Der Milliardär Andrej Babiš ist mit seiner Partei ANO ("Bewegung unzufriedener Bürger") der Sieger der tschechischen Parlamentswahl. 2013 war ANO hinter den Sozialdemokraten zweitstärkste Partei geworden, mit denen die Babiš-Partei die letzte Regierung bildete. Dieses Mal ist sie mit fast 30 Prozent deutliche Wahlsiegerin. Sie hat ihre Mandatszahl von 47 auf 78 erhöht. Die zweitstärkste Partei, die konservative ODS, hat 25 Sitze (11,3 Prozent) im Abgeordnetenhaus erhalten. Wie lässt sich dieser Wahlsieg nun deuten? Was bedeutet er für die österreichische Politik?

Parteienverdrossenheit und Rechtsruck

Die Wahlen in Tschechien, bei der neun Parteien ins Parlament gewählt wurden, haben in vielerlei Hinsicht überrascht. Drittstärkste Partei wurde eine in Tschechien relativ neue Partei, die "Česka Pirátská Strana", die Tschechische Piratenpartei. Sie erreichte 10,6 Prozent der Stimmen und damit 22 Sitze. Die Piraten wurden erst 2009 gegründet und erreichten bisher auf nationaler Ebene stets weniger als drei Prozent der Stimmen. Den vierten Platz erreichte die rechtspopulistische Partei "Freiheit und direkte Demokratie" (abgekürzt: SPD) von Tomio Okamura, der zuvor der Führer der Partei "Morgendämmerung der direkten Demokratie" war, von der er sich 2015 getrennt hatte. Erstmals zog auch die Liste der "Bürgermeister und Unabhängigen" (5,2 Prozent und sechs Sitze) in die Abgeordnetenkammer ein. Diese drei neuen Parteien erreichten zusammen 50 Sitze, das sind ein Viertel der Mandate der ersten Kammer des Parlaments.

Aus diesen Ergebnissen kann man ablesen, dass in Tschechien, wie in anderen europäischen Staaten, die vorhandene Parteienverdrossenheit besonders groß ist. Nur neun Prozent der befragten Tschechinnen und Tschechen versicherten laut Eurobarometer vom Frühjahr 2017, dass sie den politischen Parteien vertrauen. Der Durchschnittswert in der EU fällt mit niedrigen 19 Prozent immerhin rund zweimal höher aus. Das Parlament selbst genoss zuletzt, relativ zu den anderen EU-Mitgliedsländern gesehen, noch weniger Vertrauen: nur zwölf Prozent vertrauten ihm (EU-Durchschnitt: 36 Prozent). In Tschechien entwickelt sich offenbar eine Krise der Institutionen der repräsentativen Demokratie.

"Donald Trump der Tschechischen Republik"

Babiš selbst sieht sich natürlich als verdienter Sieger der Wahlen, der besser als "die Politiker" etablierter Parteien den Interessen der Wählerschaft entspricht. Er ist Unternehmer im Agrar- und Chemiebereich und besitzt mehrere auflagenstarke Zeitungen. Sein Unternehmen agiert nicht nur in Tschechien sondern auch in Ostdeutschland. Die internationale Presse sieht ihn als "Populist ohne Ideologie", "Russia Today" bezeichnete ihn sogar als "Donald Trump der Tschechischen Republik". Er selbst erklärt immer wieder, er würde den Staat wie ein Unternehmen führen und härter arbeiten als Politiker. Außerdem pflegt er ein Image als Korruptionsbekämpfer, was angesichts der Meinung der Öffentlichkeit, dass Korruption ein zentrales Problem der tschechischen Politik ist, sicher wahlentscheidend war. Selbst das Verfahren gegen ihn wegen Missbrauchs von EU-Subventionen hatte seinem Ansehen nicht geschadet. Er hat es verstanden, die Untersuchung als politisch motiviert zu verkaufen.

Babis ist der große Sieger der Parlamentswahl in Tschechien.
Foto: APA/AFP/MICHAL CIZEK

Noch einmal zur Deutung dieses Wahlsieges. Die früheren etablierten Parteien des Landes haben im Unterschied zu den neuen Formationen sehr schlecht abgeschnitten. Die Sozialdemokraten, die 2013 noch rund 20 Prozent der Stimmen erreichten, sind auf sieben Prozent abgestürzt. Die ODS hat zwar leicht zugelegt, aber sie steht auf mageren elf Prozent – sie war schon 2013 von vormals 20 auf knapp acht Prozent abgestürzt. Als Ausgangspunkt der Krise der etablierten Parteien kann die Wahl von 2010 gelten. Hier hatte die ODS 40 Prozent ihrer früheren Wähler verloren und die Sozialdemokraten (ČSSD) 30 Prozent. In den 90er-Jahren hatten sich die beiden Parteien in der Regierung abgelöst, einmal sogar (indirekt) zusammen regiert, als die ODS nach der Wahl 1998 eine ČSSD-Minderheitsregierung stützte. Sie hatten seit 1996 bis einschließlich 2006 zusammengenommen immer mehr als die Hälfte der Stimmen erhalten. Nach dieser Wahl kommen sie zusammen gerade noch auf 50 Mandate. Die frühere Stabilität des Parteiensystems hatte sich somit in eine stabile Instabilität verwandelt.

