Er wirkt gelassen und entspannt, spricht mit ruhiger Stimme. Die obersten beiden Knöpfe seines blauen Hemdes stehen offen, als wolle Prinz Harry verdeutlichen, er spreche hier ganz ungeschützt in die BBC-Kamera. Die Botschaft aber klingt hart und unversöhnlich. Auch 20 Jahre danach habe er Schwierigkeiten, sagt der 32-Jährige, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass die Paparazzi im Alma-Tunnel von Paris Fotos machten, anstatt seiner sterbenden Mutter zu helfen. "Das waren die gleichen Leute, die den Unfall verursacht hatten."
In derselben Dokumentation, die der öffentlich-rechtliche Sender ausstrahlte, nimmt auch Harrys Bruder William, 35, Stellung zu dem Autounfall, bei dem 1997 Prinzessin Diana, ihr damaliger Begleiter Dodi Fayed und dessen Fahrer Henri Paul ums Leben kamen. "Wir konnten sie damals nicht beschützen", sagt der Zweite der Thronfolge. "Jetzt ist es unsere Pflicht, für sie einzustehen und jedermann an sie zu erinnern."
Weltweite Bestürzung
In den Wochen vor dem 20. Jahrestag der schrecklichen Ereignisse von Paris am 31. August haben die britischen Medien kaum einen Tag ohne eine Story über die schöne, tragische Lady Di vergehen lassen. Fast alles war ein Aufguss längst bekannter Bilder und Beschreibungen, Verehrungshymnen und Verschwörungstheorien. Umso genauer wurde jede neue Stellungnahme von Dianas Söhnen begutachtet und analysiert. Denn kein Zweifel: Die Prinzessin und die Prinzen, in denen sie weiterlebt, beschäftigen bis heute rund um den Globus noch immer viele Menschen in ganz unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen.
Die meisten können sich noch erinnern an die Ereignisse vom 31. August 1997 und die Tage danach. Die weltweite Bestürzung, die Pilgerfahrt von Millionen Briten zur Trauerfeier in London, die Milliarden Zuschauer an den TV-Schirmen – die Geschehnisse sind bis heute einzigartig. "Geburt einer Göttin", lautete die Überschrift einer deutschen Wochenzeitung, und tatsächlich entstand um die Tote so etwas wie ein religiöser Kult, mit dem frischgewählten Labour-Premierminister Tony Blair als Hohepriester.
Globale Celebrity
Die uneingeschränkte Anbetung ist längst einer realistischeren Bewertung gewichen. Diana war nicht einmal eine Halbgöttin, sondern ein widersprüchlicher, häufig einsamer, starken emotionalen Schwankungen unterworfener Mensch mit vielen Schwächen und einer großen Stärke: ihre Mitmenschen, besonders die Schwachen, Unterdrückten und Kranken, zu ermutigen und für sich einzunehmen.
Die Medien machten sie zur globalen Celebrity, und Diana spielte mit: Eine moderne, emanzipierte Frau im Vollbesitz des gängigen Psychojargons, verfolgt von Paparazzi und gleichzeitig die Aufmerksamkeit der Medien genießend. Der Tod der Prinzessin war auf schmerzhafte Weise banal: unangeschnallt im Auto mit einem betrunkenen Raser am Steuer. Umso mehr wurden damals Schuldige gesucht. Erst mussten die Paparazzi herhalten und die Zeitungen, die ihre Bilder gedruckt hatten; dann richtete sich der Zorn der trauernden Massen gegen das Königshaus.
"Diana und ich"
Die öffentlich-rechtliche BBC hat neben der Dokumentation zum Jahrestag auch eine dramatische Aufarbeitung jener heißen Septembertage 1997 in Auftrag gegeben. Der 90-minütige Film "Diana und ich" beschreibt fiktiv die Auswirkungen des Unfalltodes auf vier ganz normale Briten. Damals seien "viele von uns in emotionale Zonen katapultiert worden, die wir selten besuchen", glaubt Drehbuchautor Jeremy Brock. Den Trauerzug vom St. James's Palace bis zur Westminster Abbey säumten biedere Vorstadtfamilien Seite an Seite mit Schwulen aus der Londoner Lederszene.
An der Seite seines Vaters und Großvaters, begleitet von Onkel Charles Spencer und seinem Bruder William, ging damals auch der knapp 13-jährige Harry hinter dem Sarg der Mutter her, auf dem ein einziges Blumenbukett mit dem Wort "Mummy" lag. Die Szenen des langen Fußmarsches hat sich der Prinz, 32, im Magazin Newsweek ins Gedächtnis gerufen. "Ich musste einen langen Weg hinter ihrem Sarg herlaufen, während mir Millionen dabei zusahen." Ein vermeidbares Trauma, urteilte der Erwachsene: "Kein Kind sollte jemals so etwas tun müssen. Heutzutage würde es wohl nicht passieren."
