Wenn man von einem Randler redet, der ich ja lebenslänglich war, muss man sich einen vorstellen, der sich jedem Sport verweigert und aufs Eis geht. Einen, der dort nur herumrast oder flirtet oder in der Sonne sitzt oder am Buffet und dann wieder fährt. Einen, der Fangerl spielt oder abpassen, der keinen Dreier dreht, nicht Eishockey spielt. Einen, der nur am Eis klebt und herumrandelt – so haben wir das genannt. Und das war immer mein Zugang. Der Randler steht und fährt am Rand herum. Er schmiert das Reindl aus sozusagen.

"Man war dort zu Hause, das war wie ein Raum mit frischer Luft."

Ich bin am Wiener Eislauf-Verein aufgewachsen als Randler. Und abgetreten als Randler. Gut zehn Jahre ist das jetzt her. Da bin ich angefahren worden und umgefallen. Und das war für mich der Schlussstrich. Ich hab mir ein bissel wehgetan, nicht sehr. Aber ich bin halt gefallen, das war das Entscheidende. Bis dahin ist, wenn ich gerempelt wurde, immer der andere gefallen.

Otto Schenk hatte als WEV-Präsident die Schlittschuhe im Griff.
Foto: Privatarchiv Reinhold Seeböck

Der Eislaufverein war die Schwänzgegend, wo man oft statt der Schule oder statt der letzten Stunde, die man sich geschenkt hat, Zeit verbracht und andere Schwänzer getroffen hat. Er war immer was Gaunerisches, es war immer ein Geheimnis rundherum.

Man war dort zu Hause, das war wie ein Raum mit frischer Luft. Man hat sich erholt, ohne sich erholen zu müssen, ohne spazieren gehen zu müssen. Es hat einen getrieben aufs Eis, es war ein bissel eine Sucht. Man hat dort Freundschaften geschlossen.

Ohne Freunde kann man nicht Eislaufen, ohne Freunde kann man nicht randeln. Freundinnen können es auch sein, fallweise. Der Uzzi Förster und ich zum Beispiel, wir waren verwanzt. Ein Leben ohne Uzzi am Eis hab ich mir nicht vorstellen können. Dann war es der Wolfgang Dauscha. Leider sind die alle schon tot.

Und der Sonntag, wo man kaum fahren konnte, weil so viele Leute da waren, war auch wieder ein besonderer Tag. Da gab es Standeln mit wunderbaren Broten. Und in meiner Jugend gab es den Karamellmann. Und die Körberln mit langen Salzstangerln. Das waren so jugendliche Speisen, die man woanders nicht zu sich genommen hat.

Der Platz hat einen auch im Sommer angezogen. Da hat man eventuell Tennis gespielt. Aber das Wichtigste war, dass man sich getroffen hat. Ein sonniger Platz. Und windgeschützt. Man hat wehmütig auf den Beton gestarrt, der das Eis versprochen hat.

Otto Schenk: "Der Eislauf-Verein war die Schwänzgegend. Er war immer was Gaunerisches. Es war immer ein Geheimnis rundherum."
DER STANDARD

Dann gab es das Ringen, das war auch eine Periode von halbwitzigen Aufführungen. Und ich hab zum ersten Mal den Farkas dort gesehen in einem Kabarett. Aber der Sommer war ein Problem, immer.

"Man wollte mit mir Schritterln gehen. Und ich bin davongelaufen."

Die guten Maschinen waren wichtig. Bei uns war ja, wenn es zehn Grad gehabt hat, schon Wasser am Eis. Ein Klimawandel hätte bei den damaligen Maschinen den Eislaufverein das Leben gekostet. Manchmal haben wir uns absichtlich fallengelassen. Ich musste trockengelegt werden. Oft haben unbeschreibliche Garderobierinnen dabei geholfen.

Otto Schenk mit einem Foto seiner verstorbenen Schwester Bianca. Sie war zwölf Jahre älter und bei Olympia 1936 auf Rang 14.
Foto: Christian Fischer

Eine Frau Schellhorn gab es, die war wie eine Mutter. Diese Namen fallen mir ja noch ein. Wenn Sie mich fragen, wen ich gerade auf der Straße getroffen hab, weiß ich es nicht mehr.

