Das Gesundheitssystem muss umstrukturiert werden. Das geht nur, wenn man sich über politische Interessen und heilige Kühe hinwegsetzt.

FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER

Die neue Studie der London School of Economics und deren Interpretation durch den Sozialminister zeigt einmal mehr den Reformunwillen der österreichischen Gesundheitspolitik auf. Verworrene Zuständigkeiten, politische heilige Kühe, kaum vorhandene Steuerungsmechanismen, steinzeitliche ärztliche Honorarkataloge, Überversorgung bei gleichzeitigen Versorgungslücken und alles in allem ein Gesundheitssystem, das in keiner Weise den Anforderungen einer alternden Gesellschaft mit zunehmenden chronischen Erkrankungen, sowie einer immer komplexeren Präzisionsmedizin mit einem großen Bedarf an menschlicher Zuwendung gerecht wird.

Als Folge davon steigen immer mehr Patienten, aber eben auch immer mehr Angehörige der Gesundheitsberufe, aus dem öffentlich finanzierten System aus und flüchten in die Privatmedizin. Das ist nicht nur für finanziell schwache Patienten – welche bekanntlich auch einen durchschnittlich schlechteren Gesundheitszustand haben – ein Problem, sondern macht auch junge Menschen, welche eine Berufslaufbahn im Gesundheitswesen beginnen möchten, traurig. Welche Pflegekraft und welcher Arzt möchte nur noch jene bestmöglich behandeln können, die sich diese Behandlung auch leisten können? Das möchte so gut wie niemand, das widerspricht allen Idealen, auf die man in einem Gesundheitsberuf stolz sein möchte.

Reformen und Investitionen

Deshalb ein Appell an unsere Politiker: Seid mutig! Um die immer größer werdenden Versorgungslücken im Gesundheitsbereich zu schließen, um Präventionsmedizin betreiben zu können oder um endlich eine moderne Primärversorgung aufbauen zu können, braucht es Reformen und Investitionen. Das Geld dafür ist im Gesundheitswesen vorhanden, das zeigt auch die neue Studie auf. Aber um dieses Potential zu heben, muss man sich über politische Interessen und heilige Kühe hinwegsetzen und echte Umstrukturierungen durchführen!

Dazu muss man sich zum Beispiel endlich eingestehen, dass das kleine Landspital mit drei Abteilungen und die Hausarztpraxis mit derselben Ausstattung wie vor 30 Jahren keine zeitgemäße medizinische Versorgung mehr darstellen. Dazu muss man endlich verstehen, dass jedes teure Spitalsbett, das irgendwo steht, auch gefüllt werden wird, egal ob dafür Bedarf vorhanden ist oder nicht. Dazu muss man endlich einsehen, dass unter den momentanen Bedingungen öffentliche Krankenanstalten immer teurer werden, weil sich immer mehr Patienten in privaten Krankenanstalten behandeln lassen und hauptsächlich die "teuren" Fälle für die öffentlichen Häuser übrig bleiben werden. Und dazu muss man endlich darauf bestehen, dass überkommene Strukturen im Gesundheitswesen aufgebrochen werden und eine zentrale Planung der Versorgungsinfrastruktur für Gesundheit und Pflege geschaffen wird, abseits von partei-, regional- und interessenspolitischen Wünschen und Ansprüchen.

Aber ob die drei Altparteien SPÖ, ÖVP und FPÖ dazu ehrlicherweise überhaupt noch in der Lage sind, darf mit Recht bezweifelt werden. Zu tief sind die interessenspolitischen Verstrickungen. Und dieser Zweifel macht Angst um die Zukunft. (Johannes Oswald, 31.8.2017)