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#JournalismIsNotaCrime: Protest für Pressefreiheit.

Foto: AP/Lefteris Pitarakis

Demo vor Prozessbeginn in Istanbul.

Foto: APA/AFP/OZAN KOSE
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Das Redaktionsgebäude der Zeitung "Cumhuriyet".

Ankara – In Istanbul hat am Montag der Prozess gegen 17 Mitarbeiter der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet" begonnen. Ihnen wird Terrorunterstützung vorgeworfen. Die Zeitung nennt das absurd – und vermutet andere Motive hinter der Anklage. Den Angeklagten drohen laut Internationalem Presse Institut (IPI) insgesamt 43 Jahre Gefängnis. IPI, Reporter ohne Grenzen und andere Menschenrechtsorganisationen beobachten die Verhandlung in Istanbul. Die Rechercheplattform Correctiv – sie ist Kooperationspartner des STANDARD – wird auf Facebook live aus dem Gerichtssaal berichten.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) hat den Prozess gegen Mitarbeiter der Zeitung "Cumhuriyet" als "hanebüchen" bezeichnet. Das Verfahren sei "an Absurdität nicht zu überbieten, denn was all diese Journalisten verbindet ist, dass sie in erster Linie unabhängig berichtet haben", sagte der deutsche RoG-Geschäftsführer, Christian Mihr, dem Sender Bayern 2.

Absperrgitter, Sicherheitsdienst

Seit Monaten gleicht das Redaktionsgebäude der Zeitung "Cumhuriyet" in Istanbul einer Festung: Absperrgitter vor dem Innenhof, ein privater Sicherheitsdienst, der die Ausweise der Journalisten oder die Namen des Besuchers an der Pforte überprüft, Taschenkontrolle am Eingang. An diesem Tag im Juli patrouillieren zusätzlich Polizisten. Eine Vorsichtsmaßnahme wegen Terrorwarnungen, wie der verantwortliche Redakteur Bülent Özdogan erklärt.

17 Mitarbeitern wird ab Montag der Prozess gemacht

Özdogan leitet die Geschicke der Zeitung, seit ein großer Teil der Führungsriege in Untersuchungshaft sitzt, darunter "Cumhuriyet"- Chefredakteur Murat Sabuncu. Er wurde gemeinsam mit zahlreichen Mitarbeitern Ende Oktober unter Terrorverdacht festgenommen. Im November wurde Haftbefehl erlassen. Inzwischen sitzen zwölf Mitarbeiter der Zeitung in Untersuchungshaft – unter anderem Journalisten, Anwälte, ein Karikaturist und der Herausgeber.

An Montag begann der Prozess gegen elf der zwölf Inhaftierten, fünf weitere "Cumhuriyet"-Mitarbeiter und den ehemaligen Chefredakteur der Zeitung, Can Dündar. Nach Angaben ihrer Anwälte wird allen 17 "Cumhuriyet"-Angeklagten Unterstützung von Terrororganisationen wie der kurdischen Arbeiterpartei PKK, der Gülen-Bewegung (Fetö) oder der linksextremen DHKP-C vorgeworfen. Die Regierung macht die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli 2016 verantwortlich.

Mehr als 150 Journalisten sitzen in der Türkei hinter Gittern

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 155 von 180. Nach Angaben der Europäischen Journalistenvereinigung sind dort inzwischen mehr als 150 Journalisten hinter Gittern – mehr als in jedem anderen Land der Welt. Dazu gehört auch der deutsch-türkische "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel, der seit Februar in U-Haft sitzt – ohne Anklageschrift. Zuletzt wurde gegen acht Menschenrechtler Untersuchungshaft verhängt, darunter der Deutsche Peter Steudtner.

Hinter Özdogans Schreibtisch hängt ein Plakat mit den Porträts seiner inhaftierten Kollegen. Darauf steht: "Freiheit sofort". Die Hauswand schmückt ein ähnliches Poster. Die Verhaftungen hätten den Tagesablauf der Zeitung "ernsthaft" beeinträchtigt, sagt er. Vor allem die Zeit unmittelbar danach sei schwer gewesen. Wichtige Mitarbeiter fehlten, Werbeeinnahmen seien zurückgegangen.

"Absurde Situation"

Es sei schon eine absurde Situation, sagt Özdogan. Auf der einen Seite säßen Mitarbeiter der Zeitung wegen Terrorunterstützung in U-Haft. Auf der anderen Seite schicke der Staat Polizisten, weil die Zeitung das Ziel von Terroranschlägen werden könnte.

In der Anklageschrift wird Ex-Chefredakteur Dündar – der inzwischen im Exil in Deutschland lebt – unter anderem beschuldigt, die Blattlinie geändert zu haben. Die Zeitung habe unter seiner Führung die "Terrororganisationen" PKK, die Gülen-Bewegung und die DHKP-C verteidigt, heißt es. Als Indizien werden unter anderem Artikel angeführt. Etwa ein Bericht aus dem Jahr 2015, in dem die "Cumhuriyet" geheime Informationen veröffentlichte, die Waffenlieferungen der Regierung an Rebellen in Syrien belegen sollen.

Wegen Geheimnisverrats verurteilt

Dafür wurden Dündar und der Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül in einem anderen Verfahren schon zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Geheimnisverrats verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ein Abgeordneter der größten Oppositionspartei CHP, Enis Berberoglu, muss wegen der Weitergabe der geheimen Informationen für 25 Jahre hinter Gitter.

Auch Twitter-Nachrichten der Journalisten werden in der Anklage aufgeführt. Im Fall des bekannten Investigativ-Journalisten Ahmet Sik etwa mehrere, die den Konflikt zwischen der Regierung in Ankara und der PKK im Südosten des Landes thematisieren.

Die Terrorvorwürfe gegen seine Kollegen nennt Özdogan nur "absurd". "Es gibt keinen einzigen Beweis", sagt er. Die "Cumhuriyet" habe im Gegenteil schon früh auf die Gefahren hingewiesen, die von der Gülen-Bewegung ausgingen. Das beste Beispiel dafür sei Ahmet Sik.

Gülen-nahe Staatsanwälte ließen gegen Journalisten Ahmed Sik ermitteln

Schon vor Jahren warnte der Journalist vor einer Unterwanderung staatlicher Stellen durch die Gülen-Bewegung und publizierte seine Recherchen im Jahr 2011 in dem Buch "Die Armee des Imam". Gülen-nahe Staatsanwälte ließen gegen Sik ermitteln und schickten ihn monatelang in Untersuchungshaft.

Sik kritisierte aber zugleich, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan die Gülen-Bewegung bis zum öffentlichen Bruch 2013 förderte. Auch nach dem Putschversuch wies Sik immer wieder auf die frühere Nähe von Gülen und Erdogan hin. Dieselbe Regierung wie damals erkläre seinen Kollegen nun wieder "zum Ziel", sagt Özdogan. Grund sei, dass Ahmet Sik "wieder die Wahrheit geschrieben und das Richtige gesagt hat". (APA, dpa, Mirjam Schmitt, 23.7.2017, aktualisiert am 24.7.2017)