögliche FPÖ-Regierungsbeteiligung macht es für Kräfte aus dem Ausland spannend, sich in den Wahlkampf einzumischen, sagt die Autorin Ingrid Brodnig.

STANDARD: Im Bundespräsidentschaftswahlkampf spielten im Internet verbreitete Fake-News eine durchaus beachtliche Rolle – etwa jene über eine angebliche Krebserkrankung des nunmehrigen Präsidenten Alexander Van der Bellen. Im Herbst stehen wieder Wahlen an, was kommt da auf uns zu?

Brodnig: Mit Fake-News kann man einerseits das eigene politische Lager anheizen und dafür sorgen, dass Leute aktiv werden, sich so richtig aufregen und derartige Meldungen an ihr Umfeld weiterverbreiten. Andererseits kostet es viel Zeit und Aufwand, Falschmeldungen, wie etwa hässliche Gerüchte über einzelne Politiker, wieder auszuräumen.

STANDARD: Bei welchen Themen funktionieren Fake-News besonders gut?

Brodnig: Ich habe mir in unterschiedlichen Ländern angeschaut, wie Falschmeldungen ablaufen. Und es gibt wiederkehrende Themen. Flüchtlinge und Islam sind ein unglaublich polarisierendes Thema, bei dem Falschmeldungen gut funktionieren, weil so eine Bruchlinie in der Gesellschaft vergrößert wird. Das Zweite sind Gehässigkeiten über unliebsame politische Gegner. Und das Dritte sind die klassisch demokratiezersetzenden Falschmeldungen. Das hatten wir rund um die vergangene Bundespräsidentschaftswahl mit den vermeintlichen Wahlfälschungen. Auch heuer gibt es wieder die Gefahr, dass es erneut heißt, dass da ein Betrug stattfindet oder Manipulation. Das behagt mir schon deswegen nicht, dass wir Gefahr laufen, dass ein Teil der Bevölkerung tatsächlich das Vertrauen in die Demokratie verliert.

Im vergangenen April demonstrierten weltweit Wissenschafter und engagierte Menschen gegen alternative Fakten, die nicht erst seit dem Wahlsieg von Donald Trump fröhliche Urständ feiern.
Foto: imago/Winfried Rothermel

STANDARD: Wie wichtig waren Fake-News im US-Wahlkampf?

Brodnig: Die erfolgreichste Falschmeldung war, der Papst hätte die Kandidatur von Donald Trump unterstützt. Das stimmt überhaupt nicht, aber die News-Seite Buzzfeed veröffentlichte dazu eine interessante Studie; zwei von drei Amerikanern, die mit dieser Meldung in Kontakt gekommen sind, haben sie für wahr gehalten. Menschen fallen ständig auf Fake-News rein.

STANDARD: Welche Rolle spielen dabei Social Bots, also Computerprogramme, die Einträge bei Diensten wie Twitter oder Facebook automatisch generieren und so aussehen wie Posts von menschlichen Nutzern?

Brodnig: Social Bots sind speziell im Wahlkampf interessant. Kurz vor der Frankreich-Wahl hat die Zahl der Bots zum Beispiel massiv zugenommen – diese Meinungsroboter haben auch Falschmeldungen über Emmanuel Macron verbreitet. Mit ihnen ist es möglich, Kandidaten erfolgreicher wirken zu lassen und auch Gegner total niederzumachen. Das Krasse daran ist, dass auch normale Internetnutzer einfach Bots betreiben können. Man muss sich technisch nicht auskennen, es reicht, wenn man weiß, dass es Twitter gibt und dass man darüber auch die Meinungen beeinflussen kann.

STANDARD: Die Software für Bots gibt es dafür kostenlos im Netz.

Brodnig: Ja, die ist leicht zu beziehen. Auch ist mir keine wissenschaftliche Untersuchung über den Einsatz von Social Bots in Österreich bekannt. Wir tappen hier im Dunkeln – und würden dringend Forschung dazu brauchen.

STANDARD: Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass auch fremde Staaten sich in Wahlkämpfe einmischen – etwa durch Kredite oder Hacker-Attacken samt Veröffentlichung von delikaten Informationen.

Brodnig: Was Österreich interessant macht, ist die FPÖ. Es gibt ja eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die in der nächsten Regierung sitzt, und das macht es für Kräfte aus dem Ausland extrem spannend, sich einzumischen.

STANDARD: Wir reden jetzt von Russland?

Brodnig: Genau. Wir wissen beispielsweise, dass gute Kontakte zwischen der FPÖ und Putins Partei bestehen. Die Frage ist nun, wie freundlich russische Medien über die Freiheitlichen im Wahlkampf berichten werden. Aber es gibt online auch diese Trump-Fans im Netz, die sich organisieren. Die schauen zwar hauptsächlich auf Deutschland und versuchen, den Einzug der AfD in den Bundestag zu unterstützen, aber in Österreich kann die FPÖ Nummer eins werden. In Foren der Trump-Anhänger konnte man während des französischen Wahlkampfs in fünf Minuten lernen, wie ein französischer Wutbürger zu twittern, auch wenn man kein einziges Wort Französisch kann. Diese Einflussnahme aus dem Ausland müssen wir mittlerweile bei Wahlen in Europa fürchten.

STANDARD: Wie wichtig sind vom Kreml finanzierte Medien, die in Österreich eher FPÖ-freundlich sind?

Brodnig: Sputnik und RT Deutsch machen in der Regel keine klassischen Fake-News. Sie haben eine Schlagseite, eine russische Perspektive, wie sie es selbst sagen. Wie diese aussieht, zeigte sich im französischen Wahlkampf, wo Macron oftmals negativ dargestellt wurde und man herauslesen konnte, wo sie ihre Schwerpunkte setzen. Russland nützt es, wenn die EU zerstritten und Akteure in Europa stark sind, die eine sehr russlandfreundliche Haltung einnehmen. Das sind die Rechtspopulisten unter anderen.

STANDARD: Nicht nur. In Österreich findet man in fast allen Parteien Positionen, die mehr Probleme mit den Sanktionen gegen Russland haben als mit der Annexion der Krim.

Brodnig: Das ist schon faszinierend, wie sich Propaganda verändert hat. Früher ging es bei russischer Propaganda darum, ein Weltbild zu perpetuieren – zu sagen, der Kommunismus ist besser als der Kapitalismus. Und heute geht es eher darum, allgemein Zweifel zu säen. Dafür werden zu aktuellen Ereignissen verschiedene Theorien in den Raum geworfen. So sollen Bürger eigentlich gar nichts mehr richtig glauben, da es ja für alles zehn verschiedene Erklärungsvarianten gibt. Auch wenn von diesen Theorien etliche von führenden Experten für völlig unrealistisch gehalten werden. Dabei zitieren Medien wie RT Deutsch auch teilweise Experten, die sonst nirgendwo vorkommen. Wo sich die Frage stellt, ist das denn wirklich ein Experte? Die Gefahr ist, dass diese Verwirrungsstrategie wirkt. (Das Gespräch führte Markus Sulzbacher)