STANDARD: Die Grünen weisen in Umfragen für die Nationalratswahl desaströse Werte auf, zuletzt waren es nur vier Prozent. Was machen die Grünen derzeit so falsch?

Maria Vassilakou: Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass es klug und gut ist, geeint und stabil in Wahlauseinandersetzungen zu gehen. Es ist aber hinlänglich bekannt, dass es zum Austritt von Peter Pilz und zur Gründung einer neuen Partei gekommen ist. Das ist bedauerlich genug, aber nicht zu ändern. Jetzt gilt es, um jede Stimme zu kämpfen. Eine laute grüne Stimme wird es brauchen, wenn Rot, Schwarz und Blau immer weiter nach rechts driften.

Vassilakou zur grünen Misere: "Die Umfragewerte zeigen, dass es ernst ist."
Matthias Cremer

STANDARD: Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek sprach von einer "ernsten Ausgangslage". Wie ernst ist es um die Grünen bestellt?

Vassilakou: Die Umfragewerte zeigen, dass es ernst ist. Umso mehr ist jeder Einzelne von uns aufgerufen, sich dessen zu besinnen, worum es bei der nächsten Wahl und danach eigentlich geht. Schwarz, Blau oder Rot werden das Mietrecht nicht reformieren oder irgendetwas Wirksames vor dem Hintergrund des Dieselskandals unternehmen, aber stattdessen die Mindestsicherung kürzen.

STANDARD: Zuletzt haben Sie ÖVP und FPÖ kritisiert. Jetzt sprechen Sie von ÖVP, FPÖ und SPÖ.

Vassilakou: Ich kann keinen Unterschied mehr zwischen Hans Peter Doskozil, Wolfgang Sobotka und Heinz-Christian Strache erkennen. Sebastian Kurz hat die Positionen der FPÖ in weiten Teilen übernommen. Und die SPÖ legt auch einen Kniefall hin.

STANDARD: Gilt Ihre Kritik an Doskozil auch für Bundeskanzler Christian Kern?

Vassilakou: Abgesehen davon, dass auch der Kanzler einige Pirouetten in der Flüchtlingsfrage hingelegt hat, gilt Doskozil als der starke Mann in der SPÖ. Manche spekulieren damit, dass er die Partei nach der Wahl übernimmt, sollte die SPÖ Zweiter werden. Man sollte sich genau überlegen, wem man da die Stimme gibt.

STANDARD: Die Liste von Sebastian Kurz will die Mindestsicherung für Asylberechtigte kürzen und den Bezug deckeln. Die Grünen stehen für das Gegenteil. Laut den Umfragen dürften die Wähler das ÖVP-Modell bevorzugen.

Vassilakou: Das ist das Ergebnis einer Politik von jahrelanger Hetze und Neid gegen die Ärmsten und Schwächsten. Die FPÖ hat damit begonnen, seit einigen Jahren stimmt die ÖVP kräftig mit ein, neuerdings auch Teile der SPÖ, zumindest im Burgenland. Ich habe dem Folgendes entgegenzusetzen: Wer glaubt allen Ernstes, dass das Geld für die Existenzsicherung, das man den Flüchtlingen nimmt, bei Mindestpensionisten landen wird? Kein Cent davon. Ich bin stolz, dass wir in Wien als einzigem Bundesland die Mindestsicherung nicht gekürzt haben.

STANDARD: In Tirol, wo die Grünen ebenfalls in der Regierung sind, wurde aber einer gemäßigten Pauschalkürzung bei der Mindestsicherung zugestimmt. War das Handeln der Tiroler Grünen falsch?

Vassilakou: Ich kommentiere die Entscheidungen meiner Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern nicht.

STANDARD: Bundessprecherin Ingrid Felipe hat den Tiroler Kompromiss mitgetragen.

Vassilakou: Die Tiroler Kollegen werden ihre Gründe haben. Ich kann nur für Wien sprechen: Es braucht ein Bundesland, das vor dem Hintergrund einer drohenden schwarz-blauen Regierung diesen weltoffenen und sozialen Weg weitergeht.

STANDARD: Treten Sie nach wie vor dafür ein, dass die Mindestsicherung in Wien erhöht werden soll?

