Vom Marchfeld-Triathlon, der seit heuer Gerasdorf-Triathlon heißt. Von einer Premiere, einem versemmelten Schwimmpart, einem verlorenen und wiedergefundenen Chip – und der Kunst, sich Schönes (fast) selbst schlechtzureden

In Wirklichkeit ist es ja absurd. Weil ich danach war, was nicht zu sein mein Vorsatz gewesen war. Enttäuscht nämlich. Denn dass ich wohl eher nicht nur nicht gewinnen würde, sondern – ganz im Gegenteil – froh sein könnte, überhaupt zu starten und durchzukommen, war schon davor festgestanden. Und der olympische Plan gewesen: Dabeisein würde genug und alles sein. "Finishen" sei keine Bedingung. Das Sammeln von Erfahrungen und Eindrücken schon. Spaß haben war die oberste Prämisse.

Erstens, weil es ein "First" sein würde. Zweitens, weil es um nix geht. Drittens, weil ich nicht ganz gesund war: Nur ein Vollidiot geht – auch wenn die Ärztin es abnickt – kurz nach einer fiebrigen Grippe auf 100 Prozent.

Trotzdem: Als ich vergangenen Sonntag in Gerasdorf im Ziel stand, war ich sauer, enttäuscht und frustriert: Ich hatte das Ding vergeigt. Meinen ersten Triathlon. Weil … Aber der Reihe nach.

Foto: Thomas Rottenberg

Eigentlich hätte es ja Krems werden sollen. Vor zwei Wochen. Olympische Distanz: 1,5 Kilometer schwimmen, 40 Kilometer auf dem Rad und 10 Kilometer laufen. Bloß: Die Kombination aus Wetter (Regen und Sturm), vollklimatisiertem und überheiztem Bus zwischen den Staffeletappen und wenig Schlaf rund um das Race to Kinvara hatte in der Woche davor ihren Tribut gefordert.

Doch was sich bei fast allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern zunächst als klassische "tödliche Männergrippe, für die man nicht daheim bleibt", eingestellt hatte, gradete die auf "arktisch" eingestellte Büro-Klimanlage in der heißesten Sommerwoche dann eben zu einer Sommergrippe mit 38 Grad Fieber auf: Nicht einmal wenn ich gewollt hätte, hätte ich es in Krems ins Hafenbecken (geschweige denn wieder heraus) geschafft. Ärgerlich – aber Kinvara war den Preis mehr als Wert.

Foto: Eva Lillan

Denn: Es ist nur Sport. Und man hat nur eine Gesundheit und nur ein Leben – aber es gibt tausende Rennen. Egal ob Läufe, Radrennen oder Triathlons.

Die Zahl der Events explodiert. So wie jedes Dorf seinen Kreisverkehr, jede Ruine Sommerspiele und jede Kleinstadt ein Shoppingcenter am Stadtrand hat, hat heute jede Gemeinde ihren Laufevent. Oder – gibt es brauchbare Gewässer – einen Triathlon.

So wie Gläubige vor 100 Jahren brav sonntags in die Kirche zogen, hat die Ersatzreligion Sport andere Weihestätten und Hochämter. Und so wie man nicht jeden Sonntag zur Privataudienz beim Papst eilt und ein guter Dorfpfarrer sein Schäfchen ohnehin punktgenau abholt, wo sie stehen, ist das auch beim Sport: Erlebnis, Erleuchtung und Erlösung unterwegs und danach hängt auch vom Umfeld ab – aber vor allem davon, was man selbst draus macht. Wie man hineingeht, was man erwartet – und was man mitnimmt.

Foto: Thomas Rottenberg

Mit das Lustige an Triathlon-Events ist aber auch die Ehrfurcht der Halb- bis Unwissenden. Die fallen nämlich in Ohnmacht, sobald das Tri-Wort fällt. Kein Wunder: Wer "Triathlon" hört, denkt "Ironman" – und ganz abgesehen davon, dass das kein Bewerb, sondern eine Marke ist, unter deren Signet die unterschiedlichsten Events stattfinden, assoziiert man da die Volldistanz: 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Rad fahren plus ein Marathon.

Nur: So wie nur ein Bruchteil aller Läuferinnen und Läufer Marathon läuft (in Österreich pro Jahr etwa 8.000 Menschen), ist das auch beim Triathlon. In Gerasdorf, nur als Beispiel, fand am Sonntag neben der olympischen eine Sprintdistanz statt: 500 Meter im Wasser, 20 Kilometer auf dem Rad – und fünf zu Fuß. Aber bevor Sie abschätzig die Augenbraue hochziehen: Machen Sie das mal. Und wenn es zu leicht scheint, eben schneller.

