Stomaträger müssen beim Sex ihrem Körpergefühl vertrauen.

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Seit seinem 19. Lebensjahr hat Christian Limpert einen künstlichen Darmausgang, ein sogenanntes Stoma. Heute ist er 40, arbeitet als IT-Berater und engagiert sich zusammen mit seiner Frau Sabine Massierer-Limpert im Verein Stoma-Welt. Im Interview erzählen die beiden, wie sich Geschlechtsverkehr mit dem Handicap anfühlt und warum Betroffene keine Angst davor haben müssen, dass der Stomabeutel beim Sex platzt.

STANDARD: Im Alter von 14 Jahren bekamen Sie die Diagnose Colitis ulcerosa, eine chronisch entzündliche Darmerkrankung. Fünf Jahre später wurde Ihnen der Dickdarm entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt. Wie gingen Sie und Ihre damalige Freundin mit der Situation um?

Christian Limpert: Überraschend gut. Ich hatte damals immer wieder starke Bauchkrämpfe, Durchfall, musste bis zu 20-mal am Tag auf die Toilette, manchmal hatte ich sogar Blut im Stuhl. Es war klar: So geht das nicht weiter. Für mich war die Operation letztendlich eine Erleichterung, und die Entscheidung für den Eingriff trafen wir gemeinsam. Angst, dass sie mich dann verlässt, etwa weil sie sich vor dem Stoma ekelt, hatte ich natürlich schon.

STANDARD: War Ihre Angst berechtigt?

Limpert: Nein. Tatsächlich meinte sie bereits nach wenigen Wochen: "Der Beutel am Bauch gehört jetzt einfach zu dir." In Sachen Akzeptanz war sie mir damit einige Schritte voraus.

STANDARD: Warum?

Limpert: Da sind ja nicht nur das Stoma und der Stomabeutel, sondern auch die Operationsnarben. Eine beginnt über dem Schambein und zieht sich über den Nabel bis unter den ersten Rippenbogen. Gut sieht das nicht aus. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich meinen Körper wieder richtig akzeptiert habe. Durch den Umgang mit den Hilfsmitteln wird der Blick auf den eigenen Körper außerdem medizinisch. Ist der Beutel wirklich dicht? Wann muss ich ihn wechseln? Sitzt er noch richtig? Mit den Jahren habe ich mich jedoch daran gewöhnt – auch beim Sex.

STANDARD: Kann der Beutel beim Sex locker werden?

Limpert: Wenn er sicher am Bauch haftet, kann das eigentlich nicht passieren. Trotzdem: Die Unsicherheit, dass er sich lösen könnte, war am Anfang schon da.

Sabine Massierer-Limpert: Schlimm wäre das allerdings auch nicht. Das wäre dann zwar eine ziemliche Sauerei, aber dann gehen wir halt duschen. Auch wenn viele sich das nicht vorstellen können, aber beim Sex ist der Stomabeutel tatsächlich kaum hinderlich – zumindest aus praktischer Sicht.

STANDARD: Was meinen Sie mit "praktisch"?

Massierer-Limpert: Wenn es Probleme gibt, ist das meist eine Kopfsache. Als Christian und ich uns kennengelernt haben und das erste Mal miteinander schliefen, tastete er beispielsweise mit der Hand immer wieder nach seinem Beutel. Erst hat er mich zärtlich gestreichelt, dann kam die Kontrolle, ob da auch wirklich alles richtig sitzt. Romantisch war das ehrlich gesagt nicht.

Limpert: Sabine hat recht. Dass ich das mache, war mir bis dahin ehrlich gesagt gar nicht bewusst. Diesen Kontrollgriff habe ich mir über die Jahre angewöhnt. Nicht nur beim Sex, sondern auch im Alltag. Das kurze Fühlen, ob der Beutel auch nicht verrutscht oder voll ist, gab mir ein Gefühl von Sicherheit.

STANDARD: Machen Sie den Kontrollgriff heute nicht mehr?

