Viele Westkameruner sehen sich von der Regierung vernachlässigt und wollen sich abspalten.

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Yaoundé/Johannesburg – Nicht nur Katalanen und Kurden kämpfen für einen eigenen Staat: Auch ein wachsender Anteil der englischsprachigen Bevölkerung im Westen Kameruns will sich von dem bisher rund 22 Millionen Einwohner zählenden zentralafrikanischen Land abspalten, das seit 35 Jahren von dem inzwischen 84-jährigen Autokraten Paul Biya regiert wird. Am Wochenende kam es wegen der über die sozialen Netzwerke erklärten Unabhängigkeit "Ambasoniens" durch "Präsident" Sisiku Ayuk zu Zwischenfällen im anglofonen Teil Kameruns, die mindestens 17 Menschenleben kosteten. Sie wurden von Soldaten getötet, deren Vorgesetzte die Westprovinzen des Landes in einen Ausnahmezustand versetzt hatten.

In der Stadt Kumbo kamen alleine sechs Menschen durch Armeekugeln ums Leben: Fünf davon sollen versucht haben, aus dem Gefängnis zu entkommen. Ein Demonstrant wurde erschossen, als er die blau-weiße Flagge der Separatisten in der Stadtmitte hissen wollte. Und einen weiteren Mann töteten die Sicherheitskräfte beim Versuch, in die abgeriegelte Stadt Buea zu gelangen. Dort marschierten hunderte Demonstranten zum Sitz des Gouverneurs, wurden jedoch von Soldaten unter Einsatz von Schlagstöcken und Tränengas vertrieben. "Das Militär, das eigentlich die Bevölkerung und deren Eigentum schützen sollte, ist zu unserem größten Albtraum geworden", sagte ein Kundgebungsteilnehmer.

Viele englischsprachige Kameruner – sie machen rund ein Fünftel der Bevölkerung aus – protestieren seit fast einem Jahr gegen Benachteiligung, die sich in sprachlicher Diskriminierung, mangelnder Repräsentation in staatlichen Instanzen sowie in einer zunehmenden Zentralisierung niederschlage.

Hunderte Festnahmen

In den vergangenen Monaten wurden Hunderte von ihnen festgenommen: Einige von ihnen müssen sich wegen Landesverrats verantworten, der die Todesstrafe nach sich ziehen kann. Von Regierungsvertretern in Yaoundé werden die Demonstranten als "Terroristen" bezeichnet: Auf seiner Facebook-Seite brandmarkte Präsident Biya ihren "Ungehorsam".

Die einstige deutsche Kolonie Kamerun war nach dem Ersten Weltkrieg zwischen der englischen und französischen Kolonialmacht aufgeteilt worden. Nach der Unabhängigkeit des französischen Teils des Landes im Jänner 1960 sprachen sich die anglofonen Westkameruner am 1. Oktober 1961 für eine Wiedervereinigung aus – allerdings unter der Voraussetzung einer Föderation, die weitgehende Autonomie und Gleichberechtigung vorsah. 1972 wurde das föderale Regierungssystem allerdings eingeschränkt und unter Präsident Biya 1984 vollends aufgehoben. Die Klagen der anglofonen Bevölkerung reichen bis zu dieser Zeit zurück.

Statt mit politischen Gesprächen auf die Beschwerden einzugehen, sucht Biya die Revolte mit Gewalt zu zerschlagen. Gegen die von Anwälten und Studenten ausgehenden Proteste setzte die Regierung das Militär ein: Drei Monate lang wurde außerdem der anglofone Landesteil vom Internet abgeschnitten. Als sich mit Demonstrationen von 50.000 Menschen eine neue Protestwelle abzeichnete, verwandelte das Militär die beiden aufständischen Provinzen in ein Belagerungsgebiet: Die Grenzen nach Nigeria wurden geschlossen, der Zugang zum Internet wieder abgestellt, Ansammlungen von mehr als vier Menschen untersagt. Mit solchen Maßnahmen erziele Biya das Gegenteil seiner Absicht: Nachdem die Westkameruner zunächst nur die Wiederherstellung der Föderation gefordert hätten, treten sie nun immer mehr für eine Abspaltung ein. (Johannes Dieterich, 2.10.2017)