Ein vierjähriger Bub hatte einen Badeunfall. Knapp eine Woche später starb er zu Hause. "Im Bett ertrunken", hieß es in zahlreichen Medien.

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Es ist ein schöner Tag Mitte Juni 2017, ideales Badewetter. Eine US-Familie aus Texas City macht einen Ausflug ans Meer. Der vierjährige Sohn plantscht vergnügt im kniehohen Wasser, plötzlich erfasst ihn eine Welle, und sein Kopf taucht kurz unter Wasser. Ein scheinbar harmloser Badeunfall. Knapp eine Woche später ist der Bub tot. "Im Bett ertrunken", titelten zahlreiche Medien.

Im Fachjargon wird das Phänomen "sekundäres Ertrinken" genannt. Sogar in der US-Serie "The Affair" diente es als dramaturgisches Element, um die eigentliche Handlung in Gang zu bringen. Die Grundaussage: Selbst ein banales Missgeschick im Wasser kann tödlich sein – vor allem für Kleinkinder.

Tatsächlich ist das aber sehr unwahrscheinlich. "Ein kleiner Badeunfall wird mit ziemlicher Sicherheit folgenlos bleiben", sagt Erik Teumann, Leiter der Wasserrettung des Arbeiter-Samariter-Bunds Österreich. Auch Wolfgang Schreiber, Notfallmediziner der Med-Uni Wien, warnt vor Panikmache: "Bei der Interpretation solcher Vorfälle, die aus den Medien bekannt werden, sollte man sehr, sehr vorsichtig sein, da eine detaillierte Diagnose meistens fehlt."

Kritische Phase: Bis 48 Stunden danach

Beim "klassischen" Ertrinken hält das Opfer zunächst den Atem an. Ein durchschnittlich trainierter Mensch schafft das etwa eine Minute lang. Danach sorgt ein Reflex für zwanghafte Atembewegungen, dadurch gelangt Wasser in die Lunge. Nach zwei Minuten kommt es zum Krampfstadium mit Zwerchfellzittern und Stimmritzenkrampf, nach drei bis fünf Minuten tritt der Tod ein – in kälterem Wasser später, weil der Stoffwechsel quasi "auf Eis liegt".

Das sekundäre Ertrinken kennt Erik Teumann nur von Notfällen, bei denen Menschen beinahe ertrunken sind, aus dem Wasser geborgen und erfolgreich wiederbelebt wurden. In sehr seltenen Fällen betrifft es auch Kinder, die gerettet werden konnten, aber nicht bewusstlos waren.

Es ist möglich, dass ein Opfer 24 bis 48 Stunden später stirbt, wenn das Wasser in den Lungen nicht resorbiert werden kann. "Die Folge ist ein Lungenödem. Das heißt, es befindet sich Flüssigkeit in den kleinsten Einheiten der Lungen, den Alveolen (Lungenbläschen). Ist die Schädigung des Lungengewebes zu groß, kann der Körper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden, und es kommt zum Multiorganversagen", erklärt Notfallmediziner Schreiber.

Wenig Behandlungsoptionen

Menschen, die einen schweren Badeunfall hatten, sollten mindestens 24 Stunden in einem Krankenhaus beobachtet werden. "Im Vorfeld lässt sich nicht sagen, ob das Wasser in der Lunge einen Schaden anrichtet. Es gibt dazu keine vernünftigen prophylaktischen Maßnahmen", so Schreiber. Das große Problem: Den Ärzten steht nur eine symptomatische Therapie zur Verfügung, die sich etwa durch das Lungenröntgen und die Überwachung des Sauerstoffgehalts im Blut ergibt. Wird der Zustand des Patienten kritisch, bleibt nur noch die Option der künstlichen Beatmung.

Mit etwa zehn Prozent deutlich häufiger ist Teumann zufolge das "trockene Ertrinken". Meistens spielen hier zwei Faktoren zusammen: "Angst und Wasser, das kühler als die Körpertemperatur ist", so der Experte. Fällt etwa ein Kind mit dem Kopf ins Wasser, löse das eine Art Schockreaktion aus, die Stimmritze im Rachenraum schließt sich und macht die Atmung unmöglich.

Auch hier sind die therapeutischen Möglichkeiten sehr begrenzt: "Ruhe bewahren, sich sammeln und hoffen, dass die Stimmritze wieder aufgeht – das ist aber in solchen Situationen schwierig." Die letzte Option: ein Luftröhrenschnitt. Teumann dazu: "Das ist dem Laien aber nicht anzuraten. Selbst Notärzte machen das äußerst ungern." (Günther Brandstetter, 19.7.2017)