Limpert: Nein. Seit ich mit Sabine zusammen bin, habe ich mir den tatsächlich abtrainiert und gelernt, meinem Körpergefühl zu vertrauen. Mittlerweile spüre ich auch ohne Kontrollgriff, wenn der Beutel nicht mehr richtig sitzt oder es Zeit ist, ihn zu wechseln.

STANDARD: Wie spüren Sie das?

Limpert: Der Stomabeutel ist an einer Haftplatte am Bauch befestigt, die Platte dient der Befestigung, schützt die Haut aber auch vor den Ausscheidungen. Ist der Beutel voll, wird der Zug auf die Platte stärker. Jucken oder Brennen bedeuten, dass die Haftplatte nicht mehr richtig sitzt und Stuhl auf die Haut gelangt.

STANDARD: Sie sind seit gut 13 Jahren ein Paar, seit acht Jahren verheiratet. Hatten Sie anfangs Berührungsängste, Frau Massierer-Limpert?

Massierer-Limpert: Nein – durch meinen Sohn kannte ich mich mit dem Thema aus. Er hat von Geburt an eine insuffiziente Niere. Mit acht wurde ihm dann ein Stoma gelegt. Christian lernte ich im Chat des Vereins Stoma-Welt kennen, in dem ich mich mit anderen betroffenen Eltern austauschte. Er war damals der Moderator. Das Stoma, also den tatsächlichen Darmausgang, bekomme ich als Partnerin auch gar nicht zu sehen. Und der Beutel stört beim Sex wie gesagt nicht.

Limpert: Beim Kuscheln nervt er dich allerdings schon.

Massierer-Limpert: Stimmt. Manchmal pickt der Auslass des Beutels ein bisschen. Da helfen jedoch spezielle Stoffbandagen.

STANDARD: Haben Sie andere Probleme durch das Stoma, etwa Erektionsstörungen oder Schmerzen beim Sex?

Limpert: Nein, Schmerzen sowieso nicht, das Stoma ist da ganz unempfindlich. Mir wurde der gesamte Dickdarm entfernt ebenso wie das Rektum und der Schließmuskel. Gerade in diesem Bereich laufen viele wichtige Nervenbahnen. Werden die bei der Operation geschädigt, kann das zu Problemen mit der Erektion führen – bei mir ist das zum Glück nicht passiert. Bei Menschen mit Darmkrebs kommt das hingegen häufiger vor – je nachdem, wo der Tumor sitzt.

STANDARD: Die Engländerin Jasmine Stacey designt Unterwäsche speziell für Frauen mit Stoma und bekam mit Anfang 20 einen künstlichen Darmausgang. In einem Interview mit der BBC sagte sie einst: "Ich dachte, nun ist mein Dating-Leben vorbei." Können Sie das nachvollziehen?

Limpert: Diese Angst kenne ich – nicht nur von mir selbst, sondern auch von anderen Betroffenen. Hier hilft nur eins: ausprobieren. Dann merken die meisten relativ schnell, dass die Angst unbegründet ist. Ich kenne sogar Stomaträgerinnen, die haben One-Night-Stands, ohne dass der andere etwas von dem Stoma merkt. Etwa weil sie den Beutel mit einem Dessous oder einer Bandage kaschieren.

Massierer-Limpert: Das Stoma ist eine unauffällige "Behinderung". Anders als bei Menschen, die im Rollstuhl sitzen, lässt sich das Stoma gut verstecken. Wenn Christian nicht will, dass jemand von seinem künstlichen Darmausgang erfährt, erzählt er es einfach nicht. In manchen Lebenssituationen ist das aber auch ein Problem: Manche Betroffene schämen sich etwa so sehr, dass sie gar nicht mehr Schwimmen gehen. Die Ängste vieler Stomaträger kommen vor allem daher, dass öffentlich so wenig über das Thema gesprochen wird. (Stella Hombach, 30.8.2017)