2017 ist das Jahr des Comebacks von Nokia. Einst Marktführer bei klassischen Handys, verloren die Finnen in der Smartphone-Ära den Anschluss. Ein ambitioniertes, aber letztlich gescheitertes Jointventure mit Microsoft und seinem mobilen Windows-System später ist man unter die Android-Hersteller gegangen.

Nach dem Nokia 3, 5 und 6, die das Einsteiger- und Mittelklassesegment bedienten, schickte man mit dem Nokia 8 auch ein erstes Flaggschiff an den Start. Wie sich dies vom Partnerunternehmen HMD Global produzierten Telefone im Feld aktueller Spitzengeräte schlägt, hat der WebStandard in einem Test herausgefunden.

Foto: derStandartd.at/Pichler

Gut verarbeitet, aber üppige Ränder

In mattem Dunkelblau kommt es daher, das Testhandy mit dem Nokia seiner Konkurrenz im Highend-Feld die Stirn bieten möchte. Mit 599 Euro – der Straßenpreis ist mittlerweile bei rund 540 Euro angekommen – matcht man sich etwa mit dem Huawei P10. Allerdings ist auch Samsungs Galaxy S8 mittlerweile in dieser Preisregion gelandet.

Verarbeitungstechnisch macht das "8er" prinzipiell eine gute Figur. Das Handy ist schlank gehalten, "randloses" Design gibt es hier aber nicht. Im Gegenteil: Insbesondere der obere und untere Rand sind recht groß gehalten. Auch die seitlichen "Bezels" fallen vergleichsweise üppig aus, behindern aber durch praktische Abrundung nicht die Handhabe des Geräts.

Hilfreich ist hier auch, dass das Display mit einer Diagonale von 5,3 Zoll etwas kleiner ausfällt, als das der meisten anderen Smartphones in diesem Segment, die üblicherweise 5,5 Zoll oder mehr aufweisen. Die Maße: 152 x 74 x 8 Millimeter bei 160 Gramm Gewicht.

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Die Hardware ist eingepackt in wertig wirkendes Alumimium. Am rechten Rand sitzen eine Lautstärkewippe sowie ein Ein-/Ausschalter, der eine Spur mehr Spiel hat, als er haben sollte. Links findet sich der SIM-Einschub. Oben befindet sich der 3,5mm-Klinkenstecker für Kopfhörer und Headsets. Die Unterseite beherbergt den USB-C-Anschluss (USB 3.1) für Dateiaustausch und Aufladen sowie den Lautsprecher.

Auf der Rückseite prangt prominent das Kameramodul. Dem runden Layout, wie man es unter der mittlerweile von Microsoft übernommenen und praktisch eingestellten Lumia-Marke kannte, ist einem vertikalen Streifen gewichen. Dort zu finden: Zwei Linsen, ein Blitz und der Autofokus. Der Bildschirm selbst wiederum wird flankiert von Ohrhörer und Frontkamera sowie einem Fingerabdruckscanner.

Problematische Spaltmaße sind nicht zu entdecken. Die Rückseite ist allerdings recht glatt ausgefallen. Obwohl das Handy ergonomisch gelungen ist, ist die Nutzung einer Schutzhülle wohl ratsam. Denn in vielen Fällen wird man etwas Fingerakrobatik betreiben müssen, wenn man das Handy einhändig verwenden will.

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Gewohnte Flaggschiff-Ausstattung

Das Innenleben gleicht den meisten anderen Spitzenhandys dieses Jahres weitestgehend. Als Motor dient Qualcomms Snapdragon 835, der mit vier GB RAM zusammenarbeitet. Der interne Speicherplatz ist mit 64 GB bemessen und kann per microSD-Karte aufgestockt werden. In der DualSIM-Ausgabe des Nokia 8 muss dafür allerdings ein SIM-Slot geopfert werden. Das Handy ist vor einiger Zeit auch als Variante mit 128 GB Onboardspeicher und sechs GB RAM verfügbar geworden, auf welche sich dieser Test aber nicht bezieht. Von den 64 GB des Rezensionsgeräts waren nach dem Start rund 16 GB mit Betriebssystem und vorinstallierten Apps belegt.

Weiters dabei: LTE-Support, 802.11ac-WLAN, Bluetooth 5.0 und NFC. Hervorzuheben ist der Bildschirm (IPS-LCD): Er ist mit einer Auflösung ist mit 2.560 x 1.440 Pixel bereit für VR-Einsatz, wenngleich Nokia hierzu noch keine Pläne verlautbart hat und das Handy auch nicht unter den für Google Daydream-zertifizierten Geräten auftaucht. Hauptsächlich besticht er mit kräftiger, realistischer Farbdarstellung und hoher Helligkeit. Und auch unter Sonnenlicht ist er gut ablesbar, da er nicht stark spiegelt.

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Pures Android

Vorinstalliert ist Android 7.1 "Nougat". Puristen werden sich in puncto Software über dieses Smartphone freuen. Denn abseits einer eigenen Kamera-App sowie einem Programm für Zugang zum Kundensupport "Nokia Care" sind hier nur diverse Google-Services an Bord. Auch auf Anpassungen der Systemoberfläche hat man verzichtet. Sicherheitsupdates sind bisher recht zeitnah erfolgt.

