Ich bedanke mich sehr für die Auszeichnung – für rechtsstaatliches Handeln. Was heißt das für eine Journalistin? Handeln heißt für mich schreiben, häufig beschreiben. Hinweisen auf etwas das ist, aber auch, was sein soll.

In einem Land, in dem die normative Kraft des Faktischen häufig über die normative Kraft des Rechts gestellt wird, braucht es solche Hinweise immer wieder. Gerade in Österreich, wo jeder und jede – anders als etwa in Deutschland – mit dem Wort Realverfassung etwas anfangen kann. Dieser Begriff suggeriert: es gibt zwar eine Verfassung, aber die reale Macht liegt woanders: bei den Landeshauptleuten, bei den Sozialpartnern, bei den Vertretern des Kapitals. Das ist mehr als eine Akzentverschiebung, das ist eine Achsenverschiebung.

Hausordnung

Deshalb braucht es auch immer wieder diese Hinweise, diese Versicherungen und Rückbezüge, den rechtlichen Rahmen: die Verfassung ist eine Richtschnur in politisch schwierigen Zeiten, die Hausordnung in einem Rechtsstaat. In Tagen wie diesen rund um eine Nationalratswahl und die Regierungsbildung wird immer wieder die Verfassung zitiert.

So ist es mehr als symbolisch, dass die Büste des Vaters der Verfassung, des genialen Rechtsgelehrten Hans Kelsen, in der Präsidentschaftskanzlei steht. Hinter der berühmten Tapetentür, dort, wo die heiklen Gespräche geführt werden – so auch in diesen Tagen, wenn versucht wird, den Willen des Volkes umzusetzen in eine Regierungsbildung.

Spielregeln

Die Verfassung gibt die Spielregeln in einem Rechtsstaat vor: Sie regelt, wer Recht erzeugt, wer regiert, wer kontrolliert. Die Verfassung soll Staatsmacht legitimieren und auch limitieren. Sie soll den rechten Gebrauch der Macht ermöglichen, aber auch Missbrauch verhindern. "Verfassungsfragen sind Machtfragen", befand schon Ferdinand Lassalle.

Diese Macht wird in einem Rechtsstaat durch Gewaltenteilung geregelt und begrenzt. Was passiert, wenn man dieses Koordinatensystem der Demokratie außer Kraft setzt, ist in unmittelbarer Nachbarschaft zu sehen: in Ungarn, in Polen. Die Justiz wird unter Druck gesetzt, die Pressefreiheit eingeschränkt.

Freiheit

Der Rechtsstaat garantiert Grund- und Freiheitsrechte, auch Menschenrechte gehören dazu. Sie eröffnen Möglichkeiten, die Freiheit vom Staat, aber auch die Freiheit im Staat.

Bestandteil sind aber auch rechtliche Verpflichtungen, die Österreich eingegangen ist. Eine solche Verpflichtung ist Österreich 1958 mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtkonvention eingegangen. Damit wurde erstmals in Europa ein völkerrechtlich verbindlicher Grundrechteschutz geschaffen, die Konvention stellt das wichtigste Menschenrechtsübereinkommen in Europa dar.

Menschenrechte

Wenn nun im Wahlprogramm einer Partei, die sich anschickt, in die Regierung einzutreten, diese Konvention in Frage gestellt wird und durch ihre Repräsentanten der Ersatz durch "nationale Freiheitskataloge" gefordert wird, dann sollte dies ein Hinweis sein, den es aufzugreifen gilt. Journalisten, aber auch Juristen – zumal solche, die sich mit der Verfassung und ihrer Auslegung und Anwendung beschäftigen – kommt eine Wächterfunktion zu.

Passen wir auf, dass Österreich an der Nahtstelle zwischen Ost und West in Europa, auch angesichts der latenten Schlampereien in Grundrechtsfragen der Rechtsstaat nicht unterhöhlt wird. Gerade in Wien, wo sich Leserinnen und Leser von journalistischen Texten lieber unterhalten statt herausfordern lassen und Medien auf Quoten statt Qualität setzen, ist es notwendig, das öffentliche Bewusstsein für die Wichtigkeit von Verfassungsfragen zu schärfen. Auch um sicherzustellen, dass Grundrechte nicht in Frage gestellt werden, sondern der Rechtsstaat stark bleibt. Gerade in Zeiten wie diesen. (Alexandra Föderl-Schmid, 25.10.2017)