Robert Frank: London, 1951.

Foto: Robert Frank, Sammlung Fotostiftung Schweiz, Nachlass Arnold Kübler

Robert Frank: Los Angeles, 1955/1956.

Foto: Robert Frank, Albertina, Wien – Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft

Robert Frank: Rodeo – New York City, 1955.

Foto: Robert Frank, Fotostiftung Schweiz, Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Kultur (BAK), Bern

Robert Frank: San Francisco, 1956.

Foto: Robert Frank, Albertina, Wien – Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft

Wien – Ein Foto, das mehr verdeckt, als es zeigt, und gerade dadurch zu sprechen beginnt, ist zu einer fotografischen Ikone geworden. Robert Franks Bild der amerikanischen Flagge entstand während einer Parade im Sommer 1955 in Hoboken, New Jersey. Es fängt genau jenen Moment ein, in dem das vom Wind aufgeblähte Sternenbanner einer Frau am Fenster den Blick verhängt, sie quasi kopflos werden lässt. Das repräsentative, identitätsstiftende Symbol wird als Störfaktor gezeigt, ja in sein Gegenteil verkehrt.

Robert Frank: Wellfleet, Massachusetts, 1962.
Foto: Robert Frank, Sammlung Fotostiftung Schweiz, Schenkung des Künstlers

Flaggen, die zum belanglosen Accessoire werden, Cowboys, Paraden, Autos, Schnellrestaurants, das sind wiederkehrende Motive in Robert Franks Amerika-Bildern – einige davon sind nun in einer prägnanten Werkschau der Albertina zu sehen. Was die von Walter Moser zusammengestellte Präsentation von jener 2016/2017 im Salzburger Rupertinum unterscheidet, ist, dass es nun Original-Prints sind. In Salzburg zeigte Franks Verleger Gerhard Steidl die Bilder unprätentios – "quick, cheap and dirty" (Frank) – vergrößert auf bis zu vier Meter langen Bahnen von Zeitungspapier. So tourt die Schau, ergänzt durch Franks Fotobücher und 15 seiner Filme, seit 2015 durch die Welt.

Robert Frank: 14th Street White Tower – New York City, 1948.
Foto: Robert Frank, Sammlung Fotostiftung Schweiz, Schenkung des Künstlers

Auf ausgedehnten Reisen quer durch die USA 1955 und 1956 entstanden auch die Fotos für Franks umfangreichstes Projekt: seine "visuelle Studie der Zivilisation" Amerikas. Er wollte hinter die Fassade des American Dreams blicken, Seelenbilder einer Gesellschaft machen, die zur Zeit des Kalten Kriegs von Patriotismus, Rassismus, Religion geprägt ist. Das moderne Amerika bildet er in niederschmetternder Ehrlichkeit ab: ein entlarvender Schnappschuss zeigt etwa Postkarten eines Atombombentests, des Hoover-Staudamms und der Bergwelt Arizonas nebeneinander.

Robert Frank: Autounfall – U.S. 66 zwischen Winslow und Flagstaff, Arizona, 1956.
Foto: Robert Frank, Albertina, Wien

Aus den 767 während seiner Reisen verschossenen Filmrollen, aus 27.000 Negativen, wählte Robert Frank 83 Fotos für jene Werkgruppe aus, die zur bahnbrechendsten seiner Karriere werden sollte: The Americans. Publiziert wurde sie 1958 als Fotobuch – zunächst allerdings nur in Frankreich. Die Antwort auf Henri Cartier-Bressons Les Européens floppte. Als es im Jahr darauf in den USA erschien, war die Kritik, bis auf jene der New York Times, verheerend. Seine grimmigen, das amerikanische Selbstbild torpedierenden Bilder legte man dem Schweizer als bösartigen Amerika-Hass aus, als Häme.

Die Ausstellung in Wien führt nicht nur bis in Jetzt, sondern setzt auch lange vor The Americans an, zeigt – in Kontaktabzügen – bereits Fotos aus den Anfängen des 1924 in Zürich Geborenen. Schon in diesen Bildern von Land und Leuten wird Franks Handschrift ersichtlich: das extreme Anschneiden der Szenen, die die Dynamik der Narration steigern, aber auch der tiefe Aufnahmewinkel.

Robert Frank: Rodeo – Detroit, 1955.
Robert Frank, Albertina, Wien – Dauerleihgabe der Österreichischen Ludwig-Stiftung für Kunst und Wissenschaft

Franks charakteristischer Hüftschuss – also Fotografieren ohne großes Fokussieren – entwickelte sich aber erst nach der Emigration in die USA 1947: Alexey Brodovitch, der ihm als Artdirector von Harper's Bazaar mit Fotoaufträgen das Überleben sicherte, empfahl Frank eine 35-mm-Leica. Erst mit der Kleinbildkamera wurden die spontanen, oft unbemerkten Aufnahmen möglich. So gelang es, den ungeschönten, unverstellten Blick der Leute einzufangen.

Drama, Baby!

Das war die Neuerung, die Frank in die Street Photography einbrachte, sie, wie es oft heißt, revolutionierte. Frank wird daher gerne als Begründer der Street Photography genannt, was jedoch nicht ganz stimmt. Bereits Eugène Atgets zu Ende des 19. Jahrhunderts in Paris entstandene Aufnahmen von Eisverkäufern und Landstreichern, Händlern und Straßenmusikanten kann man der Gattung zurechnen. Und auch die gebürtige Wienerin Lisette Model sowie Cartier-Bresson gingen voraus; der von ihnen auf die Echtheit des Lebens geworfene Blick wird von Robert Frank allerdings phänomenal dramatisiert. (Anne Katrin Feßler, 25.10.2017)