Viele Handelsangestellte verdienen schlecht und arbeiten Teilzeit.

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Wien – Die Parteien in Österreich sind in vielem uneins, aber einen Grundkonsens gibt es selbst im Wahlkampf. Menschen, die arbeiten, sollen künftig mehr Geld auf dem Konto haben. SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos und Liste Pilz werben mit deutlichen Steuerentlastungen für Erwerbstätige.

Einige Ideen ähneln einander. Quer durch die Bank fordern Parteien etwa die Abschaffung oder Milderung der kalten Progression, damit die Einkommensteuer künftig nicht mehr stärker steigt als die Einkommen. Die Verdienstgrenze, ab der Steuern zu zahlen sind, soll ebenso angehoben werden. Neben der SPÖ verlangt das zum Beispiel auch die ÖVP.

Die zweitwichtigste Einahmequelle des Bundes

Um die einzelnen Vorschläge bewerten zu können, ist ein Blick auf den Status quo notwendig. Wer bezahlt in Österreich wie viel dafür, damit Schulen erhalten und Straßen gebaut werden, damit Polizei, Feuerwehr, Verwaltung Ärzte und Krankenschwestern ihre Arbeit erledigen können?

Wer sich einen Überblick verschaffen will, darf dabei nicht bloß auf die Lohnsteuer blicken. Diese steht zwar in allen politischen Debatten im Fokus, laut Daten des Finanzministeriums ist die Lohnsteuer aber nur die zweitwichtigste Einnahmequelle des Bundes. 33,3 Prozent der Einnahmen des Finanzministers im vergangenen Jahr entfielen auf die Mehrwertsteuer, die Einkommensteuer machte 30,4 Prozent der Gesamteinnahmen aus.

Umverteilungswirkung

Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo hat vor einigen Monaten eine umfassende Untersuchung präsentiert, in der die verschiedenen Steuern, aber auch Sozialversicherungsabgaben berücksichtigt wurden.

Das Ergebnis ist interessant: Haushalte mit einem Erwerbseinkommen tragen eine ähnlich hohe Steuer- und Abgabenlast in Österreich, und zwar unabhängig davon, wie hoch das erzielte Einkommen ist. Reiche zahlen absolut mehr ins System ein, aber nur, weil sie mehr verdienen. Die prozentuelle Belastung ähnelt einer Flat Tax. "Die Umverteilungswirkung über das Steuersystem ist in Österreich sehr gering", sagt deshalb die Wifo-Ökonomin Margit Schratzenstaller.

Was Haushalte belastet

Das hat mehrere Ursachen. Die ärmsten Haushalte, die nichts auf ein Sparbuch beiseitelegen können, müssen einen höheren Anteil ihres Einkommens für Nahrung und Kleidung ausgeben, wie die Ökonomin Christine Mayrhuber erklärt. Die aufkommensstärkste Steuer des Landes belastet diese Haushalte stärker und wirkt damit sogar regressiv.

Ein ähnlicher Effekt tritt bei den Sozialversicherungsbeiträgen auf. Diese belasten, von kleinen Ausnahmen bei der Arbeitslosenversicherung abgesehen, jeden einzelnen verdienten Euro gleich stark. Einzige Ausnahme gibt es für Personen, die weniger als 426 Euro im Monat verdienen. Ab einem Bruttolohn über 4980 muss man für jeden zusätzlichen Euro hingegen keine Versicherungsbeiträge zahlen, wodurch die Gesamtbelastung sinkt.

Richtig progressiv ist also nur die Einkommensteuer. Doch die Wifo-Zahlen verdeutlichen eine weitere Herausforderung bei den Reformdebatten über das Steuersystem. Rund 30 Prozent der Menschen in Österreich verdienen so wenig, dass sie so gut wie gar keine Einkommensteuer bezahlen, die ab 11.000 Euro anfällt.

