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Für seine "Investment Initiative" lockte Kronprinz Mohammed bin Salman diese Woche auch prominente Gäste nach Saudi-Arabien, neben ihm Währungsfonds-Chefin Christine Lagarde.

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Riad/Wien – Die Slogans könnten in ihrer intellektuellen Schlichtheit aus dem österreichischen Wahlkampf stammen. Die "noch nicht dagewesene Zukunft" wird versprochen: "Nichts hält dich zurück". Außer der PR-Maschinerie – ihr kann man etwa unter dem Hashtag #neom folgen – gibt es jedoch noch nicht allzu viel Konkretes über das gigantische Projekt eines Technologieparks plus Megacity namens Neom, das der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman am Dienstag in einer großen Inszenierung vorstellte. Aber eines muss man ihm lassen: MbS, wie der Königssohn, Kronprinz, Verteidigungsminister und mächtigste Mann des Königreichs kurz genannt wird, setzt sich persönlich hin, um mögliche Investoren zu beeindrucken.

Im Nordwesten an der Küste des Roten Meers gelegen, soll Neom Jordanien und Ägypten einbeziehen; entwickelt werden soll ein Gebiet von 26.500 Quadratkilometern (beinahe Kärnten und Steiermark zusammen). CEO wird der Deutsche Klaus Kleinfeld (zuletzt Alcoa/Arconic, zuvor Siemens). Ein Großteil der benötigten 500 Milliarden US-Dollar soll vom saudischen Staatsfonds kommen.

Importierte Lockerheit

Die neuen Technologien, die in Neom entwickelt werden, sollen es nicht nur zur futuristischen Stadt/Zone schlechthin – mit einer dichten Roboterpräsenz – machen, dort wird auch eine andere Gesellschaftsordnung als im Rest Saudi-Arabiens gelten. Bei Ansicht eines Werbevideos wundert man sich, dass überhaupt noch eine Frau mit Kopftuch vorkommt. Ob das nun heißt, dass auch saudische Bürgerinnen an den Meeresstränden Neoms mit durchsichtigen Röcken spazieren gehen werden, wie es die Neom-PR zeigt, ist nicht klar. Oder wird in Neom die Weiblichkeit, die sich ihre Arbeitsplätze mit Männern teilt, doch nur importiert sein?

Die Vermischung der Geschlechter beim Lernen und Arbeiten gibt es einstweilen nicht im streng salafistischen Königreich. Aber es als einfachen Werbegag im Rahmen seiner "Vision 2030" für die wirtschaftliche Öffnung Saudi-Arabiens abzutun, wenn MbS erklärt, auf einen moderaten Islam setzen zu wollen, wäre wohl auch zu einfach.

Neues Frauenbild

Es gibt kaum wahrgenommene Schritte, die den Grund für Veränderungen bereiten: Hat die Aufhebung des Frauenfahrverbots international hohe Wellen geschlagen, so blieb ein neues Gesetz gegen sexuelle Belästigung fast unbemerkt. Dabei geht es aber nicht nur darum, ein wachsendes Phänomen in der Öffentlichkeit in den Griff zu bekommen, sondern auch um die Vorbereitung von kommenden Arbeitssituationen: Frauen sollen, so will es der Staat, auf den Arbeitsmarkt – deshalb sollen sie auch Autofahren dürfen – und sie werden nicht in Quarantäne gehalten werden können. Früher wollte der Staat ein solches Gesetz gar nicht: Frauen und Männer sollten voneinander getrennt sein, das war das einzig geltende Gesetz.

Das Narrativ über den Islam in Saudi-Arabien, das Mohammed bin Salman verbreiten will, ist einfach: Die ultrakonservative Wende weg von einem moderaten Islam sei nach 1979 genommen worden, und zwar durch Ereignisse und Einflüsse von außen. Die eigene salafistische Tradition in Saudi-Arabien soll dadurch weißgewaschen werden.

In seinem PR-Auftritt führte der Kronprinz die Besetzung der Großen Moschee in Mekka durch die radikale Sekte von Juhayman al-Otaybi an, die in Saudi-Arabien eine konservative Reaktion, die Sahwa-Bewegung, hervorrief. Das ist nicht völlig verkehrt, wenngleich ergänzt werden muss, dass die Sahwa vielleicht von unten kam und als Opposition sogar unterdrückt wurde, dass aber der konservative Trend von oben gerne aufgegriffen wurde: Denn Juhayman al-Otaybi hatte die islamische Legitimität des Königshauses infrage gestellt, also musste das Königreich "reislamisiert" werden.

Reinwaschung des Islam in Saudi-Arabien

Noch wirkungsmächtiger als die Moscheebesetzung war die Islamische Revolution im Iran, die islamistischen Gruppen Auftrieb gab. Und genau das meint MbS im Grunde auch: Die radikale Bewegung, die die Moschee in Mekka besetzte, hätte es ohne die Islamische Revolution im Iran nicht gegeben. Die radikalen Trends im sunnitischen Islam seien allein vom schiitischen politischen Islam verschuldet, so die Darstellung von MbS, die in ihrer Einfachheit so natürlich nicht haltbar ist.

Aber dass nach 1979 ein Bruch stattfand, bestätigen viele Saudis. Manal al-Sharif, die Aktivistin für den Fall des Autofahrverbots für Frauen, stellte jüngst an der Wiener Hauptbücherei ihr Buch "Losfahren" vor. Sie berichtete von den Fotoalben ihrer Mutter, die das andere Leben, vor allem ein anderes Frauenbild, in den 1960er und 70er Jahren belegen würden.

Renaissance der Musik

Saudi-arabische Medien wie Al-Arabiya sind nunmehr damit befasst, dem Publikum zu zeigen, dass Saudi-Arabien früher ganz anders war: etwa ein Ort der großen Musiker und Musikerinnen, während ja Musik heute bei der erzkonservativen Geistlichkeit verpönt ist. MbS lässt nun kulturelle Veranstaltungen fördern – oder auch nur ganz banale Unterhaltung. In Saudi-Arabien zugerechneten Sendern sind heute Szenen zu sehen, die vorher undenkbar waren: Es wird ungeschnitten geküsst und Alkohol getrunken.

Saudi-Arabien soll demnach ein normales Land werden. Aus fünfzehn Millionen Touristen jährlich heute, die fast ausschließlich im Kontext von Pilgerfahrten ins Land kommen, sollen laut seiner Vision vierzig Millionen werden, zehn davon sollen keine Religionstouristen sein.

Alles Megalomanie oder ein belastbarer Plan? Die unabhängigen Beobachter neigen eher zu Ersterem, auch wenn an Sinn und Notwendigkeit einer Vision, die Saudi-Arabien wirtschaftlich und gesellschaftlich verändert, kein Zweifel besteht. Klar ist aber auch, dass das saudische Regime erst einmal mehr Repression anwenden wird, um diesen Weg durchzusetzen. Dissidenz aus welcher ideologischen Ecke auch immer – sei sie stockkonservativ oder demokratisch – wird nicht geduldet. (Gudrun Harrer, 28.10.2017)