Schwämme vor Ost-Indonesien.

Foto: GFZ/M. Tatzel

Mikroskopische Aufnahme einer silikatischen Schwammnadel, die in einem kambrischen Tonstein erhalten ist.

Foto: M. Tatzel, GFZ

Graz/Berlin/Potsdam – Vor etwa 540 Millionen Jahren stieg die Zahl der Tierarten auf der Erde sprunghaft an. In dieser Phase des frühen Erdzeitalters Kambrium erschienen innerhalb von wenigen Millionen Jahren praktisch alle heute existierenden Tierstämme. Laut einer neuen Studie von Grazer und Berliner Wissenschaftern könnten Meeresschwämme die Grundlage für diese "kambrische Explosion" geschaffen haben.

Schon Charles Darwin grübelte über das ziemlich abrupte Einsetzen einer vielgestaltigen Tierwelt. Was letztlich den plötzlichen Sprung in der Evolution auslöste, ist bis heute ungelöst, auch wenn unterschiedliche genetische, ökologische und geologische Ursachen diskutiert werden.

Anstieg der Sauerstoffkonzentration

In der urzeitlichen Welt des Kambriums enthielten die damaligen Ozeane vorerst noch so wenig Sauerstoff, dass heutige Fische dort schnell sterben würden. Für die an der TU Graz lehrende Geowissenschafterin Dorothee Hippler ist klar, dass für die Entstehung komplexer Lebensformen ein Anstieg der Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre und im Meerwasser vorausgesetzt werden muss. "Da mehrzellige Organismen Sauerstoff zum Atmen benötigen, war das für die Entstehung sichtbaren Lebens entscheidend", so die Forscherin.

Gemeinsam mit Kollegen der TU Berlin, dem Deutschen Geoforschungszentrum und der Freien Universität Berlin konnte Hippler in "Nature Communications" zeigen, dass Kieselschwämme zu dem deutlichen Konzentrationsanstieg von freiem Sauerstoff im Meerwasser und der Atmosphäre beigetragen haben dürften. Die Wissenschafter haben dazu Gesteinsproben aus Südchina mit Massenspektrometern unter die Lupe genommen.

Silikatische Schwämme

Die urzeitlichen Kieselschwämme zeichneten sich durch ihre siliziumreichen Skelettnadeln aus, die in feinsten Spuren in silikatischen Tonsteinen und Feuersteinen, sogenannten Cherts, bis heute erhalten geblieben sind. Mittels Isotopenmessung haben die Forscher in Deutschland auf die einstige Häufigkeit der silikatischen Schwämme in der chinesischen Region schließen können.

"Unsere Rekonstruktionen zeigen eine ansteigende Häufigkeit silikatischer Schwämme in Sedimenten, die zwischen dem Präkambrium und dem Kambrium am Kontinentalhang der heutigen Jangtse-Plattform abgelagert wurden", sagte Michael Tatzel vom Helmholtz-Zentrum Potsdam. "Das Silizium in unseren Proben dokumentiert, dass die Bedeutung, also die Menge an Schwämmen, zugenommen haben muss", ergänzte Hippler.

Gebremstes Algenwachstum

Mithilfe von geochemischen Indikatoren, die empfindlich auf die Sauerstoffkonzentration im Wasser reagieren, fanden die Forscher heraus, dass nicht nur die Menge an gelöstem Sauerstoff, sondern auch die Menge von im Sediment eingelagerten Kohlenstoff zugenommen hat. Das erklären sich die Experten mit der Fähigkeit der Schwämme, bei der Nahrungsaufnahme organischen Kohlenstoff aus dem Meerwasser zu filtern. Dies habe wiederum die Oxidation des organischen Kohlenstoffes erschwert beziehungsweise in tiefere Wasserschichten verschoben.

Durch die dadurch steigende Löslichkeit des Sauerstoffs im Wasser konnten wiederum Phosphate besser im Sediment gebunden werden. Die verringerte Phosphatkonzentration im Meerwasser habe schließlich das Wachstum von Algen eingeschränkt, durch deren Oxidation im Meerwasser bis dahin viel gelöster Sauerstoff verbraucht wurde.

Die aktuellen Untersuchungsergebnisse würden laut Tatzel stichhaltige Hinweise für die Hypothese liefern, dass Schwämme die Sauerstoffkonzentrationen im Meerwasser ansteigen ließen. Laut den Forschern sei es "gut möglich", dass dadurch die benötigte Mindestkonzentration für mehrzellige Lebewesen überschritten und somit die "kambrische Explosion" starten konnte. (APA, red, 25.9.2017)