Seit fast 30 Jahren im Geschäft: Modelagentin Heidi Gross.

Foto: Trunk Archive / Ellen von Unwerth

"Claudia Schiffer ist immer perfekt", sagt ihre Modelagentin. Hier zwei Bilder von Ellen von Unwerth aus dem soeben im Prestel-Verlag erschienenen Band "Claudia Schiffer".

Foto: Trunk Archive / Ellen Von Unwerth
Foto: Trunk Archive / Ellen Von Unwerth

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Models auf dem Laufsteg von Saint Laurent

Foto: REUTERS/Gonzalo Fuentes

Heidi Gross ist die Eminenz der deutschsprachigen Modelbranche. In ihrer Hamburger Agentur Model Management betreut sie seit 1990 Größen wie Claudia Schiffer oder Gisele Bündchen. Sie ist mit Elizabeth Hurley befreundet und hat Diane Kruger entdeckt. Im Gegensatz zu ihren Mädchen bleibt sie gern im Hintergrund. Gross lässt sich selten fotografieren – und auch ihr Alter hält die Hanseatin geheim.

STANDARD: Frau Gross, jeden Nachmittag dürfen sich bei Ihnen Mädchen vorstellen, die Models werden wollen. Wie viele kommen im Durchschnitt?

Heidi Gross: Das sind vielleicht zwanzig pro Monat, ganz ausgeprägt ist der Zustrom nicht.

STANDARD: Weil Model kein Traumberuf mehr ist?

Gross: Doch, das würde ich nach wie vor so sehen. Weil man ohne Ausbildung und standardisierte Vorbildung die Möglichkeit hat, erfolgreich zu sein, Geld zu verdienen, tolle Reisen zu machen und eine Zeitlang in New York oder Paris zu leben. Den Job kann man eine erkleckliche Anzahl von Jahren machen, wenn man die richtigen Voraussetzungen erfüllt.

STANDARD: Welche Kriterien zählen dazu?

Gross: Das geht mit den üblichen Vorgaben los. Ein Model muss groß genug sein, früher sagte man 1,75 Meter. Obwohl das nie unabdingbar war. Kate Moss ist nur 1,70 Meter groß.

STANDARD: Diane Kruger, die Sie 1992 auf einem Modelwettbewerb entdeckt haben, liegt ebenfalls unter dem Gardemaß.

Gross: Wir haben auch andere Mädchen, die tolle Karrieren darunter gemacht haben. Heute ist die Größe auf 1,78 Meter gestiegen. Bis 1,82 Meter geht das, alles darüber ist zu groß. Die Ansprüche an die sonstigen Körpermaße werden auch immer strenger. Vor ein paar Jahren war man zufrieden mit einer Hüfte von 90 Zentimetern. Bei den Shows in London, Paris und Mailand setzen die Designer inzwischen ein Maß unter 90 voraus. Da müssen sie richtig drauf hinarbeiten.

STANDARD: Der Vorwurf stimmt also: "Die Models werden immer dünner und jünger"?

Gross: Jünger nicht, an dem Dünnsein ist jedoch was dran. Lange Zeit wurde mit Recht dagegen Sturm gelaufen, inzwischen scheint mir der Aufruhr abzuebben.

STANDARD: Ihre Agentur vertritt auch Claudia Schiffer. Wenn man sich ihre Bilder von der bahnbrechenden Guess-Kampagne 1988 anguckt, sieht man propere Rundungen. Damit hätte sie heute keinen Erfolg.

Gross: Doch, wenn ein Mädchen so toll ist wie sie, sind die richtigen Maße nicht so wichtig. Claudia war auch damals schon umwerfend hübsch. Dafür braucht man nicht unbedingt eine Hüfte mit 88 Zentimetern zu haben.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Schiffer sei unter anderem erfolgreich, weil sie "exzellente Manieren und ein gutes Elternhaus" habe. Wie hilft das bei der Karriere?

