Wenn der Schweizer Alexander Hug, stellvertretender Leiter der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, in seinem kleinen Kiewer Stützpunkt die Entwicklungen an der Front zu den Separatistengebieten erklärt, dann merkt man schnell: Hier liegt das Nervenzentrum für die nahezu unmögliche Bewältigung einer umso wichtigeren Aufgabe. In tagtäglicher Kleinarbeit – und häufig unter Einsatz ihres Lebens – gehen die Mitglieder der Mission auf Tatsachensuche, dokumentieren zum Beispiel Verletzungen des Minsker Abkommens und liefern so auch die Grundlagen für politische Gespräche zwischen den Konfliktparteien. Jene Gespräche, die dann unter anderem der österreichische Diplomat und OSZE-Sondergesandte Martin Sajdik im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe auf den Weg bringt, in der auch Vertreter der prorussischen Separatisten mit am Tisch sitzen.

In Zeiten, in denen das Verhältnis zwischen Fakt und Fake immer verwaschener wird und Politiker – gerne auch via soziale Medien – oft lieber übereinander als miteinander reden, ist das schon viel wert. Um ihren Aufgaben gerecht werden zu können, benötigt die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa neben einem stabilen Budget aber stabile institutionelle Strukturen. Nur wenn die Besetzung des Generalsekretariats oder der Leitungsfunktionen in Bereichen wie Minderheiten, Medienfreiheit oder Menschenrechte ohne größere Reibungsverluste ausverhandelt wird, kann es Ruhe und Vertrauen geben für die laufende Arbeit.

Beides hat die OSZE bitter nötig. Ihre 57 Mitglieder – mehr als doppelt so viele wie die auch nicht immer konsensfähige EU – entscheiden hier nach dem Einstimmigkeitsprinzip. Das ist zugleich eine der größten Schwächen und eine der größten Stärken der OSZE. Eine Schwäche, weil jedes Mitglied jede Entscheidung beliebig lange blockieren kann. Eine Stärke, weil einmal ausgehandelte Kompromisse in der Regel auf die Unterstützung aller bauen können.

Mit der Sedisvakanz auf allen vier Top-Positionen drohte diese Schwerfälligkeit der OSZE nun auch auf deren innere Strukturen abzufärben. Für die konkrete Arbeit an den Krisenherden Europas schien dies umso bedrohlicher, als auch der politische Vorsitz, den derzeit Österreich innehat, zuletzt blasser wirkte als noch am Anfang der Präsidentschaft. Außenminister Sebastian Kurz hatte gleich im Jänner mit einem Besuch an der ostukrainischen Front einen medienwirksamen Start hingelegt und gefordert, das Blockdenken wieder in die Geschichtsbücher zu verbannen. Die Aufstockung der Beobachtermission kann Kurz als konkreten Erfolg verbuchen.

Der Vorwurf der SPÖ-Abgeordneten Christine Muttonen, Kurz habe zuletzt sein OSZE-Engagement zugunsten des heimischen Wahlkampfs hintangestellt, dürfte nun angesichts der am Dienstag verkündeten Einigung für die Besetzung der Top-Posten rasch verpuffen. Dennoch: Auch OSZE-Vertreter haben hinter vorgehaltener Hand angemerkt, ein Wahlkampf in einem Vorsitzland sei nicht gerade förderlich. Andererseits hat Kurz auch nie versprochen, hauptamtlicher OSZE-Präsident zu sein und sich derweilen aus der Parteipolitik rauszuhalten. Diplomaten stellen dem österreichischen Vorsitz bis jetzt ein gutes Zeugnis aus. Dieser Vorsitz hat nun die Chance verdient, wieder in ruhigere Fahrwasser zu geraten – abseits des Gezänks zwischen Parteien und Staaten. (Gerald Schubert, 11.7.2017)