Harry rudert zurück
Dass dies eine massive Kritik an seinem Vater darstellte, wurde dem früheren Soldaten, der neuerdings schwerpunktmäßig für den offenen Umgang mit psychischen Störungen wirbt, wohl erst später bewusst. In der BBC-Doku jedenfalls rudert Harry zurück: Er habe keine Meinung dazu, "ob das richtig oder falsch war". Hat also die Institution den Prinzen in die Pflicht genommen, ganz wie es seine rebellische Mutter befürchtet hatte? Sein Bruder William räumt immerhin ein, der Gang hinter dem Sarg gehöre "zu den schwersten Situationen, die ich jemals zu bestehen hatte" .
Die mehrfachen Wortmeldungen der Prinzen geschahen gewiss nicht zufällig, weisen eher die Handschrift erfahrener PR-Berater des Königshauses auf. Natürlich kam eine Wiederbelebung des Hypes um die einstige "Königin der Herzen" (Selbstbeschreibung) den Windsors ungelegen. Anders als in jenen Septembertagen 1997, als die Institution einen kurzen Moment lang auf der Kippe zu stehen schien, gab es diesmal eine Entschlossenheit, das Gedenken mit eigenen Beiträgen zu steuern.
"Prinzessin des Volkes"
Das begann im Februar mit der Eröffnung einer neuen Dauerausstellung jener Kleider, mit denen Diana ihre Zeitgenossen bezaubert hatte. Die Schau gehört zu den Hauptattraktionen des Kensington-Palastes, wo die "Prinzessin des Volkes" (Expremier Blair) einst wohnte und heute sowohl William mit seiner Familie wie auch Harry leben. Seit Juli dürfen Schaulustige im Buckingham-Palast die repräsentativen Säle besichtigen, darunter auch das Musikzimmer mit Blick auf den prächtigen Park. Es ist diesmal Diana gewidmet, stellt also den Beweis dar, dass man selbst in der Zentrale jener "Firma", gegen deren altmodische Sitten die junge Prinzessin einst aufbegehrte, die Rebellin mittlerweile für harmlos hält. Oder jedenfalls für reif, sie posthum ins Narrativ der Monarchie aufzunehmen.
Es gibt also den abgewetzten Schreibtisch zu bestaunen, an dem die Prinzessin ihre handgeschriebenen Dankbriefe zu verfassen pflegte. Daneben liegt ein Koffer mit Musikkassetten, die Dianas Lieblingsmusik repräsentieren: Diana Ross, Lionel Richie, berühmte Verdi-Arien.
Musikkassetten? Die veraltete Technik verdeutlicht schlagartig, dass Diana ein Phänomen des ausgehenden 20. Jahrhunderts darstellt. Umso wichtiger für ihr Andenken ist die Präsenz der jungen Männer, in deren Gesichtszügen und charmantem Wesen sich die Mutter spiegelt. Offenbar bewusst setzt die jüngere Generation einen deutlich anderen Akzent als die durch stoische Pflichterfüllung bekannte Monarchin Elizabeth, 91, und der häufig ein wenig wehleidig wirkende Thronfolger Charles, 68. Scheinbar locker, emotional, verletzlich wollen sie den Wandel repräsentieren, von der sprichwörtlichen "steifen Oberlippe" der Weltkriegsgeneration zur freimütigen Selbstbespiegelung der Millennials.
Verdrängte Trauer
Immer wieder gaben die erkennbar im Psychosprech geschulten Prinzen Einblick in die Seelenlage von Menschen, die in viel zu jungen Jahren den Verlust eines geliebten Elternteiles verkraften mussten. Seine karitativen Anstrengungen für psychisch Kranke, teilte Harry dem Daily Telegraph mit, gehen auf die verdrängte Trauer um seine Mutter zurück. "Ich war mehrmals nahe am totalen Zusammenbruch." Intensive Gespräche mit Psychologen hätten ihn gerettet, sagt der Prinz, der andere Menschen mit vergleichbaren Traumata zu größerer Offenheit ermutigen will: "Noch nie hat jemand psychische Störungen überwunden, ohne darüber zu reden."
Dem TV-Sender ITV teilte Harry mit, Diana sei "die beste Mutter der Welt" gewesen. Sein älterer Bruder berichtete, er habe während seiner Hochzeit mit Kate Middleton 2011 die Präsenz der Toten gespürt und als wohltuend empfunden. "Wir fühlen uns immer noch geliebt, Harry und ich", sagte William.
Überspringen einer Generation
Solcherlei Geständnisse scheinen den Briten zu gefallen. Schon kursieren wieder Umfragen, die das Überspringen einer Generation postulieren: Von Elizabeth solle die Krone unter Auslassung von Charles gleich auf William übergehen. "King Wills", titelte die Sun kürzlich. Pikanterweise hatte die Medienmanipulatorin Diana genau diesen Gedanken schon 1995 geäußert, um ihrem ungeliebten Gatten zu schaden.
Freilich ignoriert die Idee nicht nur das Grundprinzip der Erbmonarchie, es geht auch über die Bedürfnisse des jungen Familienvaters hinweg. Der erhebt auf Charles' Dasein als Thronfolger, allen Spekulationen zum Trotz, keinerlei Anspruch. Mag seine Mutter auch posthum noch der Gesellschaft ihren Stempel aufdrücken – bei ihrem eigenen Sohn endet ihr Einfluss. (Sebastian Borger aus London, 30.8.2017)