Seit Jahren nimmt die Zahl der Insassen im sogenannten Maßnahmenvollzug zu. Es fehlt an alternativen Betreuungsangeboten.

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Wien – Seit Jahren steigt die Zahl der inhaftierten psychisch kranken Straftäter. Seit Jahren weisen Experten und Betroffene darauf hin, dass die Unterbringung der geistig abnormen Rechtsbrecher, wie es im Juristendeutsch heißt, dringend reformbedürftig ist: Psychisch Kranke brauchten Therapie, nicht Strafe, so der Tenor. Die derzeitige Form der Unterbringung im sogenannten Maßnahmenvollzug sei menschenrechtlich bedenklich.

Vor 40 Jahren ist der Strafvollzug in Österreich zuletzt reformiert worden. Jetzt soll der umstrittene Maßnahmenvollzug rechtsstaatlicher und menschenrechtskonformer werden.
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Ebenfalls seit Jahren wird im Justizministerium an dieser Reform gearbeitet – allein, ohne Ergebnis. Zwar hatte eine Arbeitsgruppe im Auftrag des Ministeriums bereits im Jänner 2015 Reformvorschläge vorgelegt, das Einarbeiten dieser Vorschläge in einen Gesetzestext wurde nach dem Brunnenmarkt-Mord – ein psychisch kranker Täter erschlug im Mai 2016 eine Frau mit einer Eisenstange – aber auf Eis gelegt.

Kein Gesetz

Einen Gesetzesentwurf wird es auch in der Ära Wolfgang Brandstetter nicht geben. Der ÖVP-Justizminister hat seinem Nachfolger, so er das in der neuen Regierung nicht selbst sein wird, aber zumindest einen Vorschlag für einen Gesetzesentwurf hinterlassen. Erstellt wurde dieser "Expertenentwurf" unter Mitarbeit der Wiener Strafrechtsprofessoren Helmut Fuchs und Peter Lewisch, präsentiert wurde er Dienstagmittag.

Die Eckpunkte:

· Neue Anstalten: Rechtsbrecher sollen nicht mehr in Strafhaft sitzen, sondern in eigene forensisch-therapeutische Zentren kommen. Derzeit gibt es nur ein solches Zentrum, und zwar in Asten bei Linz. Dass der Neubau bzw. Ausbau bestehender Anstalten teuer sein wird, gibt Brandstetter zu. "Aber das ist sinnvoll investiertes Geld", so der Minister.

· Weniger Insassen: Die derzeitige Insassenzahl von rund 800 Personen soll "deutlich reduziert" werden, so Fuchs. Einen Zielwert wollte Brandstetter nicht nennen.

· Mehr ambulante Betreuung: Möglich werden soll die Senkung der Auslastung durch mehr ambulante Betreuungsangebote, etwa in betreuten WGs – auch dafür müssten aber erst Strukturen geschaffen werden. Dass es häufiger zu einer Entlassung aus der Justiz und einer Überleitung in die zivile Unterbringung kommt, ist in der neuen Fassung der Reform nicht mehr vorgesehen: Nicht ein Arzt, sondern ein Richter solle weiterhin über die Art der Anhaltung bzw. Betreuung entscheiden, so Fuchs. Allerdings solle die Bewährungshilfe künftig stärker eingebunden werden.

Dies hätte auch in der Causa Brunnenmarkt passieren sollen, so der Befund der Soko Brunnenmarkt, der ebenfalls am Dienstag präsentiert wurde. Im Fall des 21-jährigen Täters wurde "nicht das Falsche getan, sondern das Richtige unterlassen", sagt der Leiter der Soko, Helfried Haas: Der Obdachlose war zwar mehrmals auffällig und gewalttätig geworden – aber niemand hatte sich für seine Betreuung zuständig gefühlt. (Maria Sterkl, 18.7.2017)