Präsident Paul Kagame bei einer Wahlveranstaltung nahe Kigali. Kaum jemand zweifelt an seiner Wiederwahl, schon weniger als 90 Prozent der Stimmen wären ein Paukenschlag.

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Wer in Ruanda nicht den Erwartungen seiner Nachbarn entspricht, wird schnell davon erfahren. Spätestens am letzten Samstag des Monats. Denn dann treffen sich die rund 100 Familien, die einer Umudugudu, der kleinsten Verwaltungseinheit des Staates, angehören, und diskutieren. Meistens geht es vor allem darum, wie man die eigene Gegend gemeinsam verschönern oder effizienter den Müll entsorgen könnte – manchmal geht es aber auch darum, anzusprechen, was einen stört. Zum Beispiel an seinen Nachbarn, etwa dann, wenn sie sich ungenügend an der Gesellschaft beteiligen.

Ruandas Regierung preist das System und verweist dabei darauf, wie herrlich effizient es sei. In kürzester Zeit ist so etwa die Hauptstadt Kigali zur vermutlich saubersten Kapitale des Kontinents geworden. Das Land, das viele im Norden vor allem wegen des Genozids von 1994 kennen, gilt mittlerweile als Musterbeispiel für Sicherheit in Afrika. Kein Wunder, sagen die Politiker; Wünsche und Beschwerden der Bevölkerung kämen schließlich sofort bei der zuständigen Stelle an.

Menschenrechtler sehen freilich ein anderes Motiv hinter den Umudugudu-Treffen. Sie sprechen von einem fast perfekten System, um die Bevölkerung sich selbst kontrollieren zu lassen. Die Bürger sollen spüren, dass der Staat stets weiß, was sie tun, und sie sollen dafür auch noch selbst die Spitzel sein. Opposition lasse sich so kaum organisieren.

Kriminelle gibt es nicht

Das alles, so der Vorwurf, soll jenem Mann helfen, der in Kigalis Umudugudu namens Urugwiro residiert: Präsident Paul Kagame. Er regiert das Land de facto, seitdem seine Rebellen 1994 den Genozid stoppten. Nach einer Zeit als Armeechef, Verteidigungsminister und Vizepräsident ist er seit 2000 tatsächlich Staatsoberhaupt. Daran, dass er Ruanda auch nach den Wahlen am 4. August noch leiten wird, zweifelt fast niemand. Viele vermuten, dass er dem Land noch viel länger erhalten bleibt. Formell hat der heute 59-Jährige nach einer Verfassungsänderung die Möglichkeit, sich bis 2034 zwei weitere Male wählen zu lassen.

Kagame hat das Land zu einem der widersprüchlichsten der Welt gemacht: zu einer zentralistischen Diktatur mit totalitärem Hauch, die Oppositionelle mit tödlicher Gewalt bis ins Ausland verfolgt – und die viele Entwicklungshelfer trotzdem als Modellstaat für Afrika aufführen. Er hat Ruanda zu einem Land gemacht, in dem Täter des Völkermordes friedlich neben den Nachkommen ihrer Opfer leben können – und in dem sich doch die Polizei Vorwürfen erwehren muss, sie würde Bettler einkerkern und Fischer erschießen, wenn sie die falschen Netze verwenden. Und zu einem Staat, den die südafrikanische "Mail & Guardian" jüngst als "Afrikas Zukunft" bezeichnet hat, als ein Modell, das andere Regierungen nachzuahmen trachten.

Kagames Erfolge sind in der Tat beeindruckend: Die Wirtschaft wuchs bis vor kurzen um acht Prozent jährlich, auch wenn das Wachstum zuletzt ein bisschen zurückging. Die Korruption sank massiv. In Kigali schießen Wolkenkratzer in die Höhe. Die Lebenserwartung ist seit 2000 fast jedes Jahr um ein Jahr gestiegen. Die Müttersterblichkeit sank derweil um 80 Prozent.

Gesundheit für alle

Sieben von zehn Ruanderinnen und Ruandern schlafen unter Moskitonetzen, die die Regierung gratis zur Verfügung stellt. Für die Gesundheit sorgt seit 2004 eine staatliche Krankenversicherung. Weil das Kabinett auch auf Aufklärung setzt, kommen auf eine Frau heute 3,8 Kinder – vor 30 Jahren waren es noch acht. Die aktuelle Rate ist eine der niedrigsten des subsaharischen Afrika. Über 61 Prozent der Abgeordneten sind Frauen – ein Weltrekord.

Dass Kagame angesichts der Liste an Erfolgen auch demokratische Wahlen gewinnen würde, scheint nicht unwahrscheinlich – allerdings kaum mit jenen 93 Prozent der Stimmen, die er beim letzten Urnengang 2010 erhielt.

Reduzierung der Gegner

Auch heuer hat die Regierung das Feld möglicher Gegner im Vorfeld geschickt reduziert. Antreten darf etwa Expolitiker und Journalist Frank Habienza, der Chef der Grünen Partei, dessen Stellvertreter Andre Kagwa Rwisereka 2010 von Unbekannten geköpft wurde.

Zudem hatte die 35-jährige Unternehmerin Diane Rwigara eine Kandidatur angekündigt. Ihr Vater, Assinapol Rwigara, galt als emsiger Finanzier der Kagame-Partei FPR, bis er 2015 bei einem ungeklärten Autounfall starb. Wenige Stunden nachdem Rwigara ihre Antrittsabsicht bekanntgemacht hatte, tauchten gehackte Nacktfotos von ihr im Internet auf. Auf der Liste der zugelassenen Kandidaten schien sie nicht auf.

Doch nicht nur von Einschüchterung und Gewalt gegen die Opposition ist die Rede. Es ist auch unsicher, ob die schönen Statistiken der Regierung wirklich der Wahrheit entsprechen. Relativ klar scheint, dass die Wachstumszahlen stimmen – die Steuereinnahmen Ruandas, die in einem passenden Maß zum angegebenen Wachstum gestiegen sind, belegen die schönen Zahlen.

Haft für Obdachlose

In anderen Fällen stehen zwar nicht die Angaben selbst in Zweifel, wohl aber die Methoden, mit denen sie erreicht werden. So sollen Fortschritte gegen die Obdachlosigkeit daher kommen, dass Sicherheitskräfte Bettler einsammeln und auf der Gefängnisinsel Iwawa im Kivu-See internieren. Dort, wo auch viele Oppositionelle gelandet sind, sollen Folter und Todesfälle unter den Häftlingen keine Seltenheit sein. Die Regierung spricht von einem Rehabilitationszentrum für Drogenkranke.

Ähnliches gilt für die Kriminalität: In einem Report von Anfang Juli berichtete die Organisation Human Rights Watch, selbst Kleinkriminelle würden Opfer außergerichtlicher Tötungen. Sie listet 37 Fälle seit vergangenem April auf, in denen Diebe von Motorrädern, Kühen oder Bananen umgebracht worden sein sollen. Fischer, die verbotene engmaschige Netze verwendeten, seien ebenfalls von Killerkommandos exekutiert worden. "Alle Diebe müssen umgebracht werden" lautet der Titel des Berichts. Er ist ein Zitat aus der Region Kirongi und soll eine angebliche Vorgabe der Regierung darstellen. Gefallen sein soll die Aufforderung im kleinen Kreis – bei der monatlichen Sitzung einer örtlichen Umudugudu. (Manuel Escher, 31.7.2017)