Vassilakou: Die Mindestsicherung ist das Existenzminimum. Experten sagen, dass das höher angesetzt werden müsste. Wir wissen, dass wir uns eine Erhöhung bis auf weiteres nicht leisten können. Trotzdem sollte man das in einer Zeit, wo alle nach Kürzungen kreischen, in Erinnerung rufen.

Als Nachfolger von Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SP) wünscht sich Vassilakou "jemanden mit derselben Handschlagqualität".
Matthias Cremer

STANDARD: Bürgermeister Michael Häupl wird kommendes Jahr abtreten. Wer wäre Ihr bevorzugter Nachfolger?

Vassilakou: Jemand mit derselben Handschlagqualität wie Häupl.

STANDARD: Kann diese Handschlagqualität Wohnbaustadtrat Michael Ludwig für Sie bieten?

Vassilakou: Ludwig habe ich als jemanden mit Handschlagqualität erlebt. Das soll jetzt aber bitte nicht als Empfehlung interpretiert werden.

STANDARD: Wie sieht Ihre Zukunft aus?

Vassilakou: Der Bürgermeister geht. Ich werde bleiben.

STANDARD: Sie werden Spitzenkandidatin für die Wahl 2020?

Vassilakou: Ja, ich will die Grünen auch in die nächste Wahl führen. Die Frage hat sich für mich nicht gestellt.

STANDARD: Sie wollten im Herbst 2016 Alternativen zum Lobautunnel präsentieren, jetzt ist es fast ein Jahr später. Werden Sie das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht im November abwarten?

Vassilakou: Genau so ist es. Es gibt keinen Grund, warum man das nicht abwarten sollte. Wir haben Daten erheben lassen, die verwendet werden können, egal, wie sich das Gericht entscheidet. Meine Haltung gegen den Tunnel oder eine Brücke im Nationalpark hat sich allerdings nicht geändert.

STANDARD: Der Schwedenplatz soll umgestaltet werden, als Baubeginn wurde 2018 verkündet. Ist das realistisch?

Vassilakou: Bis alle Detailfragen wie Finanzierung und Planung geklärt sind, wird ein realistischer Baustart 2019 sein.

Beim Projekt Neugestaltung Schwedenplatz verzögert sich der Baubeginn zumindest auf 2019.
Matthias Cremer

STANDARD: Die Grünen fordern Umweltzonen in Wien. Ihr Verkehrssprecher Rüdiger Maresch sagt, dass diese 2018 umgesetzt werden könnten. Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie sollen aber erst Anfang 2018 vorliegen.

Vassilakou: Vor dem Hintergrund des Dieselskandals sieht man, wie dringend wir aufgerufen sind zu handeln. Erstaunlich finde ich, dass die Bundesregierung auch in dieser Angelegenheit versagt hat. Irgendwann wird auch die SPÖ den Mut finden müssen, es mit den Konzernen aufzunehmen. Die Konzerne haben das Absurde geschafft, aus dem Skandal auch noch ein Geschäft zu machen.

STANDARD: Ein neuer Busbahnhof wurde von Ihnen 2014 in Aussicht gestellt. Warum die Verzögerung?

Vassilakou: Viele Experten und auch ich sind der Meinung, dass der Verteilerkreis Favoriten als neuer Standort am geeignetsten ist. Die Bezirkspolitik ist aber vehement dagegen. Hier braucht es Überzeugungsarbeit. Die werden wir zu leisten haben.

STANDARD: Ein anderes Großprojekt ist die Heumarkt-Umgestaltung samt Hochhaus. Wien landete als Konsequenz auf der Roten Liste der Unesco, die Aberkennung droht. War es das mit dem Weltkulturerbe oder gibt es Abstimmungen mit der Unesco?

Vassilakou: Den Dialog mit der Unesco werden wir fortsetzen. Unser Ziel ist, von der Roten Liste herunterzukommen. In Bezug auf die Turmhöhe gibt es eine gültige Widmung. Dem Bauherrn obliegt es, sich im Rahmen dieser zu bewegen.

STANDARD: Eine Urabstimmung bei den Grünen ging gegen das Heumarkt-Projekt aus, dennoch erhielt das Projekt im Rathaus eine Mehrheit. Sie haben danach Änderungen für Urabstimmungen angekündigt. Wird es diese geben?

Vassilakou: Dem widmen wir uns nach der Nationalratswahl. (David Krutzler, 5.9.2017)