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Irgendwann im Laufe einer jeden US-Präsidentschaft stellt sich die Frage, an welchen großen Leitlinien sich der Amtsinhaber orientiert. Manche definieren ihre "Doktrin" in ihrer Antrittsrede wie John F. Kennedy: "Wir werden jeden Preis zahlen, jede Last tragen, jede Mühe auf uns nehmen, jeden Freund unterstützen und jedem Feind gegenübertreten, um Überleben und Erfolg der Freiheit zu sichern." Andere, wie Barack Obama, lehnen grundsätzlich "doktrinäre Zugänge" ab. Und einem, Donald Trump, ist es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit einerlei, wenn die – Fake-News! – "New York Times" schreibt, seine Doktrin lasse sich in drei schlichten Sätzen zusammenfassen: "Obama built it. I broke it. You fix it." Zugespitzt übersetzt könnte das heißen: Wir sehen Donald den Zerstörer.

Volkstribun mit Twitter-Account

Vor einem Jahr gewählt, startete der Republikaner als ein Volkstribun mit Twitter-Account, der keine Gefangenen macht und die große, gut geölte Politikmaschine in Washington zu zerschlagen gedenkt. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass der angeblich so starke Mann tatsächlich ein extrem schwacher Führer ist – er hat außergewöhnlich schlechte Umfragewerte, im Kongress macht er mit keinem seiner vielen Gesetzesvorschläge Meter, und der russische Schatten über seiner Wahl wird immer dunkler.

Je offensichtlicher allerdings diese Schwäche im Laufe der vergangenen Monate wurde, desto stärker trat Trump auf – und beschädigte dabei, von wegen "America first!", die ureigensten Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika.

Sein Dekret gegen Obamacare spaltet die US-Gesellschaft erneut in einem Maße, das den sozialen Frieden im Land gefährdet. Wie unvollständig Obamas Krankenversicherungsreform auch gewesen sein mag, sie hat den Anteil der Unversicherten um etwa die Hälfte auf derzeit neun Prozent verringert. Mit Trumps Maßnahmen wird sich dieser Trend wieder umkehren.

Trumps Außenpolitik ist kurzsichtig

Die Ankündigung des Präsidenten, das amerikanische Freihandelsabkommen Nafta neu verhandeln zu wollen und dessen pazifisches Pendant TPP erst gar nicht in Kraft treten zu lassen, schwächt die Einflussmöglichkeiten der USA massiv. TPP wäre ein von Washington geführter Zwölf-Länder-Block gewesen, der China im pazifischen Raum ökonomisch hätte Paroli bieten können.

Die Absicht, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, klingt angesichts der enormen Schäden in der Hurrikansaison grotesk; ebenso die Rückabwicklung von Obamas Umweltpolitik in den ohnehin nicht unbedingt umweltbewegten Staaten.

Trumps Außenpolitik in Sachen Iran und Atomdeal ist kurzsichtig, fahrlässig und höchst brisant in einer Region, die seit jeher einem Pulverfass gleicht. Sein Zugang zur Korea-Krise ist schlimmstenfalls eine nukleare Einbahnstraße.

Jahrestag in China

Es ist fast ironisch, dass Trump den ersten Jahrestag seiner Wahl in China verbringt. Dem Land, in dem Präsident Xi Jinping sich zuletzt ein starkes Mandat vom KP-Parteitag für seine strategische globale Expansionspolitik in Politik und Wirtschaft geholt hat. Diese fordert die Hegemonie der USA so heraus, wie es zuletzt die Sowjetunion getan hat. Wurden früher noch Romane über "stille Amerikaner" in Ostasien geschrieben, die die Macht der USA dort ausspielten, stolpert heute ein "lauter Amerikaner" durch die Region, der dabei ist, die Macht der USA (und des Westens) zu verspielen. (Christoph Prantner, 8.11.2017)