Meine allererste Erinnerung ans Eislaufen ist der erste Tag. Ich war drei Jahre alt. Ich hatte schreckliche Eislaufschuhe, ganz niedere. Zwei Lehrer standen bereit, mein Vater und meine Schwester. Sie war zwölf Jahre älter als ich und war schon Kunstläuferin – Bianca Schenk, später war sie sogar Olympiateilnehmerin.

Ich hab noch Pokale von ihr und auch ein Bild, da war sie Star einer Eisshow in England. Im 38er-Jahr. Man hat mich aufs Eis gestellt und wollte mit mir Schritterln gehen. Und ich bin davongelaufen.

Ich war so wie der Buddha, der direkt nach der Geburt schon gehen konnte der Legende nach. Und diese Art Buddha war ich auf dem Eis. Es war ein Rennen, kein stilistisches Laufen. Ein stilistisches Laufen hab ich mir nie zugeeignet. Ich bin meinen Schenk-Stil gelaufen.

Was ich an meinem Eislaufen so geschätzt hab, war meine Sicherheit. Ich bin im Leben mehr hingefallen als am Eis. Am Eis, so sag ich das immer, das war immer unser Ausdruck, grammatikalisch vielleicht nicht ganz korrekt. Wo sehen wir uns? Am Eis. Wir wussten schon, was wir uns damit sagen wollten.

Wenige Wochen nach der Eröffnung des ersten Platzes, der in der Gegend des heutigen Bahnhofs Wien Mitte lag, lud der Eislaufverein zu einem Schaulaufen.
Foto: WEV
Um 1875: Holzstich des Eislaufplatzes auf einem Areal im Bereich des 1849 aufgelassenen Wiener Hafens. Vorne Pferde-Tramways auf der Landstraßer Hauptstraße, hinten das Hauptzollamt.
Foto: WEV
Rundtanzkreis im Wiener Eislauf-Verein, 1917. Am 6. Jänner 1901 war der neue Platz des Eislaufvereins in der Johannesgasse respektive am Heumarkt eröffnet worden.
Foto: WEV

Noch vor dem Krieg, als ich so sechs bis acht Jahre alt war, gab es wunderbare Kostümfeste. Da war der Platz immer voll. Einmal bin ich als Herz-König gegangen, einmal als Venezianischer Prinz. An der Seite standen keine Gebäude, da war ein Zaun. Da hat man durchsehen können. Da gab es Zuschauer. Der Platz hat angelockt.

"Angezogen hat man sich einen ganzen Zoo von Pelzen."

Zum Glück ist der Platz während des Kriegs von Bomben verschont geblieben. Bombenalarm war oft am Vormittag, und wenn das vorbei war, ist man gleich aufs Eis gegangen. Der Eislaufverein war auch eine Art Trostplatz. Ein Platz, der einen aus der Stadt herausnimmt.

Nach dem Krieg sind die Eisrevuen aufgekommen. Als Zuseher war man wie ein Michelinmännchen verpackt. Die Schuhe waren pelzgefüttert, angezogen hat man sich einen ganzen Zoo von Pelzen. Man war unkenntlich. Bei einem Vermummungsverbot schon damals wäre man nicht durch die erste Gasse gekommen.

Aber so hat man die langen Eisrevuen durchgestanden. Man ist dort gesessen, eigentlich in Schweiß gebadet, weil man sich zu viel angezogen hat, und hat gebangt, wenn die wunderbaren Mädchen getanzt haben. Bei den Pirouetten hat man eine weiße Atemfahne gesehen.

Die ersten Flirts. Man musste ein Adlerauge haben, um Schönheiten zu entdecken. Modisch war nach dem Krieg wenig zu holen. Die Jugend war schäbig. Eine Ausnahme war der Robert Jungbluth. Ein schöner Mann. Ansonsten waren wir schiach.

Die paar Schönen waren umlagert. Ich hatte mit meiner Garderobe keinerlei erotische Wirkung. Ich war auch noch zu jung. Die Mädchen wollten gute Tänzer und einen Schmäh, den ich noch nicht gehabt habe. Erst später hat das eingesetzt.

