Von allen Alpenländern hat Österreich den meisten alpenquerenden Güterverkehr auf der Straße. Bereits 2014 querten nach den Daten des Schweizer Statistikamtes knapp 28 Millionen Nettotonnen Güter über unsere Straßen. Und die Situation ist seitdem nicht besser geworden. Im Vergleich dazu fuhren durch die Schweiz im Jahr 2014 nur rund sieben und in Frankreich etwas weniger als zwei Millionen Nettotonnen über die Alpenstraßen. Österreich hat also mehr Transitschwerverkehr als die Schweiz und Frankreich zusammengerechnet. Die negativen Konsequenzen dieser Entwicklungen trägt in erster Linie die österreichische Bevölkerung, die mit Lärm und gesundheitsschädlichen Abgasen zurechtkommen muss, aber natürlich auch die Natur unseres Alpenraumes.

Alpenquerender Transitschwerverkehr nach Ländern und Verkehrsmittel
Grafik: Michael Radhuber

Österreichischer Schienenanteil am Transitverkehr stagniert, Schweizer Schienenanteil boomt

Anlass zur Sorge geben jedoch nicht nur diese Daten, sondern auch die Tatsache, dass der Anteil des alpenquerenden Güterverkehrs auf Schienen in Österreich seit Jahren stagniert und bis 2015 wieder auf circa 29 Prozent zurückgegangen ist. Ganz im Gegenteil dazu ist es der Schweiz gelungen, den Schienenanteil über die Jahre hinweg konstant hoch zu halten. Der Anteil des alpenquerenden Güterverkehrs auf der Schiene liegt in der Schweiz nunmehr bei satten 77 Prozent.

Die Schweiz verfolgt seit Jahren eine konsistente Verlagerungspolitik mit dem Ziel, den LKW-Gütertransit soweit wie möglich auf die Schiene zu verlagern. Eckpfeiler dieser Verlagerungspolitik ist die sogenannte leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die dazu führt, dass in der Schweiz die Schwerverkehrs-Mauttarife in der Regel mehr als doppelt so teuer sind wie in Österreich – die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) wird in der Schweiz übrigens auch auf dem sekundären Straßennetz eingehoben. Zusätzlich werden große Summen aus dem Schweizer Haushalt in den kombinierten Verkehr sowie in Anschlussfinanzierungshilfen zum Terminal- und Gleisausbau investiert. Strenge Schwerverkehrskontrollen runden die Schweizer Verlagerungsstrategie ab. Ohne diese Maßnahmen wären im Jahr 2014 in der Schweiz 43 Prozent mehr schwere Güterfahrzeuge auf den Alpenkorridoren unterwegs gewesen.

Vergleich der LKW-Maut Österreich – Schweiz.
Grafik: Michael Radhuber

Was läuft also schief, dass wir den LKW-Transitverkehr in Österreich mit all seinen negativen Auswirkungen für unsere Umwelt und die Gesundheit unserer Bevölkerung seit Jahren nicht in den Griff bekommen? Die Antwort hat – leider – auch, aber nicht nur, mit der Verkehrspolitik der EU zu tun. Österreich hatte in den vergangenen Jahren seine Karten auf das "sektorale Fahrverbot" für LKW mit bestimmten Güterarten gesetzt. Nicht ohne Grund, denn über den Brenner läuft ein großer Teil des österreichischen Schwerverkehrtransits. Dieses Verbot wurde im Jahr 2011 vom europäischen Gerichtshof gekippt, woraufhin die österreichische Verkehrspolitik in Bezug auf den Alpentransit bis heute in eine Art "Schockstarre" verfallen ist.

EuGH kippte sektorales Fahrverbot in Tirol

Was war geschehen? Einer der tragenden Grundsätze der Europäischen Union ist der freie Warenverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten. Gemäß dem Vertrag zur Arbeitsweise der europäischen Union (AEU-Vertrag), sozusagen die "Verfassung" der EU, sind jede Art von mengenmäßigen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung untersagt.