Nokia scheint hier auf den Spuren der Nexus- und Pixel-Reihe von Google zu wandern. Einzig die Aktualisierung auf Android 8 "Oreo" steht noch aus. Sie soll noch im Laufe des Oktober erfolgen.

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Ordentliche Performance

Gemäß Benchmarktests hat Nokia bei der Optimierung der Software gute Arbeit geleistet. Mit rund 175.000 Zählern im Allround-Test von Antutu liegt es über dem Level von Samsungs Galaxy S8. Im Grafik-Leistungstest 3DMark (Sling Shot Extreme) lässt es das Handy des koreanischen Konkurrenten ebenfalls knapp hinter sich. Hierzu muss jedoch gesagt werden, dass das S8 mit 2.960 x 1.440 Pixel mit einer höheren Auflösung arbeitet.

In der Praxis lassen sich die Werte bestätigen. Auch unter der Last aufwändiger 3D-Games gerät das Nokia 8 nicht ins Stocken. Gleichzeitig hält sich die Wärmeentwicklung in angenehmen Grenzen. Hier scheint sich das von HMD selbst entwickelte Kühlsystem gut bemerkbar zu machen. Einzig App-Installationen könnten einen Tick schneller gehen, hier ist subjektiv etwa das OnePlus 5 spürbar flotter.

Inkonsistente Kamera

Über die Kamera lässt sich leider kein so positives Fazit fällen. Dabei liest sich die technische Ausstattung vielversprechend. Sie verwendet zwei Sensoren mit 13 Megapixeln in Kombination mit dualem Fokus (Laser, Phase Detection) sowie optischer Bildstabilisierung. Ergänzt wird das Setup mit einem Dual-LED-Blitz. Doch die Ausstattung wird scheinbar nur unzureichend genutzt.

Sind die Lichtbedingungen unter Tage okay, gelingen Fotos, die in puncto Detailgrad und Schärfe ungefähr auf dem Level des Huawei P10 liegen. Jedoch fallen die Aufnahmen tendenziell einen Tick dunkler und weniger farbenfroh aus. Erschwerend kommt hinzu, dass die automatische Belichtung unter Bedingungen mit höherem Lichtkontrast sehr "unrund" arbeitet. Es passiert schnell, dass der Hintergrund sehr stark "ausgebleicht" wird, während der Vordergrund zu dunkel ausfällt – oder umgekehrt. Das Handy tut sich auch schwerer mit Gegenlicht, als viele andere Flaggschiffe.

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Sieht man genauer hin, so entdeckt man auf einfärbigen, dunkleren Flächen selbst bei Tagaufnahmen ein etwas erhöhtes Grundrauschen. Was hier noch nicht auffällt, tritt bei Dämmerungs- Kunstlicht- oder Nachtfotos deutlicher zu Tage, wenn nicht gerade softwareseitig deutliche Rauschkorrektur erfolgt, die wiederum kleine Details gerne eliminiert. Unter schlechteren Lichtbedingungen gibt sich der sonst flotte Fokus außerdem unangenehm träge.

Enttäuschende Fotoleistung

Würde es sich beim Nokia 8 um ein Handy im 300 Euro-Segment handeln, könnte man trotzdem noch von einer sehr guten Kamera sprechen. Für einen Nennpreis von 600 Euro wird allerdings zu wenig geboten bzw. gibt es zu viel überlegene Konkurrenz. Neben dem bereits erwähnten P10 wäre da etwa das OnePlus 5 zu nennen, dessen 64 GB-Variante um 100 Euro weniger kostet.

Natürlich besteht das Potenzial, das Hersteller HMD hier per Softwareupdate nachbessert oder man mit einer anderen Kamera-App besser Fotos erzielt – als Ausgangsposition ist dies allerdings für die Marke, die sich mit ihren "Pureview"-Kameras auf diversen Windows Phones in Sachen Smartphone-Fotografie einen guten Namen erarbeitet hat, aber nicht gerade optimal. Immerhin: Die Frontkamera, 13 Megapixel mit Phase Detection-Autofokus, werkt passabel und hält auch mit der Oberliga mit.

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Viele Funktionen

Die mäßig intuitive zu bedienende Kamera-App bietet neben einem Zugriff auf die üblichen Aufnahmemodi und manuelle Einstellungen auch, wie nunmehr modern, einen "Bokeh"-Modus für stärkere Hintergrundunschärfe, dessen Kantenerkennung allerdings bei einem Abstand von 1,5 Metern bereits deutliche Aussetzer zeigt. Was überraschend fehlt, ist ein "verlustfreier" Zweifach-Zoom, wie ihn praktisch jedes andere Dualcam-Gerät besitzt.