Gross: Jeder Mensch, der höflich ist, wird es einfacher haben als jemand, der unzuverlässig arbeitet. Sie müssen bedenken, dass jedes Foto immer Teamwork ist. Neben dem Model gibt es den Fotografen, zwei, drei Stylisten, den Mann am Licht, der Kunde ist vielleicht auch noch da. Wenn Sie da muffig und launisch sind, hilft das niemandem.

STANDARD: Der Karriere von Naomi Campbell scheint es nicht geschadet zu haben.

Gross: Ach nein, Naomi ist eine ganz intelligente Frau und ein hochbegabtes Modell. Sie entfaltet sich natürlich am besten mit Menschen, die einen hohen Standard haben.

STANDARD: Beide Supermodels scheinen sportlicher zu sein als zu Beginn ihrer Karriere. Ist das ein Zeichen der Zeit?

Gross: Models müssen sich heute die Frage stellen: Wie oft treibe ich Sport am Tag? Von jungen Mädchen wird mehr Sport als früher erwartet.

STANDARD: Manche junge Frau geht ins Sportstudio, trainiert ihren Körper und glaubt, sie sei für den Beruf geeignet, solange sie schön schlank ist.

Gross: Das stimmt natürlich nicht. Wenn ich ins Fitnessstudio gehe, sehe ich viele übertrainierte Frauen, die mit Gewichten arbeiten und ziemlich muskulös sind. Das können sie gern toll finden, der richtige Weg zum Model ist es nicht.

STANDARD: Sie sind seit 1976 im Geschäft, als Sie in Paris begannen, bei der legendären Agentur Elite Models zu arbeiten. Was hatte ein Mädchen damals vom Beruf zu erwarten?

Gross: Genau das Gleiche. Mit viel Glück, gutem Management und den richtigen Voraussetzungen eine Karriere zu machen.

STANDARD: Es hat sich in 40 Jahren gar nichts geändert?

Gross: Die Mädchen müssen sich mehr mit der Konkurrenz befassen als früher. Wir merken das, wenn wir ein Model im Ausland platzieren. Es war eine Zeitlang in Mailand oder London, hat gut gearbeitet, dann ist es eine Weile weg – und die Anfragen bleiben aus.

STANDARD: Warum hat sich die Konkurrenz so erhöht?

Gross: Allein schon dadurch, dass es vor 30 Jahren die ganzen Brasilianerinnen nicht gab. Der Ostblock war dicht, da kam kein Model her. Und wer wollte in den 80er-Jahren schon ein Model aus China, Japan oder Indien buchen?

STANDARD: Woher kamen die Mädchen?

Gross: Die klassischen Länder fürs Scouting waren Schweden, Dänemark und Holland, was sich im Übrigen bis heute nicht geändert hat. Da wachsen sie anscheinend auf den Bäumen. In England, Italien oder Spanien gab es nie ein umfangreiches Angebot an wirklich erfolgreichen internationalen Modellen. Deutschland hatte mal den einen oder anderen großen Star wie Claudia Schiffer oder Anna Ewers, aber nie ein breites Angebot an wirklich guter Qualität.

STANDARD: Die Öffnung der Grenzen hat also das Geschäft nachhaltig verändert.

Gross: In vielerlei Hinsicht. Die Mädchen müssen mobiler sein und oft reisen. Wohin fährt man überall, um ein Shooting zu machen, und man fragt sich manchmal, warum eigentlich? Zum Beispiel Australien. Selten hat man vor 20 Jahren ein Model auf diese wahnsinnig lange Reise geschickt.

STANDARD: Da kennt man heute kein Pardon.

Gross: Man folgt einfach dem Trend. Ich glaube, keiner der Beteiligten nimmt das als Zumutung wahr.

STANDARD: Eine andere Entwicklung, die das Modelbusiness beeinflusst, ist der Boom der sozialen Netzwerke.