Foto: Eva Lillan

Zum Einstieg taugt der Sprint aber in jedem Fall. Egal ob fit oder noch hustend. Egal ob schnell oder "langsam": Allein Logistik und Ablauf sind ein Stunt, der – obwohl x-mal beobachtet und mitbetreut – Neuland bedeutet.

Wie man den Helm in der Wechselzone auf den Lenker hängt. Wie man das Startnummernband hinlegt, in welche Richtung die Schuhe zeigen (oder ob man die Radschuhe gleich an die Pedale hängt). Dass man ein Handtuch zum Füßeabwischen braucht oder dass man auf dem Weg vom Wasser zum Rad Badehaube und Brille auf dem Kopf lässt, weil man sonst keine Hand für den Zipp am Neo (wenn man in Neopren schwimmt) hat: Klingt banal. Ist es auch. Außer Kopf und Ihr Körper sind voll damit beschäftigt, den Übergang von der einen in die andere Belastung zu behirnen und umzusetzen: So oft Sie sich vorher gesagt haben, dass die Startnummer beim Radfahren hinten und beim Laufen vorne zu tragen ist, erkennt man den "Rookie" beim Verlassen der Wechselzone daran, dass er von einem "TO" (Technical Official) grinsend auf den Fehler hingewiesen wird.

Foto: Thomas Rottenberg

Vor dem Wechsel kommt aber das Wasser. Der Start. Und auch da lässt kaum ein Anfänger jenen Fehler aus, den nicht zu machen er sich fest vorgenommen hat: Ich bin kein guter Schwimmer. Das werde ich auch nicht mehr werden. Dafür habe ich den Unterschied zwischen Nicht-Sofort-Ertrinken (25 Meter Schul-Schwimmkompetenz) und echtem Schwimmen viel zu spät gelernt: vor nicht einmal einem Jahr.

Aber ich schwimme gern. Langsam, unsauber – aber halbwegs ausdauernd. Im Becken ein Kindergeburtstag. Openwater kriege ich die Orientierung mittlerweile ansatzweise hin.

Nur: Darauf, was abgeht, wenn ein paar hundert Menschen gleichzeitig losschwimmen und auf die Innenspur an der Wendeboje zusteuern, ist man auch dann nicht vorbereitet, wenn man es zig Mal gesehen hat. Auch nicht, wenn man sich fest vorgenommen hat, ganz hinten und ganz außen zu schwimmen. Ich jedenfalls dachte beim Loskraulen, genau dort zu sein. Nur war ich allem Anschein nach schneller als viele andere – und nicht weit genug außen.

Foto: Eva Lillan

Beim Zusteuern auf die erste Wendeboje schwamm ich auf ein Rudel langsamer, einander gegenseitig blockierender Schwimmer auf. Von der Seite kamen mehr und mehr dazu. Und plötzlich steckte ich mitten in jener Massenschlägerei im Wasser, aus der es kein Entrinnen gibt und von der fast jeder als "absoluter Horror beim ersten Mal" erzählt. Nachsatz: "Später lernt man, damit umzugehen – oder schwimmt schneller."

Als ich endlich um die Kurve war, zog sich irgendwer an meinem Bein nach vorne. Ich spürte, wie sich das Neoprenband mit meinem Zeitnehmungschip am Knöchel löste. Ein Blick zurück: Dort hinten trieb etwas Kleines, Gelbes auf der Wasseroberfläche, begann langsam zu sinken – und die nächsten Schwimmer steuerten geradewegs darauf zu.

Ich bin trotzdem zurückgeschwommen. Voll in den Gegenverkehr. Tauchte einige Male, wurde beim Auftauchen überschwommen, untergetaucht und (ohne böse Absicht) geschlagen und getreten, sah und erwischte den Chip aber irgendwann – und stopfte ihn in meine Rückentasche.