Von den europäischen Institutionen, insbesondere der Kommission, wird dieses Verbot so interpretiert, dass grundsätzlich jede Art der mengenmäßigen Beschränkung des LKW-Alpentransits in den Anwendungsbereich des AEU-Vertrages fällt, und somit – im Prinzip – untersagt ist. Dem Urteil des europäischen Gerichtshofes, mit dem das sektorale LKW-Fahrverbot auf der Inntalautobahn A12 im Jahr 2011 gekippt wurde, ist eine klare, kritische Haltung der Kommission gegenüber den Bestrebungen der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene zu entnehmen. Zur Verteidigung der Kommission muss jedoch auch angemerkt werden, dass die Kapazitäten, und auch Anschlussmöglichkeiten der "rollenden Landstraße" zum Zeitpunkt der Urteilserlassung noch deutlich unterentwickelt waren, und zum Teil auch heute noch sind.

Der europäische Gerichtshof sah in seiner Urteilsbegründung die Situation etwas differenzierter und würdigte prinzipiell die Möglichkeit, dass Mitgliedsstaaten zum Zweck des Umwelt- und Gesundheitsschutzes nationale Maßnahmen wie Fahrverbote erlassen. Im Fall des sektoralen Fahrverbotes hätte Österreich jedoch im Vorhinein noch zusätzliche Maßnahmen wie eine Differenzierung des Fahrverbotes nach den Euro-Abgasklassen oder eine dauernde Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h auf der Inntalautobahn ergreifen müssen, bevor sie auf eine so drastische Maßnahme wie ein komplettes Fahrverbot zurückgreift. Gut möglich, dass sich die Rechtsmeinung des EuGH zu den Euro-Abgasklassen nach dem Abgasskandal inzwischen bereits geändert hat.

Foto: Apa/dpa

Zu niedrige LKW-Mauttarife in Österreich

Der zweite Teil des Problems ist jedoch hausgemacht und betrifft die Höhe der Mauttarife in Österreich. Vor dem Hintergrund des freien Warenverkehrs hat die europäische Union – besser gesagt haben die europäischen Verkehrsminister mit Beteiligung des europäischen Parlaments – im Jahr 1999 die sogenannte "Wegekostenrichtlinie" (Richtlinie 1999/62/EG) erlassen. Ein Grundsatz dieser inzwischen mehrfach überarbeiteten Richtlinie ist jener, dass Mautgebühren die Infrastrukturkosten (Baukosten, Erhaltungskosten) nicht übersteigen sollen. Zuschläge von bis zu 25 Prozent für sensible Zonen sowie auch für die Einberechnung sogenannter externer Kosten (Kosten für die Auswirkungen des Verkehrs auf Umwelt und Gesundheit), sind spätestens seit dem Jahr 2011 möglich, genauso wie Lenkungsabgaben zur Verkehrssteuerung bis zum Höchstwert von 175 Prozent der Mautgebühren.

Die europäische Kommission hat zur Berechnung der externen Kosten ein Handbuch herausgegeben, das zuletzt im Jahr 2015 aktualisiert wurde. Neben methodologischen Berechnungsanleitungen für die nationalen Regierungen, enthält dieses Handbuch auch die von der Kommission berechneten Kostensätze für diverse Kategorien externer Kosten. Für moderne Euro-VI-Sattelzüge (40-Tonner) ergeben sich gemäß der Berechnungen der EU-Kommission externe Kosten für Luftverschmutzung von 0,5 bis 2 Cent pro Kilometer, Lärmkosten von knapp über 0 bis 36 Cent pro Kilometer, Klimawandelkosten von 8 bis 11 Cent pro Kilometer, soziale Unfallkosten (Gefährdungskosten) von 4 bis 6 Cent pro Kilometer sowie Staukosten von etwas über 0 bis zu 438 Cent pro Kilometer.

Die Wegekostenrichtlinie erlaubt jedoch nur die Einhebung von externen Kosten für Luftverschmutzung und Lärmbelastung bis zu einer Höhe von maximal 4,4 beziehungsweise 4,24 Cent pro Kilometer. In der österreichischen Mauttarifverordnung 2016 werden diese von der EU vorgegebenen Höchstsätze jedoch noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Die Höhe der österreichischen Aufschläge liegt deutlich unter den europarechtlich möglichen Werten.