Gross: Die Anzahl der Instagram-Follower bestimmt seit etwa fünf Jahren den Wert eines Mädchens mit. Die Kunden gucken, wie viele Menschen einem Mädchen folgen. Wenn ein Model in seinem Account noch ein Bild postet, dass es für den Kunden X eine neue Badekollektion geschossen hat, das ist ein erheblicher Zugewinn. Es gibt einige Models, die dadurch sehr viel wichtiger geworden sind.

STANDARD: Ist es wichtiger, ein Mädel bei Instagram oder auf dem Laufsteg zu sehen?

Gross: Von der Wertigkeit ist vermutlich die Zahl der Instagram-Follower entscheidend. Der Laufsteg ist vergänglicher. Eine Catwalk-Karriere ist zeitlich begrenzt, nach drei Jahren New York, Paris, Mailand wird es weniger. Instagram kann man weiterpflegen. Und die Reichweite ist viel größer.

STANDARD: Lässt sich durch die sozialen Netzwerke eine Koinzidenz wie der Supermodel-Boom in den 90er-Jahren wiederholen?

Gross: Das glaube ich nicht. Auch wenn es sich manchmal so darstellt mit Models wie Kendall Jenner und Gigi Hadid. Über sie wird ständig berichtet, sie haben einen wahnsinnigen Promotion-Effekt dank der sozialen Medien und bedienen diese auch meisterhaft. Das kann ich jedoch nicht mit den damaligen Supermodels vergleichen. Das war eine Laune der Zeit. Da haben viele Dinge mitgespielt, MTV, Gianni Versace und auch der Zufall, dass es klasse Mädchen waren.

STANDARD: Raten Sie Ihren Mädchen, einen vernünftigen Instagram-Account einzurichten?

Gross: Das haben die schon. Wir verkaufen inzwischen auch Instagram-Präsenz. Ein Kunde möchte ein Modell nicht nur für eine Show oder einen Katalog buchen, sondern zusätzlich noch für seine sozialen Netzwerke.

STANDARD: Wie schaut es mit Castingshows aus? Haben sie zur Entzauberung oder Glorifizierung der Branche beigetragen?

Gross: Beides. Man spricht mehr darüber, der Beruf wird populärer, aber es sind daraus – bis auf wenige Ausnahmen – keine großen Modelkarrieren entstanden. Es ist große Unterhaltung, ich gucke mir das auch immer mal wieder an.

STANDARD: Und ist Ihr Alltag so verrückt?

Gross: Da gibt es viele übertriebene Inszenierungen. Das Geschäft ist nicht so. Die Mädchen müssen nicht ständig mit einer Anakonda flirten.

STANDARD: Sprechen wir über einen anderen Faktor der Branche: die Mode. Sie richtete sich in den vergangenen Jahren nach der Straße aus. Gilt das nun auch für die Models?

Gross: In einem gewissen Umfang trifft das zu. Obwohl: Richtig schöne Mädchen mit einem Gesicht wie Claudia, die haben immer Konjunktur. Aber wir beobachten, dass sich das Geschäft in Richtung des Alltäglichen bewegt, was nicht mit banal zu verwechseln ist. Die Mädchen dürfen spezieller sein, ihre Gesichter weichen von klassischen Idealen ab.

STANDARD: Jemand wie Cara Delevingne ist trotz dichter Augenbrauen berühmt und heute ein Filmstar geworden.

Gross: Was für alle trotzdem gilt: Sie müssen fotogen sein. Das ist das Zauberwort jeder Karriere.

STANDARD: Kann man das lernen?

Gross: Nein, das ist ein Talent, das man haben muss. Kein Fotograf wird mit einem Model arbeiten, das er nur in einer bestimmten Pose, von einer bestimmten Seite ablichten kann. Einen Filmstar kann man in einer Modestrecke inszenieren, bei einem Model muss das gegeben sein. Ich kenne kein Foto von Claudia, auf dem sie nicht wie Claudia Schiffer aussieht, keine Verzerrungen, kein Zucken im Gesicht, nie hatte ich den Gedanken, hätte sie mal anders geguckt, wäre es besser gewesen. Sie ist immer perfekt. (Ulf Lippitz, RONDO, 7.11.2017)

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