Foto: Thomas Rottenberg

Nur: An vernünftiges Schwimmen war nicht mehr zu denken. Ich brauchte gut 250 Meter, um mich zumindest halbwegs zu sammeln und zumindest Ansätze von Rhythmus und Fluss zu finden. Doch auch auf diesen 250 Metern schwamm ich ständig auf noch langsamere Männer auf, die teils auf dem Rücken trieben, um sich zu erholen – und wäre vom Pulk der schnellen Frauen (die waren drei Minuten später gestartet) von hinten schon wieder überrollt worden, wenn ich nicht ganz nach außen geschwommen wäre …

Foto: Eva Lillan

Die letzten 100 Meter im Wasser waren wieder okay. Beim Rauskommen, auf dem Weg in die Wechselzone, erinnerte ich mich in letzter Sekunde an den Chip – und kramte ihn aus der Tasche. Das Feld über den Matten erkennt Chips bis in eine Höhe von 30, vielleicht 40 Zentimetern. Geht der Chip nicht durch diese Wolke, war man nicht da – und fliegt aus der Wertung. Zu Recht. Man kann dann reklamieren und mit GPS-Tracks, Fotos und Zeugen argumentieren — aber Regeln sind Regeln. Und dafür, dass man seine Siebensachen beisammenhält, ist jeder und jede selbst verantwortlich.

Foto: Eva Lillan

In der Wechselzone – auf dem Weg zum Rad – schlief mir dann das Gesicht ein: Da waren kaum mehr Bikes. Nach dem Debakel im Wasser eh logisch. Später sah ich, dass ich als 249. aus dem Wasser gekommen war. Von 350 Angemeldeten und knapp 300 Gestarteten – also inklusive der Frauen, die ja viel später ins Rennen gegangen waren.

Foto: Thomas Rottenberg

Und weil der Sprint die Einstiegs- und Jedermanndistanz ist, war klar, was mich nun auf der Radstrecke erwarten würde. Nicht dass es nicht das gute und legitime Recht von jedem und jeder ist, da mit welchem Bike auch immer im eigenen Tempo zu fahren. Ich selbst bin ja auch kein schneller Fahrer. Aber unter den 250 Rädern vor mir war halt jetzt wirklich alles zu finden: City- und Moutainbikes oder ältere, gemütlich rollende Damen und Herren.

Toll, dass die mitmachen. Wirklich. Nur ist es halt zaach, immer wieder auf MTB-Dreierketten aufzufahren, abzubremsen, um nur ja nicht in den Windschatten zu schlüpfen – und beim Überholen dann auf gar keinen Fall über die Mittellinie zu scheren: Beides ist streng verboten – und wird umgehend mit DSQ geahndet. DSQ steht für "disqualified".

Foto: Thomas Rottenberg

Noch ein Wort zu den Regeln: Genau genommen sind ja auch bei allen Läufen elektronische Geräte (abgesehen von Uhren) verboten. Nur schert sich niemand drum. Auch weil längeres Laufen für viele ohne Musik undenkbar ist. De facto stört es – außer in den Spitzengruppen – ja auch niemanden. Auf dem Rad ist das aber was anderes.

Darum steht im österreichischen Triathlon-Regelwerk unmissverständlich, dass das Mitführen von "Audio- und Videogeräten" auf der Strecke verboten ist. Mit Gründen: Es geht – nicht nur, aber vor allem – um die Gefahr durch Ablenkung durch Kopfhörer oder Gefuchtle mit Smartphones.

Dass ich dennoch im Rennen fotografiert habe, war allerdings kein Regelbruch, sondern eine vorab mit dem Veranstalter und dann – unmittelbar vor Ort – auch noch mit den Rennrichtern präzise abgesteckte und definierte Ausnahmeregelung.

Foto: Thomas Rottenberg

Das Dem-Feld-Nachfahren hat auch schöne Seiten: Man überholt öfter, als man überholt wird. Und kriegt sehr rasch mit, dass die Leute, mit denen man da einen Teil der Strecke ungefähr gleichauf unterwegs ist, (meist) mehr am Spaß als an der Platzierung interessiert sind.

Und es motiviert: Ich fahre ein normales, mittelteures Straßen(renn)rad ohne Aufleger. Das Bike sieht im Vergleich zu dem, womit "echte" Triathleten und -innen (wie die Dame auf dem Bild) antreten, aus wie ein Möbelwagen im Formel-1-Rennen – und verhält sich auch so: Auf Zeitfahrrädern steht/liegt man komplett anders. Sie sind weniger wendig und am Berg kein Spaß. Fahrräder sind wie Werkzeug: Man schlägt Nägel nicht mit der Rohrzange ein – obwohl es geht.

Im Marchfeld ist es flach – und windig. Im Gegenwind spielten Zeiträder da ihre Vorteile aus. Aber: Umso feiner war es, dass ich mit dem Mittelfeld mithalten kann.

