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Deir al-Zor war schon 2014, als es der "Islamische Staat" übernahm, eine vom Krieg in Syrien gezeichnete Stadt. Nun steht die Schlacht zur Vertreibung des IS bevor.

Foto: Reuters

Wien – Im November 2016 erschien in einer der ersten Ausgaben der neuen Propaganda-Onlinepostille des "Islamischen Staates", Rumiyah, eine ebenso naiv anmutende wie grausame Anleitung für Attentate mit einem Fahrzeug: Das war allerdings schon Monate nach dem bisher verheerendsten Verbrechen dieser Art, am 14. Juli 2016 in Nizza.

Es war ein Symptom seiner Schwäche, dass der IS ab September 2016 Rumiyah (Rom) herausgab. Sein wichtigstes Medium war zuvor Dabiq gewesen, benannt nach der Stadt nordöstlich von Aleppo, in der nach der islamischen Überlieferung eine apokalyptische Schlacht zwischen Muslimen und Christen stattfinden sollte. Der IS hatte Dabiq seit Sommer 2014 besetzt gehalten und war im September 2016 gerade im Begriff, es zu verlieren.

Auch das Onlinemagazin Dar al-Islam (Haus des Islam) ging im Herbst 2016 in Rumiyah auf. Man kann daraus durchaus programmatische Schlüsse ziehen: Die Aktivitäten des IS in der arabischen und der islamischen Welt waren nicht mehr absolut gestellt, der Westen – Rom ist eine Metapher dafür – war ein ebenbürtiges Operationsgebiet. Die IS-Propagandisten hatten die Anhänger auch schon länger zu Attentaten "bei sich zu Hause" aufgerufen.

Das Ende des "Staates"

Seit Herbst 2016 hat der IS in der Levante noch viel mehr Territorium verloren. Den "Staat", der die irakisch-syrische Grenze teilweise aufgehoben hatte, gibt es nicht mehr, auch wenn der IS im Irak und noch mehr in Syrien einzelne Gebiete kontrolliert. Aber sie hängen nicht mehr zusammen.

Die Hoffnung, dass der IS völlig zusammenbrechen würde, wenn er Mossul, die Hauptstadt seines "Kalifats", verliert, hat sich jedoch nicht erfüllt. Die Schlacht wurde nach neun Monaten von der irakischen Regierung für beendet erklärt. Aber der IS hat seine Aktivitäten in Mossul nicht eingestellt, er verübt Attentate und versucht Waffen zurück in die Stadt zu schmuggeln. Begünstigt wird das durch von den Irakern nicht kontrollierte Rückzugsgebiete wie die Hamrim-Berge oder die Wüste.

Der IS hält im Irak weiter drei Flecken, neben Tal Afar sind das Hawijah bei Kirkuk und ein Stück an der Grenze zu Syrien. Der Beginn der Bodenoffensive auf Tal Afar wurde täglich erwartet – am Sonntag in den Morgenstunden war es dann soweit.

Luftangriffe durch die Anti-IS-Allianz und die irakische Luftwaffe laufen schon länger. Zwar sind viele Zivilisten aus der Stadt geflohen, aber es gibt Berichte, wonach der IS Bewohner aus dem Bezirk in die Stadt treibt, um sie als Schutzschilde zu verwenden, bei der Schlacht und beim Rückzug. In Tal Afar gibt es wie in Westmossul dicht verbautes altes Stadtgebiet, das den Kampf besonders schwierig und verlustreich macht. In Mossul hatte der IS Straßen und Gebäude vermint, ein schreckliches Erbe, dessen Entfernung Jahre dauern könnte.

Es wäre nicht der Irak, wäre die Rückeroberung von Tal Afar nicht auch mit politischen Fragezeichen verbunden. Im Osten stehen die irakische Armee, im Norden kurdische Peschmerga und im Süden und Westen schiitische Milizen. Premier Haidar al-Abadi hatte noch im Juli versichert, diese Milizen würden am Einmarsch in Tal Afar nicht teilnehmen, wo ja nur Sunniten verblieben sind, die die Schiiten fürchten. Ebenso gab es Befürchtungen der Türkei – die weiter in der Nähe von Mossul mit Truppen präsent ist -, denn Tal Afar ist zum Teil eine turkmenische Stadt.

Wettrennen in Syrien

Zwar ist auch in Syrien der Kampf gegen den IS zur Priorität aller erklärt worden. Dort ist die Lage mangels einer als legitim anerkannten Regierung jedoch noch schwieriger. In Syrien hält der IS einzelne kleine Flecken im Süden und ein Gebiet im Zentrum, nordwestlich von Palmyra, aber vor allem noch das große Territorium östlich von Raqqa am Euphrat, mit der wichtigen Stadt Deir al-Zor.

Die Offensive auf Raqqa liegt hauptsächlich in den Händen der SDF, der kurdisch geführten und von den USA unterstützten Syrian Democratic Forces. Je näher die Niederlage des IS in Raqqa rückt, desto mehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf Deir al-Zor. Dort hat die syrische Armee von Bashar al-Assad mit ihren Hilfstruppen (Iran, schiitische Milizen) zuletzt große Gewinne erzielt.

Dabei geht es nicht nur um die Stadt selbst, sondern um den Zugang zu den großen Al-Omar-Ölfeldern. Für den finanziell ausgebluteten IS wäre deren Verlust ein entscheidender Schlag – und für das Assad-Regime ein entscheidender Gewinn für die eigene Konsolidierung.

In Deir al-Zor sind arabische Milizen der Partner der USA auf dem Boden, die ohne Hilfe der SDF jedoch zu schwach sind. Die Kurden in den SDF sind gleichzeitig zunehmend skeptisch, was die zukünftige US-Unterstützung für ihr Autonomieprojekt in Syrien anbelangt. Das könnte dazu führen, dass sie politisch lieber auf Russland vertrauen, mit dem Regime zusammenarbeiten – und Assad zum Sieger über den IS in Deir al-Zor machen. (Gudrun Harrer, 18.8.2017)