Mit der steuerlichen Begünstigung von Diesel sollte ursprünglich der gewerbliche Lkw-Verkehr unterstützt werden – das ist ein Relikt einer überholten Verkehrspolitik.

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Mit dem Diesel-Abgasskandal kam auch wieder das Dieselprivileg ins Gerede: Von den meisten nationalen Gesetzgebern in der EU wird Diesel seit rund 25 Jahren bei der Mineralölsteuer gegenüber Benzin begünstigt. Das Privileg – die gesetzliche Sonderstellung – betrifft jedoch nicht nur die Steuer, sondern auch die Stickoxidemissionen: Die gesetzlichen NOx-Grenzwerte bei der Typprüfung sind bei Dieselautos deutlich höher als bei Benzin-Pkws. Damit ergibt sich die verdrehte Situation, dass der Staat jenen Treibstoff bevorzugt und fördert, der mehr gesundheitsschädliches NOx ausstößt. Das ist das Gegenteil von Verursachergerechtigkeit und Kostenwahrheit, klingt nach Klientelpolitik.

Dazu kommt, dass Diesel-Pkws die (höheren) NOx-Grenzwerte real im Verkehr bei weitem nicht einhalten. Im September 2015 hatte VW den Einsatz illegaler "Schummelsoftware" in weltweit rund elf Millionen Dieselfahrzeugen gestanden. Inzwischen stehen auch andere Autohersteller im Verdacht, bei Diesel-Pkws zu schummeln. Das Software-Update, das nun angesichts drohender Dieselfahrverbote von der Autoindustrie angeboten wurde, lässt vieles offen: Es soll die Schummelsoftware eliminieren und den NOx-Ausstoß angeblich um bis zu 30 Prozent reduzieren (verbindliche Angaben über die Wirkungen blieben die Produzenten jedoch schuldig). Jeder denkende Mensch fragt sich, warum dann die Schummelsoftware überhaupt entwickelt wurde. Besitzer von Diesel-Pkws müssen jetzt Nachteile bei Spritverbrauch, Motorleistung, Reparaturanfälligkeit oder Lebensdauer befürchten.

Anrecht auf Einhaltung der Grenzwerte

Diese illegalen Praktiken erklären, warum sich die NOx-Luftbelastung an den Straßen nicht annähernd in dem Ausmaß verbessert hat, wie aus der stufenweisen Reduktion der Abgasgrenzwerte zu erwarten gewesen wäre. Die EU-Grenzwerte für die Stickstoffdioxidbelastung der Luft (Immissionen), die zum Schutz der menschlichen Gesundheit erlassen wurden, werden in Städten und an stark befahrenen Straßen massiv überschritten. Nach EU-Recht müssten sie seit 2010 eingehalten werden.

All diese Probleme bei den Dieselfahrzeugen führten zu der Entscheidung des Stuttgarter Verwaltungsgerichts, wonach Fahrverbote für Diesel-Pkws erlaubt, ja sogar erforderlich seien, um die Gesundheit der Bürger endlich effektiv zu schützen.

Konsequenzen des Dieselprivilegs

Der billige Diesel in Österreich hat noch weitere Folgen. Er verursacht Tanktourismus, zieht also Verkehr an, vor allem Lkw-Fernverkehr: Jeder dritte Lkw am Brenner nimmt einen Umweg in Kauf, das heißt, es gäbe kürzere Strecken, die nicht durch Österreich führen. Der günstige Diesel verzerrt außerdem den Wettbewerb mit der Bahn und untergräbt die politischen Ziele der Verkehrsverlagerung. Die Schweiz agiert verkehrspolitisch klüger: Verlagerungspolitik ist ein nationales Anliegen, daher ist Diesel teurer als Benzin. Deswegen ist in der Schweiz der Bahnanteil im Güterverkehr wesentlich höher als sonst in der EU.

Mit dem Tanktourismus werden unnötige Fahrleistungen verursacht: allein durch den Lkw-Umwegverkehr am Brennerkorridor jährlich rund 75 Millionen Lkw-Kilometer, die volkswirtschaftlich keinen Nutzen bringen, sondern nur schaden (verstopfte Autobahnen, Staus, Unfälle, hohe Luft- und Lärmbelastungen).

Neben den gesundheitlichen und verkehrspolitischen Auswirkungen droht auch noch finanzielles Ungemach: Wegen Nichteinhaltung der EU-Richtlinie zur Luftreinhaltung sowie der NEC-Richtlinie (nationale Emissionshöchstmengen) könnten auch noch Strafzahlungen fällig werden.

Gründe für das Steuerprivileg

Mit der steuerlichen Begünstigung von Diesel sollte ursprünglich der gewerbliche Lkw-Verkehr unterstützt werden. Es ist also ein Relikt einer überholten Verkehrspolitik. Dieses Argument ist von Politikern nicht mehr zu hören, wird doch seit Jahren die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene als verkehrspolitisches Ziel propagiert.