Der Aufstieg der Populisten

2010 hatte auch der Aufstieg der Populisten begonnen und damit der sichtbar größer werdende Einfluss reicher Unternehmer. In dieser Wahl kam die Partei "Öffentliche Angelegenheiten" ins Parlament und in die Regierung. Der Journalist Radek John war ihr Frontmann, die Macht hatte der tschechische Unternehmer Vít Bárta. Gleichzeitig vollzog sich im bürgerlichen Lager eine Veränderung. Die Partei "TOP 09" entstand aus Abspaltungen anderer Parteien, die ebenfalls Teil der Koalition wurde. Diese Partei stellte den Außenminister, Karl (Karel) Schwarzenberg. 2011 wurde dann ANO durch Babiš gegründet. 2013 bildete der Tourismus-Unternehmer Tomio Okamura seine rechtspopulistische "Usvít" (die heutige "SPD").

Meine Deutung dieser Ereignisse ist folgende: Die Krise der repräsentativen Demokratie, die zuerst als Protest gegen die etablierten Parteien der Transformationsperiode begann und dann in eine Vertrauenskrise des Parlaments hinüberwuchs, hat den Aufstieg populistischer Parteien begünstigt. Diese instrumentalisieren das Misstrauen und die Enttäuschung der Wählerschaft gegenüber den etablierten Parteien für den eigenen Machtzuwachs. In Tschechien bleibt die niedrige Wahlbeteiligung (etwa 60 Prozent) allerdings erhalten, trotz der Beteiligung populistischer Akteure, die anderswo die Partizipationsrate nach oben treiben.

Petr Fiala wurde mit seiner konservativen Partei ODS Zweitplatzierter.
Foto: REUTERS/Milan Kammermayer

Sonderfall Tschechien

Tschechien ist auch in anderer Hinsicht ein Sonderfall. Hier ist die wirtschaftliche Entwicklung relativ erfolgreich verlaufen, es ist jenes Land der EU-Osterweiterung mit der größten Annäherung an den EU-Durchschnitt in punkto BIP pro Kopf. Es fehlen Tschechien nur noch weniger als 20 Prozent zum Durchschnittswert. Großunternehmen wie Škoda tragen zu dieser wirtschaftlichen Erfolgsbilanz bei. Die Arbeitslosigkeit ist die niedrigste unter allen EU-Staaten, niedriger als in Deutschland oder Österreich. Die soziale Ungleichheit in der Bevölkerung ist moderat, allerdings nur wenn man die Lage der Roma ausklammert.

Trotzdem gibt es große Unzufriedenheit: Die Durchschnittslöhne haben sich auch ein Vierteljahrhundert nach 1989 noch nicht dem Niveau des Westens angeglichen. Im öffentlichen Dienst, auch in den staatlichen Krankenhäusern, wird wenig verdient. Es kommt wie in anderen neuen EU-Staaten zu einer Emigration von qualifiziertem Personal in die "alten" EU-Mitgliedsländer. Die Entstehung einer kleinen Schicht Superreicher im Verlauf der Privatisierungsprozesse der 90er-Jahre wird auch in Tschechien als ungerecht angesehen. Dazu kommen Ängste einer zu großen Abhängigkeit von den großen Staaten in der EU. Das ist auch eine Grundlage für die große EU-Skepsis in der Gesellschaft. Babiš drückt diese Ängste aus, wenn er ablehnt, dass Tschechien den Euro übernimmt  – obwohl das Land sich 2004 dazu verpflichtete. Dazu kommt die Ablehnung der Migrationspolitik der EU, eine Angst vor Überfremdung durch Muslime – von denen kaum welche je in Tschechien gesehen wurden. Zum Zwecke der Veränderung der EU-Migrationspolitik kann sich der designierte Ministerpräsident Tschechiens vorstellen, nicht nur mit den Visegrád-Staaten sondern auch mit Kroatien und Österreich enger zusammenzuarbeiten.

Und an dieser Stelle dann auch noch die angekündigte Antwort darauf, welche Auswirkungen diese tschechische Wahlen auf Österreich haben. Andrej Babiš hat angekündigt, mit der österreichischen Regierung enger zusammenarbeiten zu wollen. Im Hinblick auf die wahrscheinliche Koalition zwischen ÖVP und FPÖ ist ein Rechtsruck der europäischen Politik zu erwarten. (Dieter Segert, 27.10.2017)

Dieter Segert ist seit 2005 Universitätsprofessor für Transformationsprozesse in Mittel-, Südost- und Osteuropa am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

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