Fast immer, wenn von schlechten Ergebnissen in unserem Schulsystem die Rede ist, müssen Migranten als Schuldige herhalten, oder die Flüchtlinge, oder alle zusammen. Weil so viele Kinder in unseren Klassen sitzen, die Deutsch nicht als Muttersprache oder einen Migrationshintergrund haben, verwundert es nicht, wenn am Ende der Schulpflicht so viele die Bildungsmindeststandards nicht erreichen und zum Beispiel nicht sinnerfassend lesen können. Von so mancher politischer Seite wird diese Wahrnehmung noch verstärkt, insbesondere in Vorwahlzeiten. Die Wahrheit allerdings ist wesentlich komplexer und hat viel mit Versäumnissen der Schulpolitik der letzten Jahrzehnte zu tun.

Abwehrhaltung in Österreich

Österreich ist ein Migrationsland, und das nicht erst seit heute. Spätestens mit dem Bosnienkrieg  und dem Zusammenbruch des jugoslawischen Staates war klar, dass sich die demographische Situation im Land, allem voran in Wien, durch anhaltende Zuwanderung nachhaltig ändern wird. Die Stadt Wien hat bereits relativ früh auf die veränderte Situation reagiert und war nach Berlin und Frankfurt die dritte Stadt im deutschsprachigen Raum, die 1992 mit der Gründung des "Wiener Integrationsfonds" Zuwanderung und Integration institutionalisierte. Österreichweit hingegen kamen vergleichbare Bemühungen erst wesentlich später, und noch immer ist die Grundhaltung gegenüber Zuwanderung von einer Haltung des Missbrauchs und grundsätzlicher Abwehr geprägt, und das nicht erst seit der Fluchtbewegung 2015.

Mit dieser Abwehrhaltung und einer Mischung aus Ignorieren und Schönreden, hängt auch zusammen, dass das österreichische Schulsystem bis heute nicht auf die veränderte Situation reagiert hat. Verschärft wird das Ganze dadurch, dass unsere Schule in ihrer Grundstruktur in den 60er-Jahren stecken geblieben und nach wie vor ständisch ausgerichtet ist.

Sicher, das berufsbildende Schulwesen hat sich gut weiterentwickelt und ist international herzeigbar. Wir haben die Zentralmatura bekommen sowie Bildungsstandards und auch eine neue Pädagogenbildung. Gleichzeitig aber werden – wie sonst fast nirgendwo mehr – bei uns die Kinder mit zehn Jahren getrennt in diejenigen, die die höherwertige Schule besuchen dürfen und diejenigen, denen das versagt ist. Und nachweislich erfolgt diese Zuteilung nicht in erster Linie nach objektiven Leistungskriterien, sondern spiegelt vielmehr die soziale Herkunft wider.

Ungleichheiten durch das Elternhaus

Nicht die andere Erstsprache ist es, die zur Benachteiligung führt, sondern es ist der Mix aus den drei Faktoren sozioökonomisch schwaches Elternhaus, niedrige Berufsausbildung beziehungsweise die sogennante Bildungsferne der Eltern und einer anderen Erstsprache, der hierzulande Ungleichheit perpetuiert. Wenn ein Kind das Pech hat, in eine Familie geboren zu werden, auf die alle drei Faktoren zutreffen, hat es schlechte Startvoraussetzungen für seinen weiteren Bildungsweg. Ihm wird der Aufstieg via Bildung nur schwer gelingen.

Zahlen der Statistik Austria aus dem Schuljahr 2014/15 geben wenig Anlass zur Freude. Nur sieben Prozent aus der Altersgruppe der 25- bis 44-Jährigen, deren Eltern maximal Pflichtschulabschluss haben, erreichen einen tertiären Abschluss. In derselben Altersgruppe macht der Anteil derer, die aus einem Akademikerhaushalt kommen, 56 Prozent aus. Über Generationen hinweg hat es bei diesen Prozentsätzen kaum eine Verbesserung der Mobilität gegeben. Kinder, die in die AHS wechseln, haben zu 70 Prozent Eltern mit mindestens Matura, bei Kindern, die in die Neue Mittelschule wechseln, sind es nur 30 Prozent. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich anführen.

Kinder aus einem bildungsfernen Haushalt haben es schwierig, in unserem Bildungssystem aufzusteigen.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Mehr Ressourcen notwendig

Zu der Tatsache, dass es uns bislang auch nicht annähernd gelungen ist, die grobe Bildungsungerechtigkeit zu beseitigen, kommt erschwerend hinzu, dass Österreichs Schulen im Grunde nach wie vor auf eine homogene, monolinguale Schülerschaft ausgerichtet sind. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass im Lauf der Jahre durch den Einsatz von Muttersprachenlehrern oder Sprachförderlehrern, oder jetzt durch weitere 5.000 Lehrkräfte, österreichweit Abhilfe geschaffen werden soll. Sicher, diese Maßnahmen bringen Verbesserungen und stellen einen Schritt in die richtige Richtung dar. Aber nach wie vor ist der Umgang mit Diversität, Heterogenität und Mehrsprachigkeit auch in der neuen Lehrerbildung nicht verpflichtend vorgesehen, und das, obwohl in manchen Klassen in unseren Städten der Anteil der Kinder mit anderen Erstsprachen 90 Prozent und mehr ausmacht.

Nach wie vor verzichtet Österreich als inzwischen einziges Land unter vergleichbaren Ländern auf eine Ausbildung der Elementarpädagogen auf tertiärem Niveau, und das, obwohl nachweislich in diesen frühen Jahren die wichtigsten Weichen gestellt werden. Nach wie vor werden im Wesentlichen die Ressourcen an Schulen nicht gerecht zugeteilt und nach wie vor erhalten Schulen mit den größten Herausforderungen nicht annähernd das, was sie brauchen würden. Selbst England, unter der konservativen Regierung von David Cameron, führte eine Ressourcenzuteilung nach Kriterien des Sozialindexes ein, die sogenannte "Pupil's Premium", die zur Folge hat, dass manche Londoner Schulen bis zu 62 Prozent mehr Ressourcen erhalten als die durchschnittliche englische Schule.

Und, ja, die Schulen brauchen diese extra Ressourcen – auch bei uns wäre das bitter nötig. Aber eine vergleichbare Maßnahme ist leider nicht in Sicht. Und nach wie vor werden Kinder, die eine andere Erstsprache als Deutsch haben, in unseren Schulen strukturell benachteiligt, indem ihnen etwa die adäquate Förderung vorenthalten wird. Und nach wie vor werden schließlich zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer im Stich gelassen, die ihr Bestes geben und es dennoch oft nicht gut genug machen können, weil es an so vielem mangelt.

An der Tatsache, dass die österreichische Schule in der Migrationsgesellschaft gelandet ist, wird sich so schnell nichts ändern. Es ist also höchste Zeit, dass grundlegende Reformen in Angriff genommen werden. Wie diese aussehen könnten und wo man ansetzen sollte, davon soll hier ein anderes Mal die Rede sein. (Heidi Schrodt, 11.9.2017)

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