Bundeskanzler Christian Kern stellte sich am Donnerstag den Fragen der STANDARD-Leser. Für ÖVP-Chef und Integrationsminister Sebastian Kurz setzte es Kritik: "Der, der eigentlich für die Integration die Verantwortung trägt, ist der, der die Probleme zwar lautstark beklagt, aber wenig zur Lösung der Probleme beiträgt."

Foto: Matthias Cremer

Wien – Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern beantwortete am Donnerstag im Chat Fragen der STANDARD-User. Zum Thema Föderalismus und der Zuständigkeit von Bund und Ländern erklärte Kern, dass er nach der Wahl, so er noch Bundeskanzler sein sollte, eine Volksabstimmung abhalten möchte, "um festzulegen, wer in Zukunft allein verantwortlich dafür zuständig sein soll".

Kern: "Mit Gesprächen hinter verschlossenen Türen kommt man bei der aktuellen Realverfassung Österreichs nicht sehr weit. Deshalb braucht man da ein brachialeres Vorgehen." Kern verwies darauf, dass in vielen großen Ausgabebereichen wie Pflege, Gesundheit und Schule der Bund, die Länder und die Gemeinden teilzuständig seien. "Das ist ineffizient und teuer. Bislang sind die Versuche, das neu zu ordnen, an den Ländern und an der neuen ÖVP gescheitert."

Jahrelang weggeschaut

Auf die Frage, was er den Eltern einer Neunjährigen sage, die als eines von drei Mädchen ohne Kopftuch die vierte Klasse der Volksschule besucht und außerdem nur fünf Mitschüler hat, mit denen sie sich in ihrer Sprache unterhalten kann, erklärte der Kanzler: "Das geht gar nicht. Die Politik hat jahrelang bei der Integration weggeschaut und zu wenig gemacht." Kern griff in dieser Frage seinen Konkurrenten, ÖVP-Chef Sebastian Kurz, direkt an: "Der, der eigentlich für die Integration die Verantwortung trägt, ist der, der die Probleme zwar lautstark beklagt, aber wenig zur Lösung der Probleme beiträgt." Das müsse sich ändern.

Sein Ziel sei es, wesentlich mehr Lehrer und Sozialarbeiter in die Schulen zu bringen und die Sprachförderung zu intensivieren. Genauso brauche es das zweite verpflichtende Kindergartenjahr mit verpflichtenden Deutschkenntnissen beim Schuleintritt. Kern sprach sich außerdem dafür aus, "weiteren Zuzug aus wirtschaftlichen Gründen auf null zu reduzieren".

Symbole der Unterdrückung

Den Beschluss, die Vollverschleierung zu verbieten, verteidigte der Kanzler: "Ich halte Nikab und Burka tatsächlich für Symbole der Unterdrückung. Sozialdemokraten haben für die Gleichberechtigung der Frauen und eine offene und pluralistische Gesellschaft gekämpft. Meine Bereitschaft, salafistische und daran angrenzende faschistoide Ideologien zu akzeptieren, ist nicht vorhanden." Er könne auch das Argument nicht akzeptieren, dass Frauen dadurch erst recht unterdrückt würden und das Haus nicht verlassen dürften. Für solche Fälle gebe es ein Gewaltschutzgesetz und die Zuständigkeit der Polizei.

Kern gab dem Fragesteller allerdings in seiner Kritik an der "Symbolpolitik" recht. Hier werde "von manchen eine gesellschaftliche Stimmung erzeugt, die sich ganz generell gegen eine bestimmte Religionsgemeinschaft richtet – die österreichischen Moslems". Er könne nur warnen: "Wenn man sich jetzt Sündenböcke sucht und die Gesellschaft spaltet, wird das Folgen haben."

Kritik an Großspendern

Auf die Frage, ob er eine Koalition mit der FPÖ ausschließen könne, antwortete Kern ausweichend. "Wir haben 30 Jahre lang die Frage mit einem grundsätzlichen Nein beantwortet. Das Ergebnis war, dass sich die FPÖ beleidigt in eine Ecke gestellt hat und jeden inhaltlichen Dialog verweigern konnte. Wir haben ein Programm vorgelegt, das man Punkt für Punkt ganz offen diskutieren kann, und genau das möchte ich tun." Die FPÖ vertrete keineswegs die Interessen der Mittelschicht oder des sprichwörtlichen kleinen Mannes.

Zum Abschluss erklärte Kern, dass die kommende Wahl "eine echte Richtungsentscheidung für unser Land" sei. "Es geht nicht um die Frage der Veränderung – dass es solche braucht, darüber gibt es ohnehin einen Konsens. Aber es geht sehr wohl um die Frage, welche Art von Veränderung das sein soll. Eine im Sinne der Mehrheit oder eine, die vor allem den politischen Großspendern und einigen wenigen zugutekommt." (red, 28.9.2017)