Stell dir vor, du planst ein Attentat, aber niemand berichtet darüber: Ohne mediale Verstärkung verfehlen die Bilder des Terrors ihr Ziel.

Illustration: Felix Maria Grütsch, https://derstandard.at/Gruetsch

Kurz schien es so, als hätte der Terrorismus eine Atempause eingelegt. Diese Ruhe war von Anfang an trügerisch. Längst ist der Terrorismus zum Selbstläufer und damit zum Teil des europäischen Alltags geworden. Seit dem 11. September 2001 hat insbesondere die westliche Welt – New York, London, Paris, Nizza, Brüssel, Madrid, Berlin und nun Barcelona – eine Kette von gewaltsamen Anschlägen erlebt. Ihre Bedeutung lässt sich auch an der medialen Resonanz und Aufmerksamkeit ablesen.

Der Terrorismus ist ein modernes Phänomen insofern, als in ihm Nihilismus und Sinngebungsrausch ein inniges Verhältnis miteinander eingehen, was das Surplus der "Superbefriedigung" (Hermann Broch) erzeugt. Ohne das Gefühl von Nichtigkeit nicht die Verlockung, es durch die große, heroische Tat zu transzendieren. Das war auch bei den klassischen Attentätern des 19. und 20. Jahrhunderts und natürlich auch beim heimischen Terrorismus der 1970er- und 1980er-Jahre in Spanien, Italien Irland oder Deutschland der Fall. Die rechten und linken, säkularen wie religiösen Ismen, die den Sinngebungsrausch stimulieren, sind dabei austauschbar wie eine Jokerkarte.

Narzisstische Struktur

Modern ist der Terrorismus unserer Tage darin, dass er eine narzisstische Struktur besitzt. Er macht sich den Spiegeleffekt der Medien nutzbar. Mit deren Hilfe setzt er eine Ökonomie der Aufmerksamkeit in Gang, ohne die er nicht leben kann. Als die beiden Wolkenkratzer des World Trade Center einstürzten, bestand die entsprechende Ausgabe der englischen Tageszeitung The Guardian buchstäblich nur aus Bildern und Berichten über dieses Ereignis; fünf Tage danach konnte der deutsche Komponist Karlheinz Stockhausen die Attacke als das größte Kunstwerk aller Zeiten preisen.

Medien sind rein strukturell betrachtet nicht "neutral". Die terroristische Attacke ist ein dramatisches zeitliches Ereignis, das dem medialen Bedarf nach spannenden Geschichten Futter liefert. Das funktioniert wie ein Pawlow'scher Reflex. Erzählungen sind nicht einfach Kopien des Geschehenen, sondern zugleich deren zum Beispiel apokalyptische Interpretationen. Die Terroristen versetzen die westliche Welt nicht nur durch ihre Taten, sondern vor allem durch ihre mediale Resonanz in Angst und Schrecken. Erst sie generiert die Größe und das Ausmaß des Ereignisses.

Übungsschauplätze dieser terroristischen Guerilla waren zunächst Israel und der Nahe Osten. Ziel der Terroranschläge in Israel war und ist, den Menschen im Land das Gefühl absoluter Unsicherheit zu bescheren. Das Motiv der Rache ist dabei unübersehbar. Wie kritische Stimmen auch in Israel einräumen, trägt die israelische Politik, aber wahrlich nicht sie allein, eine Mitschuld an der Eskalation der Gewalt. Diese Logik des Kleinkriegs mittels Attentaten ist nun auf die westliche Welt übertragen worden, mit einigem Erfolg, wie die Anschläge sinnfällig machen.

Die medial begleiteten Terroranschläge verlaufen fast stets nach dem gleichen Strickmuster. Auf die Attacke folgten die abgefilmten Rituale des Trauerns, die pathetischen Reden von Politikern und, etwas später, der Ruf nach Gesetz und Ordnung, nach Maßnahmen, die Menschenrechtsgruppen zufolge die liberale Gesellschaft mindestens so bedrohen wie die Anschläge.

Geringe Bedrohung

So unangenehm und entsetzlich der gegenwärtige Terror auch sein mag, als Faktum allein stellt er bis dato keine wirkliche Bedrohung für die offenen Gesellschaften unserer Tage dar. Das Bild einer verängstigten Gesellschaft wird erst medial in einer so merkwürdigen wie ungewollten Koalition zwischen dem Terrorismus und den westlichen Gesellschaften geschaffen. Was er herstellen möchte und was ihm zum Teil auch gelingt, das ist, was der deutsche Rechtsphilosoph Carl Schmitt als den Ausnahmezustand bezeichnet hat. Wir sollten sie darin nicht unterstützen.

Symbolische Abrüstung tut not. In einer solchen Situation muss der auf den ersten Blick "unmögliche" Vorschlag bedacht werden, den Terroristen wie übrigens auch den Populisten dadurch zu begegnen, dass man ihnen jene Ressource abschneidet, die sie so notwendig brauchen wie den Atem zum Leben: die mediale Aufmerksamkeit. Das Ereignis wird nur mehr in einer zweizeiligen Spalte erwähnt, die Hinterbliebenen trauern ganz privat, Politik und Polizei operieren in aller Ruhe und Gelassenheit.

Jeder Vergleich ist so schief wie erhellend. Über die verzweifelten Menschen, die sich zum Beispiel auf die Gleise einer U-Bahn legen, wird in vielen Medien nicht mehr berichtet, um keine unnötige Panik aufkommen zu lassen oder um die Privatsphäre der Angehörigen zu schützen. Die Botschaft könnte etwa lauten: Stell dir vor, du planst ein Attentat, aber niemand berichtet darüber. Als Zweizeiler bleibt die Tat zwar bestehen, aber ihre Bedeutung schmilzt auf ihre unvermeidbare Dimension zusammen. Dem "unmöglichen" Vorschlag kommt ein allzu menschliches Phänomen entgegen, eine gewisse Abstumpfung. Mit der Wiederholung verliert der Terror seine dramatische Einmaligkeit, er wird zum bedauerlich-traurigen Bestandteil eines friedlichen Alltags, der weit weniger bedroht ist, als es die einschlägigen Nachrichten suggerieren.

Noch immer ist der Tod durch eine Terrorattacke extrem unwahrscheinlich. Dass durch den heimischen Terrorismus in manchen Ländern Europas mehr Menschen ums Leben oder zu Schaden gekommen sind als durch den islamistischen Terror, ist eine statistische Tatsache.(Wolfgang Müller-Funk, 18.8.2017)