Wie lange gestillt wird, sollte eine gemeinschaftliche Entscheidung von Mutter und Kind sein, so die Österreichische Stillempfehlung.

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Viele Mütter fühlen sich unsicher, wenn es darum geht, wie lange sie ihr Baby stillen sollen. Es gibt zwei Orientierungshilfen. Erstens: Die Österreichische Stillempfehlung der Nationalen Ernährungskommission. Sie ist von den europäischen und internationalen Standards wie jenen der Weltgesundheitsorganisation WHO abgeleitet und besagt: Je nach individueller Entwicklung des Kindes soll um den sechsten Lebensmonat mit Beikost begonnen werden. Allerdings nicht vor der 17. Lebenswoche und nicht nach der 26. Lebenswoche.

Die zweite Orientierungshilfe: Wie lange eine Mutter tatsächlich stillt, müssen Mama und Baby gemeinsam entscheiden. "Es ist wichtig, dass Eltern dabei auf ihr Bauchgefühl hören und auf die Signale des Babys achten", erklärt Anita Schoberlechner, zertifizierte IBCLC-Stillberaterin (International Board Certified Lactation Consultant) und Präsidentin des Verbandes der Still- und Laktationsberaterinnen Österreich (VSLÖ).

Entwicklungsprozesse beobachten

Das Baby durchläuft im ersten Lebensjahr enorme Entwicklungs- und Reifungsprozesse, der Zungenstoßreflex verschwindet rund um den sechsten Lebensmonat und das Baby beginnt, Interesse am Essen zu zeigen. Eltern erkennen, dass ihr Nachwuchs bereit fürs Zufüttern ist, wenn das Kind bei den gemeinsamen Familienmahlzeiten gierig nach ihrem Essen schaut, vielleicht sogar auch mit den Händen danach greift oder zu schmatzen beginnt. Kurzum: Die Eltern sind Vorbild – auch, was das Essen betrifft.

Abstillen ist eine gemeinschaftliche Entscheidung

Die Österreichische Stillempfehlung legt Müttern nahe: Selbst wenn das Baby bereits Beikost isst, soll so lange weiter gestillt werden, wie Mutter und Kind es wollen. Die WHO spricht vom zweiten Geburtstag und darüber hinaus. "Wann wirklich abgestillt wird, ist eine individuelle, gemeinsame Entscheidung von Mutter beziehungsweise Eltern und Kind", so Schoberlechner.

Werden Kinder relativ lange gestillt, handelt es sich dabei erfahrungsgemäß meistens um sogenanntes Troststillen. "Dabei geht es viel um die Bindung und die Beziehung zwischen Mutter und Kind, es sind einzelne Mahlzeiten, etwa wenn das Kind schlecht träumt, zahnt, sich verletzt oder krankt ist."

Muttermilch hat mehr als 200 Inhaltsstoffe

Theoretisch gesehen können Frauen lange stillen. "So lange der Körper die entsprechende Information – das Saugen oder Pumpen – erhält, so lange produziert er Milch", erklärt Schoberlechner. Darüber hinaus stillen sich manche ältere Kinder sozusagen selbst ab, indem sie aufhören, an der Brust der Mutter zu saugen.

Die Zusammensetzung der Muttermilch verändert sich laufend und passt sich dem Alter des Kindes an. Sie besteht aus mehr als 200 Inhaltsstoffen, darunter vor allem Eiweiß, Fette, Kohlenhydrate, Mineralstoffe sowie wichtige Enzyme und antimikrobielle Faktoren. Die Muttermilch schützt Babys vor Infektionen, fördert eine optimale neuromotorische Entwicklung, hilft dabei, Allergien zu vermeiden und das Risiko für Adipositas zu senken.

Wissenschaftliche Studien geben laut Österreichischer Stillempfehlung Hinweise darauf, dass gestillte Kinder später seltener an Diabetes, Fettstoffwechselstörungen und Krebs erkranken. Frauen, die lange gestillt haben, weisen demzufolge ein geringeres Risiko auf, an Brustkrebs zu erkranken oder bösartige Tumore in den Eierstöcken zu entwickeln.

Zu Beginn wird häufiger gestillt

Wie häufig eine Frau stillt, ist ebenfalls individuell verschieden. In den ersten Wochen nach der Geburt ist es wichtig, dass das Neugeborene oft genug an der Brust saugt und trinkt. Erstens aktiviert der Saugvorgang die Hormone für die Milchproduktion. Zweitens braucht das Baby in dieser Phase öfter kleine Mengen Muttermilch, um sich gut zu entwickeln und zuzunehmen. Die ersten Tropfen nach der Geburt bezeichnet man als Kolostrum oder Vormilch.

Für die ersten Tage und Wochen nach der Geburt gilt deshalb die Richtlinie von acht bis zwölf Stillmahlzeiten innerhalb von 24 Stunden. "Ich empfehle eher zehn bis zwölf", sagt Schoberlechner. Wachen Babys nicht alleine auf um zu trinken, soll man sie wecken, damit sie ausreichend Muttermilch zu sich nehmen und die Milchproduktion angeregt wird, betont die Expertin.

Stillritual pendelt sich ein

Nach den ersten vier bis sechs Wochen hat sich das Stillritual meistens eingependelt. Es ist von Kind zu Kind unterschiedlich und liegt in der Regel bei rund acht bis zehn Mahlzeiten. Hat das Baby einen Entwicklungs- oder Wachstumsschub, saugt es manchmal öfter an der mütterlichen Brust. Für die Mutter ist das eine wertvolle Information: Es wird Nachschub benötigt, die Milchproduktion angekurbelt – ein Kreislauf in Gang gesetzt.

Keine Angst vor Cluster-Feeding

Eltern tun gut daran, zu wissen: Viele Babys haben eine bestimmte Tageszeit, während der sie unruhig und weinerlich sind, immer nur kurz trinken und dafür viel herumgetragen werden wollen. "Meistens ist das die Zeit zwischen 17 und 23 Uhr", erklärt Schoberlechner. "Das Baby ist nicht etwa krank, es will nur viel saugen, kuscheln und getragen werden.

Dadurch wird das so genannte Kuschelhormon Oxytocin aktiviert, das für die Milchbildung nötig ist. Diese täglichen Phasen werden in der Fachsprache Cluster-Feeding genannt. "Wenn man weiß, dass das ganz normal ist und dazu gehört, kann man viel entspannter mit der Situation umgehen."

15 bis 20 Minuten pro Stillmahlzeit

Abgesehen vom Cluster-Feeding dauert eine Stillmahlzeit optimalerweise rund 15 bis 20 Minuten. "Wichtig ist, dass das Baby jeweils ungefähr 20 Minuten an einer Brust durchtrinkt, weil erst nach der Halbzeit die noch fettere Milch nachkommt", erläutert die Stillexpertin. Idealerweise wird am Anfang an beiden Brüsten gestillt, um die Milchproduktion gleichmäßig anzukurbeln.

Schnuller nur in Maßen einsetzen

Dass man vor allem in der ersten Zeit auf einen Schnuller verzichten beziehungsweise sehr bewusst damit umgehen sollte, hat Schoberlechner zufolge zwei Gründe: Erstens fehlt der Mutter oft die Information zur Milchproduktion, wenn das Baby statt an ihren Brüsten am Schnuller saugt. Das kann zu einer Reduktion der Milchmenge führen. Zweitens kann sich das Baby nur durch Weinen ausdrücken. Und Weinen bedeutet, dass die Eltern auf die Bedürfnisse reagieren sollten, anstatt das Baby mit einem Schnuller zu versorgen. (Maria Kapeller, 2.10.2017)