Wien – Zwei bebende Schultern eines verkrampften Körpers. Eine weite Farmlandschaft im englischen Yorkshire, von den Einheimischen "god's own country" genannt.

Mit diesen Bildern beginnt der Regisseur und Autor Francis Lee sein Langfilmdebüt, das er nach jenem Landstrich benannt hat, in dem er selbst aufgewachsen ist. In dieser Einsamkeit und Stille haben Wörter keinen Stellenwert. In dieser Kargheit vegetiert der junge Johnny Saxby (Josh O'Connor) dahin, der mit seinem nach mehreren Schlaganfällen beeinträchtigten Vater (Ian Hart) und seiner Großmutter (Gemma Jones) unter einem Dach lebt.

In Yorkshire werden nicht viele Worte gemacht: Josh O'Connor und Alec Secareanu kommen einander in "God's Own Country" näher.

Ihm gehören die verkrampften Schultern, auf denen die gesamte Arbeit und der daraus resultierende Frust lasten. Ausdrücken kann er sich nur körperlich: Johnny trinkt, schlägt und hat brutalen Sex mit Männern. Allmorgendlich übergibt er sich und entledigt sich auf diese Weise seiner Verbitterung. Probleme werden totgeschwiegen und getötet. Für ein schwaches Kalb und für schwache Männer ist auf Johnnys Farm jedenfalls kein Platz.

Würze ins Leben

Bis der Saisonarbeiter Gheorghe (Alec Secareanu) alles anders macht – er repariert, erhält am Leben, macht aus einer Tragödie wieder Hoffnung: Als ein Lamm stirbt, nimmt er dessen Fell, um einem verwaisten anderen die Aufnahme in der Herde zu gewährleisten. Gheorghe lehrt Johnny nicht nur, seine Instantnudeln zu salzen, er bringt auch Würze in sein Leben: Mit der Zweisamkeit kommen die beiden sich näher. Und plötzlich kann auch Johnnys verkrampftes Gesicht lächeln.

Genauso schnell wie bei God's Own Country der Gedanke an den ähnlich gelagerten Brokeback Mountain wach wird, ist er jedoch auch schon wieder verworfen. Denn für Francis Lee steht weniger die Legitimierung von homosexueller Liebe im Vordergrund (die Beziehung der beiden missfällt Gheorghes Großmutter ebenso sehr wie seine Idee, Schafskäse herzustellen). Viel mehr geht es darum, seinen eigenen Weg zu finden und sich zu behaupten. Lee zeigt dies eindrucksvoll, indem er die Körper seiner Figuren sprechen lässt und es ihm gelingt, trotz der wenigen Dialoge nicht das Gefühl von Sprachlosigkeit zu hinterlassen.

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Das verdankt er vor allem seinem Hauptdarsteller: großartig die Physiognomie von O'Connor, der mit jedem Gesichtsmuskel und jeder Faser seines Körpers die Geschundenheit seiner Seele, die Wut, Verzweiflung und später auch die Erleichterung, Verletzlichkeit und Liebe zum Ausdruck bringt. Selbst den Vater treffen die neuen Ideen körperlich: Er erleidet einen zweiten Schlaganfall, ist nun völlig auf die Hilfe anderer angewiesen und kann die ohnehin kargen Worte kaum noch artikulieren.

Nötige Distanz

God's Own Country hat mittlerweile Preise beim Filmfestival Sundance sowie in Berlin, Edinburgh und San Francisco bekommen, hat sich also zu einem veritablen Festivalliebling entwickelt. Um einen Film wie diesen über seine Heimat drehen zu können, musste Lee allerdings zunächst das Farmleben verlassen und eine Schauspielschule besuchen. Für God's Own Country war es wichtig, die nötige Distanz gefunden zu haben. Vielleicht schwingt deshalb auch ein bisschen Demut mit, wenn Lee seinen Protagonisten John Saxby zu einer jungen Studentin, die ihre alte Heimat hinter sich gelassen hat, sagen lässt: "Nicht jeder hat die Wahl." (Katharina Stöger, 24.10.2017)