Frauen am meisten betroffen

Für die Niedrigeinkommen gibt es zwei Gründe: Teilzeitbeschäftigung und geringe Stundenlöhne. Bei vielen Branchen, in Teilen des Gastgewerbes, des Handels, unter Bürohilfskräften, Assistenten von Rechtsanwälten, Serviererinnen in Konditoreien, Friseuren kommt oft beides zusammen. Die meisten Betroffenen sind Frauen.

Nicht alle Menschen, die so wenig Einkommen erzielen, dass sie keine Lohnsteuer zahlen, sind arm. Eine Frau kann zum Beispiel etwas dazuverdienen und trotzdem einen gehobenen Lebensstil haben, wenn der Partner ein gutes Gehalt hat. Aber in anderen Fällen gehen geringes Markteinkommen und niedriger Lebensstandard Hand in Hand. Sicher ist, dass Menschen, deren Einkommen unter 11.000 Euro liegen, nicht geholfen wird, wenn die Eingangssteuersätze sinken.

Auch der Ausgleich der kalten Progression wirkt hier nicht positiv. Vielen Teilzeitbeschäftigen wird es in puncto Steuern auch nicht helfen, dass sich die Sozialpartner vor kurzem auf eine schrittweise Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes geeinigt haben. Sie kommen dennoch nicht über die Steuerschwelle.

Entlastungsmodelle

Unter Ökonomen werden mehrere Modelle diskutiert, wie eine finanzielle Entlastung weiter unten ankommen könnte. Margit Schratzenstaller vom Wifo plädiert dafür, die Sozialversicherungsbeiträge für untere und mittlere Einkommen zu senken.

Ein Vorteil dieses Vorschlages ist nebenbei, dass damit eine alte Kritik internationaler Organisationen wie des Währungsfonds entschärft wäre: In Österreich ist die Differenz zwischen Nettolöhnen, die am Markt verdient werden, und den staatlichen Sozialleistungen im internationalen Vergleich niedrig. Wenn Geringverdiener weniger Versicherungsbeiträge zahlen, wird für manche der Anreiz steigen, einen Arbeitsplatz zu suchen.

Doch lassen sich Einwände gegen die Idee finden. Den Entgang an Beiträgen müsste jemand finanzieren, woher die Milliarden nehmen? Das Versicherungsprinzip wär durchbrochen. Niedrigverdiener, die einen Arzt aufsuchen, würden nicht mehr eine Leistung in Anspruch nehmen, für die sie selbst bezahlen, sondern eine, die von der Allgemeinheit finanziert wird. Ökonomen sagen zudem, dass Teilzeitarbeit mit einem Schlag für viele finanziell interessanter werden würde, was sich später in Form niedrigerer Pension rächen dürfte. FPÖ und die Liste Pilz fordern eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, gehen aber bisher auf solche Probleme nicht näher ein.

Negativsteuer

Eine andere Möglichkeit wäre eine Negativsteuer: Wer eine Tarifsenkung nicht spürt, soll eine Zahlung vom Staat bekommen. Die Negativsteuer kann nur ein Jahr später ausbezahlt werden. Die Menschen spüren die Entlastung also nicht gleich.

Eine weitere Alternative, die in Österreich derzeit nicht, dafür aber in Deutschland diskutiert wird, lautet: Senkung der Mehrwertsteuer. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat vor kurzem einen Plan dazu erarbeitet. Vorgeschlagen wurde eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes um einen Prozentpunkt auf 18 Prozent. Untere und mittlere Einkommen würden davon mehr profitieren als von einer Entlastung über die Lohnsteuer, die den ärmsten dreißig Prozent der deutschen Haushalte nichts bringt, so das DIW. Für Österreich, das im Gegensatz zu Deutschland keine Budgetüberschüsse erzielt, würde sich auch in diesem Fall die Frage der Gegenfinanzierung stellen.

Bei allen Debatten über Steuerentlastungen gilt freilich der Vorbehalt, dass sie nur relevant sind, sofern sie nach dem Wahltag nicht in Vergessenheit geraten. (András Szigetvari, 9.9.2017)