Danke, Fiaker: Draußensitzen wird im Rien am Michaelerplatz zur olfaktorischen Herausforderung.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Abends dürfen die Kochkönner sich spielen, da kann man sich auf erwachsene Speckrahmkutteln freuen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das Rien ist bummvoll, ein Fiaker mit zurückgestriegelten Koteletten und speckiger Melone rempelt sich durch die Barsteher. "Super, jetzt kannst da ned amoi mehr brunzen", zischt er auf dem Weg zum Klo. Seine Pferde kennen derlei Toiletteprobleme nicht.

Der Michaelerplatz, einer der prächtigsten Wiens und im Epizentrum der Touristentrampelpfade zwischen Hofburg, Hofreitschule und Hofzuckerbäckerei gelegen, wurde schon vor Jahren zum pittoresken Freiluftabort für die Zugtiere umfunktioniert. Der Platz ist mit Bedacht gewählt: Das Kopfsteinpflaster hat hier besonders tiefe Furchen, der für sein scharfes Aroma bekannte Pferdeharn kann sich auf nachhaltige Weise in die Substanz fressen.

Dass im Zentrum des Platzes ein einst von Hans Hollein zum Denkmal umgebauter Überrest eines altrömischen Kanalsystems ("Yes we had!") zu bewundern ist, akzentuiert diesen Anschlag der Kräfte der Natur auf jene der Zivilisation ins Absurde.

Gulasch ist Pflicht

Das vormalige Fake-Kaffeehaus am Eck wird seit zwei Wochen von einer Truppe motivierter, junger Gastronomen befeuert. Martin Fetz und Philipp Haufler von friendship.is (Betonküche, Feldküche ...) sind die Strippenzieher im Hintergrund, Designer Christopher Rhomberg hat die albtraumhafte Kulisse entsorgt und sparsam upgecycelt; Barkeeper Hubert Peter macht die Geschäftsführung, die Petz-Schüler Lucas Steindorfer und Simon Kotvojs die Küche, Wunder-Patissière Viola Bachmayr-Heyda zeigt, was sie bei Pierre Reboul gelernt hat.

Es geht los mit gutem Frühstück, besonders am Wochenende, wenn es etwa eine Eggs-Benedict-Variation mit Speck und Schmorgemüse unter der Hollandaise gibt. Oder karamellisierten Pfirsich mit Ricotta und Amarant, der die angedepschten Fruchtsalate des Mitbewerbs doppelt alt aussehen lässt.

Mittags wird vergleichsweise straighte Kaffeehausküche serviert, nur die Preise fallen auf erfreuliche Weise aus dem Rahmen. Gulasch ist Pflicht, und ein gutes noch dazu. Noch besser: knusprig gebackene Kräuterseitlinge mit fantastischer Salzgurken-Mayonnaise, oder ganz frische Nuri-Sardinen (sind nach dem Fangverbot wieder da!), die in der Dose mit einer Creme aus geschmortem Knoblauch und fermentiertem Dill angerichtet werden. Nicht, dass dieser grandiose Dosenfisch Verbesserung nötig hätte – hier wird er aber auf sehr geschmeidige Art aufgezwirbelt.

Sacher ohne Masoch

Die wahre Sensation sind die Preziosen aus der Patisserie: Lustvoller kann man sich den Nachmittagskaffee in Wien kaum versüßen als mit Rienna-Schnitte – einer unverschämt marillensaftigen, gemein schokoladigen Interpretation der Sachertorte –, Kukuruz-Eclair mit Zuckermaiscreme und Brombeeren (so nah am Wahnsinn) oder Bachmayr-Heydas unvergleichlicher Mohntorte.

Abends dürfen die Kochkönner sich spielen, da kann man sich auf erwachsene Speckrahmkutteln (siehe Bild) freuen, auf Wurzelwaller mit Apfelkren in köstlichem Räucherfischsud oder auf seidige, cremig gefüllte und doch bissfeste Eierschwammerlravioli, die in eher derbem Schwammerlragout versenkt werden.

Manches, wie der dekonstruierte Käsekuchen mit Ziegenkäsecreme, sandig knusprigen Cantuccini und Hollerröster, sitzt schon perfekt. Anderes, wie die tranige Lachsforelle, die in Sauerkrautsaft und Pfefferoni zu "Seeviche" werden soll, wirkt noch eher experimentell.

Hinterher sollte man versuchen, Hubert Peter zu einem Stamperl von seinem genialen Weißtannen-Likör zu überreden – einen bekömmlicheren, geschmacklich faszinierenderen Digestif hat man nämlich kaum je gekostet. (Severin Corti, RONDO, 15.9.2017)

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