Mehr als 6500 Menschen besuchten Ende Jänner 1930 die erste Eiskunstlauf-Europameisterschaft der Frauen im Wiener Eislaufverein.
Foto: WEV
Ebenfalls 1930. Wer in der Lothringerstraße auf das Dach seines Wagens kletterte, konnte sich das Eintrittsgeld sparen.
Foto: WEV
Natürlich stellte der WEV das erste weibliche Eishockeyteam Wiens, wir schreiben die Saison 1930/31.
Foto: WEV

Der Uzzi Föster und ich, wir haben immer geblödelt auf dem Eis. Haben Leute gespielt, die nicht eislaufen können. Wir sind absichtlich geflogen. Wir konnten einen sitzenden Mond machen und übers ganze Eis fegen. Und dann hat man uns gefragt, ob wir nicht Eisclowns geben können. Da haben wir eine Gladiatorennummer einstudiert.

"Das war für meinen Vater der Himmel nach einer höllenartigen Zeit."

Zwei Gladiatoren, die miteinander kämpfen. Das haben wir probiert, und da hat sich der Uzzi bei einer Übung die Hand gebrochen. Dann hab ich das mit dem Dauscha weitergemacht, der war zweite Besetzung. Der hat sich den Fuß gebrochen. Da hab ich gesagt, bevor ich der Dritte bin, geb ich es auf.

Der Wiener Eislauf-Verein feiert seine 150-jährige Existenz mit einem Buch.
Foto: WEV

Mein Vater, Eugen Schenk, war auch schon WEV-Präsident, nach dem Krieg. Für ihn war es die erste Möglichkeit, eine große Stellung zu beziehen. Er war ja rassisch verfolgt worden. Dort wurde er gehegt.

Sie haben einen gescheiten Juristen gebraucht, das war er. Das war für meinen Vater der Himmel nach einer höllenartigen Zeit. Dafür bin ich dem Eislaufverein mein Leben lang dankbar.

Es war eine Wiedergeburt für ihn, eine Menschwerdung. Das war auch der Grund, warum ich trotz meines sehr umfangreichen Berufes dann auch die Präsidentenstelle übernommen hab. Aus Dankbarkein und aus Nostalgie, möcht ich fast sagen.

Der Platz ist ja fast staubfrei. Wenn man da zehn Runden fährt, hat man ganz ein anderes Lebensgefühl. Eigentlich ist der Platz ein Wunder. Dass mitten in einer Stadt so ein großer Platz ist, ist fast einzigartig auf der Welt.

Die Verkleinerung durch das Hotel war ein großer Schmerz. Aber man hat es auch überlebt. Es ist immer noch einer der größten Plätze der Welt. Ich hoffe, der Platz wird auch beim nächsten Umbau nicht viel kleiner. Ich hoffe, dass er wieder einladender wird, sich öffnet, er ist ja leider zugebaut worden, man kann kaum von draußen hineinsehen.

Und ich hoffe, ich erlebe den Umbau noch. Aber zwei, drei Jahre wird es schon dauern. Das wär ein Luxus für mich.

Der Eislaufplatz im Winter 1930/31. Die Wirtschaftskrise machte vor dem WEV-Zaun nicht Halt, Mitgliederzahlen und Tageseinnahmen gingen drastisch zurück.
Foto: WEV
Kinderfasching im Jahr 1937. Ein Highlight auch für Otto Schenk, der für sein Kostüm als "Venezianischer Prinz" explizit von der Jury gelobt wurde.
Foto: WEV
Die provisorische Pawlatschen, die große Tribüne , die den Platz teilte, war nach dem Krieg die größte Einnahmequelle. "Darunter waren unsere Eisburgen", sagt Schenk.
Foto: WEV

Auf Natureis bin ich sehr selten gelaufen. Das wär so ein bissel Landesverrat gewesen. Ich hab Natureisangst, die Einbruchangst. Und wo soll man fahren? Das Eis kracht dann plötzlich – grauenhaft! Wieso hätt ich auf einen See gehen sollen, wenn ich den Eislaufverein vor der Tür hab?

"Hinter der Eismaschine herlaufen, an der Maschine anhalten, war das Größte."

Hinter der Eismaschine herlaufen, auch an der Maschine anhalten, das war das Größte. In der Mitte ist eine Tribüne gestanden, unter der Tribüne waren unsere Eisburgen. Die waren Ordner-sicher. Der Ordner ist mit den Eisschuhen nicht dorthin gegangen. Einer hat Tatzl geheißen, da weiß ich auch noch den Namen, der war unser Erbfeind.

Die Ordner waren die Feinde und wurden unerhört gepflanzt. Die waren so schwach im Jagen. Damals waren auch so viele Leute unterwegs, da konnte man sich durchschlängeln. Und wir haben schreckliche Spiele gespielt, Fangerl gegen die Runde, tödlich eigentlich.