Mögliche externe Kostenansätze nach Wegekostenrichtlinie und Einrechnung in Österreich.
Grafik: Michael Radhuber

Hier gibt es also noch deutlich Luft nach oben, um die österreichischen Regelmauttarife für den Güterverkehr weiter anzuheben und die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene durch negative Anreize im Straßenverkehr weiter zu fördern. Die Mehreinnahmen aus den höheren Mauttarifen müssten zum massiven Ausbau der rollenden Landstraße mit neuen zeitsparenden Verladeterminals genutzt werden, um die Anreize für LKW-Fahrer zur Benutzung der "RoLa" so groß wie möglich zu gestalten und Handelshemnisse durch die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene jedenfalls hintanzuhalten.

Wegekostenrichtlinie zu restriktiv

Kritik muss jedoch auch an der Wegekostenrichtlinie selbst geübt werden, da sie nach wie vor keine tatsächliche Kostenwahrheit in Bezug auf die externen Kosten des Transitverkehrs erlaubt. Obwohl sich die Rechtslage nach Einführung der Möglichkeit zur Einberechnung von Luftverschmutzungs- und Lärmkosten bereits verbessert hat, können selbst einige, der im Handbuch der EU-Kommission genannten Kategorien externer Kosten, wie zum Beispiel die sehr substanziellen Klimawandelkosten oder soziale Unfallkosten, bis heute nicht bei Berechnung der Mauttarife angesetzt werden.

Gemäß den Berechnungen des Schweizer Statistikamtes (2014) verursachen schwere Gütertransporte externe Kosten für Umwelt, Gesundheit und Gesellschaft von 7 Cent pro Tonnenkilometer. Das entspricht ganzen 2,8 Euro pro Kilometer für einen 40t-Sattelzug. Aufgrund der aktuellen Vorgaben der Wegekostenrichtlinie dürfen jedoch höchstens 8,64 Cent pro Kilometer bei Berechnung der Maut angesetzt werden. Das entspricht nicht einmal 3 Prozent der auf Gesellschaft und Umwelt abgewälzten Kosten des Transitverkehrs.

Nur Kombination aus höheren Mauttarifen und neuen Fahrverboten sinnvoll

Wichtig ist anzumerken, dass keine der genannten Maßnahmen für sich alleine das Problem des ausgeuferten Alpentransits lösen wird können. Sinn macht nur eine Kombination aus neuen, sektoralen Fahrverboten mit einem massiven Ausbau der rollenden Landstraße, sowie möglichst hohe Mautsätze für den Schwerverkehr auf den Transitstrecken. Durch die österreichischen Sondermauttarife auf einigen ausgewählten Streckenabschnitten, sind zum Beispiel die Mauttarife auf der Transitstrecke Inntal- und Brennerautobahn für LKW bereits heute in der Nähe der Schweizer Tarife (rund 78 Euro für 40t-Euro-VI-Sattelzüge von Staatsgrenze bis Staatsgrenze, in der Schweiz wären für die gleiche Strecke 96 Euro fällig) – doch ist diese Strecke im Vergleich zu anderen so kurz, dass mit monetären Anreizen auf diesem Abschnitt alleine durch Österreich nur bedingt Lenkungseffekte erzielt werden können.

Mauttarife im alpenquerenden Güterverkehr im Vergleich.
Grafik: Michael Radhuber

Unsere Politiker müssen sich entscheiden, ob sie sich auf die Seite der Transportlobby oder auf die Seite der österreichischen Bevölkerung stellen, die unter den Folgen der Transitwelle leidet. Aktive Unterstützung ist von den EU-Institutionen wohl nicht zu erwarten, jedoch sind die Chancen intakt, dass sich sowohl Kommission als auch europäischer Gerichtshof im Fall einer gut durchdachten Verlagerungsstrategie zur Eindämmung des Alpentransits mit höheren Mautsätzen, neuen sektoralen Fahrverboten, bei gleichzeitigem massiven Ausbau der rollenden Landstraße auch nicht mehr gegen Österreich stellen werden.

Zu tief sitzt der Schock nach dem Abgasskandal, der uns die Augen dafür geöffnet hat, dass die Abgaswerte der neuen Euro-Abgasklassen in Wahrheit nur auf dem Papier halten. Zu dringend ist das Problem der Luft- und Lärmverschmutzung in den Ballungsräumen und entlang der internationalen Verkehrswege, zu akut sind die aus dem Klimawandel entstehenden Probleme. (Michael Radhuber, 5.9.2017)

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