Ein Idyll in Schwarz-blau-rot: Bräutigam mit blauen Happerl-Kapperl, Braut mit Burka (und Überraschungsfaktor, drunter).

Grafik: Felix Grütsch, https://derStandard.at/Gruetsch
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In der Ruhe liegt die Kraft. Diese Devise ist für eine autochthone Protestpartei in der internen und externen Kommunikation gewöhnungsbedürftig, wirkt aber als kleinster gemeinsamer Nenner für die jüngsten vier Monate FPÖ. Dreieinhalb Jahre lang, von Dezember 2013 bis Mai 2017, lag sie in der Sonntagsfrage mit wenigen Unterbrechungen voran. Seit Sebastian Kurz' Übernahme der ÖVP und der Zuspitzung auf ein Kanzlerduell mit SPÖ-Hoffnung Christian Kern teilt die Freiheitliche Partei nur noch den Stammplatz ihres Chefs Heinz-Christian Strache: Sie ist in den meisten Umfragen Dritter.

Die aus 1000 Tagen Favoritenrolle geschürten Erwartungshaltungen führen zu Fehleinschätzungen des Wahlkampfs der FPÖ. Sie ist nicht angeschlagen, sondern in einer ungewohnten Situation, auf die sie per Trial and Error reagiert. Die beste Grundlage dafür liefert ihr jene gefühlt ewige Bundespräsidentenwahl, die den Blauen nach landläufiger Einschätzung eine Niederlage beschert hat.

Freundliches Antlitz

Nicht nur der aktuelle Zustand der damals vermeintlich siegreichen Grünen weckt Zweifel an einer solchen Beurteilung. 2016 hat die FPÖ ihr Schreckgespenstimage weitestgehend minimiert. Nachdem sowohl das Burgenland als auch Oberösterreich durch ihre Regierungspartnerschaft nicht untergegangen sind, kam mit Norbert Hofer noch ein weithin wirkendes, freundliches Antlitz für die einstigen Misfits hinzu. Ein smart lächelnder Dr. Jekyll als Kehrseite zum breit grinsenden Mr. Hyde.

Also ist es keine Schwäche, sondern Ausprobieren, wenn Strache sich im ORF-Duell gegen die Grüne Ulrike Lunacek ebenso von Hofer vertreten lässt wie bei der Präsentation von Plakaten. Während die SPÖ mit Kern geradezu auf blaues Wiedererstarken hoffen muss, versucht die ÖVP unter Kurz diesen Wählerrückfluss per Franz-Josef Strauß' einstigem CSU-Dogma zu verhindern: Rechts von Türkis soll es keine demokratisch legitimierte Partei mehr geben. Das bringt die FPÖ zwar kurzfristig in Positionierungsprobleme, macht sie aber mittelfristig regierungstauglich und langfristig hoffähig.

Thematisch infolge des Rechtsrucks von Volkspartei wie Sozialdemokratie nicht mehr einzigartig, programmatisch nach Kerns "Plan A" und Kurz' Salamitaktik abgehängt, personell am Kanzlerduell nur noch rhetorisch beteiligt: Ausgerechnet diese dreifache Zähmung bringt die FPÖ zurück in ihre liebste Ausgangslage – Unterschätzung statt Überforderung. Für das von Advent 2013 bis zum Wonnemonat 2017 geschürte Szenario eines blauen Kanzlers fehlt seiner Partei die Voraussetzung. Nun ist es wahrscheinlich, dass sie als Dritter Zweiter wird und sich den Ersten aussuchen kann. Allein schon aufgrund ihrer weiter wachsenden gegenseitigen Antipathie müssten SPÖ und ÖVP sich vordringlich damit beschäftigen, wie sie den voraussichtlichen Juniorpartner in der Regierung bändigen könnten.

Parteilichkeitsstörung

Die schwarzrote Hoffnung, der noch unausgegorene Abgleich von Strache und Hofer sei eine multiple Parteilichkeitsstörung, ist vergeblich. Hinter dem Zickzack-Kurs zwischen altbekannt eher grindigen und neuerdings fast stylischen Plakaten verbirgt sich die Zielgruppensuche eines von rechter Protestgruppierung bis zu situationselastischer Populistenbewegung handlungsfähigen Kampagneapparats. Seine Unterschätzung basiert auch auf der Medienkonzentration in Wien, wo noch am deutlichsten Antifa-Reflexe gegen eine Partei zu spüren sind, die abseits von der Metropole Teil der landläufigen Verhaberung ist.

Aus dieser Perspektive ist die Nationalratswahl 2017 nicht das Finale eines jahrelangen Erfolgslaufes, der auf der Zielgeraden verloren wird. Sie wirkt wie der Startpunkt eines langen Marsches durch die Institutionen, dessen Vorläufe 2015 die Koalitionen mit der ÖVP in Linz und der SPÖ in Eisenstadt waren. Wenn Tirol, Kärnten, Niederösterreich, Salzburg 2018 wählen, stehen drei grüne Regierungsbeteiligungen zur Disposition. Sie könnten sich rechnerisch nicht mehr ausgehen. Bei Regionalisierung der nationalen schwarzroten Beziehungskrise sind die ÖVP in St. Pölten, Innsbruck und Salzburg wie die SPÖ in Kärnten für eine (Quasi-)Koalition mit der FPÖ anfällig.

Solche Perspektiven fördern auch die Frage nach der blauen Personaldecke: Wer sind wir – und wenn ja, wie wenig? Diese Formulierungsanleihe bei Richard David Precht wirkt für die Freiheitliche Partei aktuell angemessener als das Originalzitat "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?" in Anwendung auf Strache und Hofer. Die FPÖ geht mit zwei nahezu gleich populären Gesichtern auf Stimmenfang. Das funktioniert sogar ohne Antlitz: Während Hofers Präsentation des Wahlprogramms auf Youtube nur 1500-mal angeklickt wurde, erreichen "Die Hubers" ein Massenpublikum. In den ersten beiden Mini-Sitcoms gegen "offenen Zugang zu unserem Sozialsystem" ist Strache am Ende lediglich zu hören. Als Zwangsbeglückung bzw. Werbevorspann für Youtube-Nutzer erreichen diese Videos 1,5 Millionen Aufrufe pro Folge. Der FPÖ-Wahlkampf wirkt nur abseits der blauen Zielgruppen ungewöhnlich ruhig. Er entzieht sich mehr als alle anderen der herkömmlichen massenmedialen Wahrnehmung. (Peter Plaikner, 15.9.2017)