Nun werden Vorteile bei den Treibhausgasen als Grund für das Dieselprivileg vorgeschoben. Wegen des besseren Wirkungsgrads der Dieselmotoren wären ohne Diesel die Klimaziele in Gefahr. Das ist nur die halbe Wahrheit, also falsch. Diesel hat nämlich höhere CO2-Emissionen pro Liter Treibstoff. Dadurch wird der Vorteil des Wirkungsgrads kompensiert. Mit dem Klimaschutz kann das Steuerprivileg gegenüber Benzin sicher nicht begründet werden. Nachdem für die Klimaziele der in Österreich verkaufte Treibstoff zählt, wirkt sich der billige Diesel wegen des Tanktourismus sogar äußerst negativ auf die österreichische Klimabilanz aus. Eine klimaverträgliche Verkehrspolitik braucht jedenfalls neue Ansätze – abseits von Diesel und Benzin (siehe Kommentar der anderen von Karl Aiginger).

Gerechtigkeit, Fairness und Verkehrspolitik

Auch mit sozialpolitischen Argumenten wird versucht, das Dieselprivileg zu begründen und die MöSt-Anpassung als Anschlag auf die Pendler hinzustellen. Das ist der nächste Schwachsinn, da der Dieselanteil speziell bei den Pkws der Oberklasse, den SUVs, den Dienst- und Firmenwägen sehr hoch ist – das sind nicht die bevorzugten Autos der Pendler. Die tendenziell kleineren Benziner müssen hingegen die hohe MöSt zahlen. Zur sozialen Fairness wäre also eine Umkehrung der Steuersätze angebracht. Da die Einkommensschere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht, werden in der Politik vermehrt Begriffe wie Gerechtigkeit und Fairness strapaziert. Dazu braucht es treffsichere Sozialpolitik – keine fadenscheinige Verkehrspolitik.

Eher verschämt wird das Dieselprivileg auch mit den zusätzlichen Steuereinnahmen aus dem Tanktourismus verteidigt. Volkswirtschaftlich betrachtet, zahlt sich Tanktourismus jedoch nicht aus, da die Kostenseite gesamthaft zu betrachten ist, inklusive der negativen Wirkungen auf Gesundheit, Umwelt und Klimaschutz sowie der verkehrspolitischen Folgekosten. Nachdem die schwarz-blaue Bundesregierung beim Europäischen Rat von Laeken 2001 dem Ende der Ökopunkteregelung zugestimmt hatte – mit der die Transit-Lkws begrenzt wurden –, nahm die Zahl der Lkws auf dem Brenner rasant zu: Statt 1,6 Millionen in 2003 werden heuer rund 2,4 Millionen Lkws den Brenner passieren. Eine Steigerung um 50 Prozent (trotz Finanz- und Wirtschaftskrise). Auch ohne ganzheitlicher Bewertung der Kosten stellt sich die Frage: Sollen wir wirklich Lkws wegen Steuereinnahmen anlocken, wo die Autobahnen ohnehin voll sind?

Politischer Handlungsbedarf

Im Argumentationsnotstand bleiben den Dieselbefürwortern nur noch populistische Rundumschläge: Mit "Hysterische Kampagne gegen den Diesel", "Feldzug gegen den Individualverkehr" und Ähnliches soll von einem der größten Wirtschaftsskandale der Nachkriegszeit abgelenkt werden. In einer Täter-Opfer-Umkehr wird die Schuld für die Diskreditierung des Dieselmotors jenen angelastet, die Veränderungen in der Verkehrspolitik fordern. Beschwichtigungsstrategien der Fahrzeughersteller, Halbwahrheiten von Lobbyisten sowie die widersprüchliche, irrationale Vorgangsweise der Bundesregierung verwirren die breite Öffentlichkeit. Bevölkerung und Dieselbesitzer müssen ausbaden, was Politik und Autoindustrie eingebrockt haben (Gesundheitsschäden, Wertverluste et cetera). Zwei Jahre nachdem der Dieselskandal aufgedeckt wurde, werden noch immer Kunden durch steuerliche Kaufanreize geködert, um sie später verärgert ihrem Schicksal zu überlassen. Mit diesen falschen staatlichen Signalen wird der Dieselskandal immer mehr zum Desaster für die Politik.

Für Aiginger ist eine Zeitenwende bei Mobilitätsfragen dringend geboten: "Je früher, desto besser für Gesundheit, sozial schwächere Schichten und die Wettbewerbsfähigkeit. Denn der Vorreiter gewinnt, der Nachzügler hat die Kosten". Wann die Zeitenwende sichtbar wird, entscheidet die Politik, so Aiginger. Stimmt.

Und noch etwas: Wir Bürger dürfen demnächst bei der Nationalratswahl unsere politischen Entscheidungsträger auswählen, also die, denen wir die Entscheidungen über unsere Zukunft zutrauen und überantworten wollen. Das bedeutet, dass wir es selbst in der Hand haben, wann die Zeit für zukunftsfähige Politik anbricht. Denjenigen Politikern und Parteien, die sich populistisch nach Meinungsumfragen orientieren, die die Zeichen der Zeit negieren, wie zum Beispiel den vom Menschen verursachten Klimawandel, die der Klientelpolitik verpflichtet sind, etwa für den gewerblichen Straßengüterverkehr, trau ich die Zeitenwende jedenfalls nicht zu. (Ludwig Schmutzhard, 12.9.2017)