Man kann Fotos und Videos mit gleichzeitiger Verwendung der Front- und Rückkamera aufnehmen, was Nokia als "Bothie", also "Selfie für zwei" anpreist. Die Idee ist nett, erweckt aber nicht den Eindruck eines "Killerfeature". Zudem ist die gleichzeitige Verwendung von Front- und Hauptkamera auch nicht neu. Immer wieder haben Smartphone-Hersteller entsprechende Lösungen produziert. Beispielsweise bot Samsung beim Galaxy S4 die Möglichkeit, den eigenen Kopf im Kleinformat ins Eck einer Aufnahme mit der rückseitigen Kamera zu platzieren. Wer will, kann auch direkt einen Livestream aus der App heraus starten. Allerdings bieten die eigenen Apps der entsprechenden Plattformen hierfür überlegene Lösungen an.

Gelungene Akustik

Besser eingelöst hat man hingegen das Versprechen guter Akustik. Nimmt man im Dualsight-Modus Videos auf, soll dank der der integrierten Mikrofone eine "360-Grad-Audio"-Aufzeichnung erfolgen. Der Unterschied zu regulären Aufzeichnungen ist mit 2.1-Lautsprechern bzw. einem Stereo-Headset nicht wirklich identifizierbar, tatsächlich klingt aufgenommene Akustik aber sehr "räumlich".

Generell zeichnet das Nokia 8 Sound sehr laut und für ein Handy ausgesprochen klar auf. Eine Soundprobe findet sich unter diesem Link, sie wurde aus rund einem Meter Entfernung aufgezeichnet, wobei das Handy auf einem Tisch auflag. Verwendet wurde die App Easy Audio Recorder Pro mit Voreinstellungen für hohe Qualität und Aufzeichnung von Musik.

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Bei der Telefonieakustik vermag das Handy das Niveau nur teilweise zu halten. Man selbst wird klar und deutlich verstanden. Die Geräuschunterdrückung über die integrierten Mikrofone arbeitet sehr zuverlässig. Wahrlich keine Wunder vollbringt jedoch der Ohrhörer. Er liefert zwar eine laute Wiedergabe, die jedoch dumpf und blechern klingt. Für mobile Maßstäbe passabel arbeitet der integrierte Lautsprecher des Nokia 8, sofern man ihn nicht zu laut dreht. Gut klingt die Wiedergabe per Kopfhörer über den Klinkenstecker. Dem Smartphone ist auch ein sehr taugliches In-Ear-Headset beigelegt.

Passable Akkulaufzeit

Womit zu guter Letzt noch ein Blick auf die Akkulaufzeit bleibt. Wer sich angesichts des Namens Nokia hier die Ausdauer eines 3310 erwartet, legt definitiv einen zu hohen Maßstab an. Mit 3.090 mAh liegt die Kapazität der fix verbauten Batterie im Mittelfeld im Vergleich mit anderen Flaggschiffen. Bei normaler Nutzung mit gelegentlichem Browsen, Kommunizieren, Spielen und Fotos kommt man recht sorglos über den Tag. Sparsame Nutzer sollten sogar noch ein paar Reserven haben.

Wem der "Saft" auszugehen droht, der darf sich über die Unterstützung von Quickcharge 3.0 freuen. Damit soll das Nokia 8 binnen 30 Minuten von null auf 70 Prozent laden. Dafür sollte man aber das mitgelieferte oder ein explizit für Quickcharge zertifiziertes Ladegerät nutzen. Verwendet man einen generischen smarten Charger, der maximal, 2,1 Ampere bei 5 Volt liefert, reicht es immerhin noch für rund 50 Prozent in einer halben Stunde.

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Fazit

Spitzensmartphones, die gegen Ende der Release-Saison vorgestellt werden, haben es naturgemäß schwerer. Als Nokia das "8" im September enthüllte, hatte die Konkurrenz bereits einige neue Highendmodelle am Start, an denen es sich messen lassen muss. Und hier fällt das Ergebnis nüchtern aus.

Hardwareseitig ist das Nokia 8 auf dem Level der Konkurrenz, hier kommen die Hersteller am Snapdragon 835 von Qualcomm auch kaum vorbei. Eines der wesentlichsten Features für viele Nutzer ist allerdings die Kamera – und hier gibt es sowohl über, als auch im Preisbereich dieses Smartphones Alternativen, die mehr bieten. Dazu muss man nicht einmal zum mittlerweile günstiger gewordenen Galaxy S8 schauen, sondern kann auch auf das Huawei P10 oder OnePlus 5 verweisen.

Wer mit dem Handy viel Audio aufzeichnen möchte und generell gute Akustik schätzt, ist beim Nokia 8 hingegen gut aufgehoben, ebenso auch Puristen, die auf ein unverändertes Android-System Wert legen. Ob man die bislang hohe Updatefrequenz aufrecht erhalten kann, bleibt aber noch abzuwarten. Wenngleich der finnische Androide gut verarbeitet ist und einen tollen Bildschirm mitbringt, fehlt es ihm sonst an Mehrwert, der ihn unter all der Auswahl im Bereich von 500 bis 600 Euro zum "Must have" macht. (Georg Pichler, 08.10.2017)

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