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Die Gen-Schere macht es möglich, fehlerhafte Gene einfach zu reparieren. Doch wie weit darf man dabei gehen? Forscher haben unterschiedliche Zugänge zum Umgang mit der neuen Technologie.

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Wien – "Man sollte eigentlich nicht an unserem Gen-Pool herumwurschteln." So lautete eine erste Antwort von Teilnehmern einer Studie, die ein Team um die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt von der Uni Wien durchgeführt hat. Es ging um die Anwendungsmöglichkeiten der Gen-Schere CRISPR/Cas9, mit der spezielle Gene aus der Erbinformation der DNA herausgeschnitten, ausgeschaltet, modifiziert oder repariert werden können – was in weiterer Folge Einfluss auf den Organismus und ganze Populationen von Arten vornehmen würde: im besten Fall, um Krankheiten zu heilen. Die Probanden der besagten Studie äußerten sich mitunter skeptisch. Die Natur würde schon alles regeln, heißt es da. "Wenn wir alle Menschen krankheitsresistent machen, dann gäbe es zu viele Menschen auf der Erde."

Wer mehr weiß über die CRISPR/Cas9-Technologie, den lässt sie nicht kalt. Dabei kann sie nicht wirklich mehr als andere, in früheren Jahren angewandte Methoden des Genome Editing. Sie ist nur leichter, flexibler und wesentlich billiger in der Handhabung – und regt daher zu ethischen Diskussionen an. Was darf man mit CRISPR? Was darf man nicht? Ist es zulässig, mit CRISPR in die Keimbahn einzugreifen? Viele Wissenschafter haben sich schon dagegen ausgesprochen und verlangen eine weltweite Regelung. Dass es technisch möglich ist, wurde zuletzt schon erwiesen.

Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt von der Uni Wien.
Foto: Corn

In einer jüngst von Felts Forschungsplattform "Responsible Research and Innovation in Academic Practice" veranstalteten Tagung über die gesellschaftlichen Herausforderungen von CRISPR war man sich weitgehend über den Diskussionsbedarf einig. Nur die Zugänge konnten unterschiedlicher nicht sein. Der österreichische Genetiker Nikolai Windbichler, der am Imperial College in London unter anderem an der Anwendung von CRISPR zur Eindämmung von Malaria forscht, reflektierte mit provokanten Gedankengängen über Ängste, mit der Gen-Schere eventuell zu weit gehen zu können.

Jedes Gen hat ja normalerweise eine Fifty-fifty-Chance, sich bei Nachkommen fortzusetzen, mit CRISPR lassen sich aber Erbgänge produzieren, die nicht den Mendel'schen Gesetzen gehorchen. So kann die Malaria übertragende Stechmücke de facto unfruchtbar gemacht werden. Windbichler: "Viele Menschen sind aufgrund dieses möglichen Eingriffs in die Natur zutiefst beunruhigt, ignorieren aber, dass wir schon seit mehr als 50 Jahren Pestizide verwenden, was zu starken Veränderungen unter den Insekten führte." Die Stechmücken hätten Resistenzgene erzeugt, würden sich anders verhalten als zuvor. "Ihre Biologie ist anders."

Kein stabiler Hintergrund

Windbichler weiter in Hinblick auf Aussagen, die während der Tagung getroffen wurden: "Die Natur ist kein stabiler Hintergrund, vor dem sich menschliche Aktivität abspielt. Erstens ist die Natur selbst chaotisch, und zweitens bedeutet das Anthropozän ja genau, dass wir diesen Hintergrund kollektiv in unbeabsichtigter Weise verändern. Es ist ein Fehler zu meinen, man könne sich zurückziehen, weil man ohnehin schon zu viel eingegriffen habe. Die Kriterien, nach denen Eingriffe zu beurteilen sind, müssen aber demokratisch erkämpft werden und dürfen nicht durch ökonomische Sachzwänge bestimmt werden, wie es jetzt der Fall ist."

Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, plädiert abseits der Tagung für einen emotionslosen, angstbefreiten und objektiven Zugang zur Anwendung der Technologie.

Natürlicherweise überschreite man hier eine rote Linie der Gesellschaft, sagt er, andererseits habe er großes Vertrauen, dass die Anwendung in einem ethisch vertretbaren Rahmen einmal so selbstverständlich werde, wie es heute In-vitro-Fertilisation, die künstliche Befruchtung, sei. "Auch da gab es einmal eine rote Linie. Wichtig ist nun, gesamtgesellschaftlich festzulegen, bei welchen Indikationen wir CRISPR/Cas9 wie anwenden wollen. Nur in der Grundlagenforschung, diagnostisch für personalisierte Medizin – oder auch therapeutisch. Bei Letzterem stellt sich dringend die Frage, ob wir auch die Veränderung der Keimbahn zulassen wollen – und für welche Krankheiten."

Kein Eingriff in die Keimbahn

Der Zellbiologe Stuart Newman vom New York Medical College, ein External-Faculty-Mitglied am Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung in Klosterneuburg, ist für strenge Regeln. "Es sollte keinesfalls möglich sein, in die Keimbahn einzugreifen", sagt er. Er stellt einen Vergleich an: "Wenn wir mit Menschen, die erst geboren werden, so verfahren, was passiert dann, wenn bei der Optimierung ein Fehler geschieht? Wohl nicht, was wir mit einem Handy machen, wenn es aufgrund eines Produktionsfehlers ein kaputtes Display hat: Wir geben es zurück."

CRISPR gebe der Gesellschaft die Fantasie der Kontrolle über das Leben. Es sei eine Chance, Krankheiten zu heilen, die derzeit als unheilbar gelten. In diesem Zusammenhang dürfte ein Themenfeld aus der besagten Befragung von Ulrike Felt noch interessant werden: Dabei wurde die Frage zur Diskussion gestellt, ob CRISPR-Anwendungen in der Medizin künftig allen Menschen oder nur jenen in reichen Ländern zugutekommen würden.

Doch, ergänzt Newman: Man solle keinesfalls glauben, dass man alles über Gene lösen könne. "Das Leben besteht eindeutig aus mehr als nur aus Genen." (Peter Illetschko, 26.10.2017)