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Foto: Reuters / Aaron Bernstein

Eigentlich wollte sich Barack Obama zurückhalten. Eigentlich wollte er nicht kommentieren, was sein Nachfolger an Entscheidungen traf. Nur wenn Grundwerte auf dem Spiel stünden, ließ er bei seinem Abschied aus dem Weißen Haus wissen, würde er sein Schweigen brechen. Das tat er, nachdem Donald Trump am Dienstag ein Schutzprogramm für die "Dreamers", die Kinder illegaler Einwanderer, gekippt hatte.

Es sei falsch, diese jungen Leute ins Visier zu nehmen, denn sie hätten nichts Falsches getan, schrieb Obama in einem flammenden Plädoyer auf seiner Facebook-Seite. Es sei kontraproduktiv – schließlich wollten sie Firmen gründen, in Labors forschen, beim Militär dienen.

"Wohin sollen wir sie schicken?"

Und grausam sei es auch. Was, wenn sich die Chemie- oder Physiklehrerin der eigenen Kinder als "Dreamer" erweise? "Wohin sollen wir sie schicken? In ein Land, das sie nicht kennt oder an das sie sich nicht mehr erinnern kann, in ein Land, dessen Sprache sie vielleicht nicht einmal spricht?" Letztendlich, fügte Obama hinzu, gehe es um Anstand und Würde.

Rocio Salazar hat die Sätze gerade auf ihrem Handy gelesen, ihre Miene hat sich aufgehellt – aber nur kurz. Die 27-jährige New Yorkerin steht vor dem Weißen Haus. Laute Sprechchöre erschallen. "Hier, um zu bleiben!" ist auf einem Poster zu lesen, auf einem anderen "Legalisiert meinen Traum". Auf einem dritten, deutlich sperriger, wird Trump verspottet: Zwei seiner drei Ehefrauen seien Migrantinnen gewesen; was einmal mehr zeige, dass Migranten Arbeiten verrichteten, zu denen sich die meisten Amerikaner zu schade seien.

Im Flieger aus Bolivien

Salazar hält sich ein wenig abseits, mit eigenen Sorgen beschäftigt. Im Jahr 2000, da war sie zehn, kam sie aus Bolivien in die USA, im selben Flugzeug wie ihre Eltern und die vierjährige Schwester. Als das Touristenvisum abgelaufen war, blieben sie dennoch in New York. Inzwischen arbeitet sie als Anwaltsgehilfin. Es ist ein Übergangsjob, sie will ans College, sie will Krankenschwester werden.

Doch um die Ausbildung bezahlen zu können, braucht sie einen staatlich subventionierten Kredit. Solange das Daca-Schutzprogramm noch gilt, kann sie ihn beantragen. Wie es in sechs Monaten aussieht, wenn das Programm ausläuft, darüber zerbricht sie sich nunmehr den Kopf.

Dass sie abgeschoben wird, kann sie sich nicht recht vorstellen. Jedenfalls nicht, dass die Beamten der Einwanderungsbehörde an ihrer Wohnungstür klingeln, um sie abzuholen. Eher schon, dass sie irgendwann in eine Verkehrskontrolle gerät und sich bei der Prüfung ihrer Papiere herausstellt, dass sie keine Aufenthaltsgenehmigung hat. Also wird sie aufs Autofahren verzichten, schon aus Sorge um Noah, ihren zwei Jahre alten Sohn. Rocio lebt getrennt von Noahs Vater, der ein Bleiberecht hat. Was, wenn sie deportiert wird? Nimmt sie Noah mit nach Bolivien? Oder lässt sie ihn lieber in den USA?

800.000 betroffene Menschen und ihre Familien

In Salazars Ohren klang es wie Hohn, als Trump Worte fand, die nach Trost klingen sollten: Er habe ein großes Herz für diese Leute, "eine große Liebe für sie", sagte er über die "Dreamer". Falls der Kongress keine Lösung finde, werde er sich der Sache noch einmal annehmen.

Es sind nicht nur diese 800.000 Menschen und ihre Familien, nicht nur Demokraten wie Obama, die von einem schweren Fehler sprechen. Die Entscheidung des Präsidenten verstoße ebenso gegen US-Grundprinzipien, wie sie dem ureigenen Interesse des Landes widerspreche, erklärt die nationale Handelskammer.

In Seattle kündigt Brad Smith, leitender Jurist beim Software-Konzern Microsoft, rechtliche Schritte an, falls einem der 39 bei seiner Firma beschäftigten "Dreamers" die Ausweisung droht. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg spricht von Vertrauensbruch. Es sei besonders gemein, diese Menschen erst zu ermuntern, aus dem Schatten zu treten, der Regierung Glauben zu schenken und sie dann zu bestrafen. Salazar sieht es ähnlich: "Man hat uns betrogen. Es ist traurig, aber wirklich überrascht hat es mich nicht." (Frank Herrmann aus Washington, 6.9.2017)