Ein Wunder, dass man das alles überlebt hat. Und es gab Würfel, Fünfzig-Zentimeter-Würfel, als Begrenzung gedacht, die konnte man aneinanderreihen und dann drüberspringen. Über fünf Würfel hab ich springen könnten. Das war unter uns Randlern schon ein Rekord.

Die Ordner hätten einen, wenn sie einen erwischt hätten, z’Haus schicken wollen. Morgen kannst du dir deine Mitgliedskarte wieder holen, haben sie gesagt. Es war ein Hinausschmiss auf Zeit. Ein echter Hinausschmiss wär für den Eislaufverein ein Geldverlust gewesen, den man vermeiden wollte. Manchmal haben sie mich erwischt, aber ich hab mich immer können herausreden.

Das im Frühjahr 1964 eröffnete Hotel InterCont hat den WEV-Platz deutlich verkleinert. "Ein großer Schmerz", sagt Otto Schenk. "Aber man hat es auch überlebt."
Foto: WEV
So soll das Heumarkt-Areal in wenigen Jahren aussehen. Entwurf von Isay Weinfeld und Sebastian Murr.
Foto: WEV
Schneeballschlachten am WEV wird es solange geben, solange es Schnee gibt.
Foto: WEV

Ich war ein guter Läufer, nicht nur auf dem Eis. Ich hätte im 45er-Jahr, als ich grad noch nicht 15 war und kaum wer bei der Leichtathletik-Meisterschaft angetreten ist, mit meinem 65-Meter-Lauf den Titel gewonnen. Ich hab eine bessere Zeit gehabt als der, der dann gewonnen hat. Ich bin nur nicht hingegangen. Ich war beim WAC, meine Trainer waren da sehr böse.

"Im Eislaufen hab ich viele Erfolge miterlebt. Irgendwann hat das aufgehört."

Und einmal bin ich mit dem Jungbluth vor 60.000 Zusehern im Stadion in einer Viererstaffel gelaufen. Die 60.000 Leute sind nicht wegen uns gekommen. Das war wenige Jahre nach dem Krieg bei einem Anti-Piefke-Match, wie man so gesagt hat, also in der Pause von Österreich gegen Deutschland. Wir haben das Staffelrennen gewonnen und die Deutschen das Fußballspiel.

Im Eislaufen hab ich viele Erfolge miterlebt. Kasper, Schäfer, Danzer, Schuba, am Ende die Geschwister Beck. Irgendwann hat das aufgehört. Das war für mich ein Schrecken.

Bild nicht mehr verfügbar.

Otto Schenk 1998 mit Eistänzerin Kathrin Beck.
Foto: Ernst Kainerstorfer / picturedesk.com

Bei jeder Versammlung, wo sie die Pimperlerfolge herausgekramt haben, was weiß ich, Siege bei einem Schaulaufen in Zwettl, hab ich mich aufgeregt, dass sich Österreich einer Sportart begeben hat. Also aufgehört hat damit. Woran das gelegen hat, weiß ich nicht.

Aber ich hab ans Eislaufen viele schöne Erinnerungen. Das war eine Epoche meines Lebens. Ich ohne Eis bin gar nicht vorstellbar. Ich bin seit mehr als achtzig Jahren WEV-Mitglied. Den Rekord halte ich nicht, den hält Hedwig Langer Hansel, sie wurde 105 Jahre alt und war mehr als 100 Jahre lang Mitglied.

Es ist schon lange her, dass ich beim Eislaufverein war. Ich bin kein Feierer. Und ich bin ein bissel traurig, weil ich nicht mehr fahren kann. Der einzige Sport, den ich noch betreibe, ist das Schwimmen. Eigentlich schwimme ich nur, um nicht unterzugehen.

Ich schwimme Rücken, angeblich ist das gesund. Und ich schwimme nicht oft, nur hie und da, ich bin ein großer Feind des Regelmäßigen.

Wenn ich jetzt ans Eislaufen denke, ist Wehmut dabei, weil es vorbei ist. Wenn mich jemand überreden wollte, noch einmal zum Eislaufverein zu kommen, müsste er sich sehr geschickt anstellen. Wenn man mich dort irgendwie vermissen könnte, würde ich sehr dankbar sein. (Zugehört und aufgezeichnet hat: Fritz Neumann, 22.10.2017)