Foto: thomas rottenberg

Harald Fritz, mein Coach und Teamchef, erklärt Triathlon gern so: "Beim Schwimmen machen wir unsere Arme kaputt. Beim Radfahren die Beine. Den Rest erledigt dann der Kopf."

Ist das Laufen also nur die "Zuwaag"? Mitnichten: Es geht ums Wollen – und ums Vorbereitetsein auf das, was noch kommt. Denn dass kurze (Lauf-)Strecken weniger schwierig sind als lange, ist falsch. Ich jedenfalls tue mir mit längeren Distanzen leichter. Weil da die Verlockung, die Kräfte nicht vernünftig einzuteilen, geringer ist: Fünf Laufkilometer sind für halbwegs trainierte Läuferinnen und Läufer kein Thema – aber die Kilometer unmittelbar nach dem Radfahren erzählen dem Körper faszinierende Geschichten darüber, wie unterschiedlich sich unterschiedliche Belastungen auswirken können.

Foto: Thomas Rottenberg

Beim Beobachten anderer lernt man da viel für und über das eigene Laufen. Und man bekommt eines: Respekt vor jedem und jeder, die sich das antut. Egal ob Mann oder Frau, Greis oder Kind. Über lange Distanzen ebenso wie über kurze. Schnell, langsam oder ganz langsam: Sich da zu trauen, verlangt insbesondere von Menschen, die nicht regelmäßig mit System und Feedback trainieren, auch Mut und Selbstvertrauen. Und es birgt eine Gefahr: Auch wenn grundsätzlich nichts dagegen spricht, dass es versucht, wem danach ist (und wer gesund ist), macht es einen Unterschied, ob ich mich beim Laufen überschätze und mich hinsetzen muss – oder ob ich am Rad oder gar im Wasser gegen die Wand fahre.

Foto: Eva Lillan

Auch auf den zweimal 2,5 Kilometern in Gerasdorf waren etliche Teilnehmer am Ende ihrer Kräfte. Sie gingen. Tapfer. Viele von ihnen hatten vor dem Start gemeinsam mit mir aufgezeigt, als der Platzsprecher fragte, wer denn zum ersten Mal an einem Triathlon teilnähme – also ein "Rookie" sei.

Doch da war niemand, der nach Aufgeben oder Niederbrechen aussah.

Ich profitierte immer noch davon, beim Schwimmen so zurückgefallen zu sein: Ich wurde auf meiner ersten Runde zwar von ein paar der schnelleren Teilnehmer überholt, die schon beim zweiten, letzten Durchgang waren – aber sonst waren wir die Überholspur. Wir? Ja: Irgendwann war ich auf den Läufer mit der Nummer 168 aufgelaufen: Andreas Aigner, 27 Jahre alt, ebenfalls Tri-Rookie. Wir merkten, dass wir (in etwa) gleich schnell liefen und joggten bis knapp an die Ziellinie gemeinsam: Andi gönnte sich noch einen Schlusssprint – ich trabte gemütlich ins Ziel.

Foto: Eva Lillan

1:16:09 zeigte die Uhr über mir, als ich ankam. Zum Vergleich: Sebastian Aschenbrenner, der Sieger, hatte 54 Minuten und 55 Sekunden gebraucht, die Letzte der 290 in der Wertung brauchte 1:48:22. Insgesamt belegte ich den 135. Platz – habe also nach dem Schwimmen über 100 Plätze aufgeholt. Ich kam als 111. Mann ins Ziel – und wurde in meiner Altersklasse 21.

Nicht schlecht für einen hustenden Rookie, der nur lernen hatte wollen. Weit besser, als alles, was ich mir vorgenommen hatte oder Coach und Ärztin bei der Renn-Freigabe abgenickt hatten.

Eigentlich also kein Grund, enttäuscht zu sein. Eigentlich. Trotzdem: Ich ärgerte mich maßlos über meine Fehler im Wasser.

Bis meine Freundin den "Schatz, wir müssen reden"-Blick aufsetzte: "Jetzt mal Tacheles: Du finishst deinen ersten Tri halb krank in der vorderen Hälfte des Feldes und grummelst über zwei depperte Minuten im Wasser – anstatt dich zu freuen wie ein junger Hund über den ersten Schnee? Sonst noch was?"

Und plötzlich konnte ich mich doch freuen. Und war sogar stolz. (Thomas Rottenberg, 17.8.2017)

Foto: Thomas Rottenberg