Mit etwas Glück könnte Hans Jörg Schelling eine Topposten auf EU-Ebene bekommen.

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Brüssel/Wien – "Ich habe eine Vorstellung davon, aber die werde ich Ihnen jetzt nicht sagen." Mit dieser kryptischen Aussage beantwortete der deutsche Finanzminister Peter Altmaier am Dienstag nach dem EU-Ministerrat in Brüssel die Frage, ob der neue Chef der Eurogruppe aus einem der beiden großen Kernländer der Währungsunion, also Deutschland oder Frankreich, kommen werde.

Oder ob der Nachfolger des Mitte Jänner abtretenden Niederländers Jeroen Dijsselbloem wieder aus einem mittleren oder kleinen Mitgliedsland der Währungsunion kommen werde, möglicherweise mit Hans Jörg Schelling aus Österreich (auf sein Nationalratsmandat hat er am Donnerstag jedenfalls verzichtet). Diese Philosophie, den Vertreter eines machtpolitisch eher unverdächtigen EU-Landes in eine der wichtigsten Positionen der Union zu hieven, um historisch gewachsene finanz- und währungspolitische Differenzen zwischen Paris und Berlin auszugleichen, hatte man seit der Einführung des Euro im Jahr 2001 verfolgt.

Juncker war der erste

Aus diesem Grund war der Luxemburger Jean-Claude Juncker als erster Eurogruppenchef zum Zug gekommen, der langjährige Vorgänger von Dijsselbloem bis Ende 2012, heute Kommissionspräsident, ein Christdemokrat von der Europäischen Volkspartei (EVP). Dass ihm der Sozialdemokrat Dijsselbloem folgte, hatte wieder mit dem Willen nach Ausgleich zu tun: Da die wichtigsten EU-Ämter mit EVP-Leuten besetzt waren (so auch mit Ratspräsident Donald Tusk), einigte man sich einstimmig auf einen Sozialdemokraten, der aber aus einem Land stammte, das auf finanzpolitische Stabilität sorgt – ganz nach deutschen Wünschen.

Ginge es nach Altmaier, dann soll der neue Chef der Eurogruppe ausschließlich nach seinen "merits", seinem Können und seinen Verdiensten beurteilt werden. "Nicht wegen der Zugehörigkeit zu einer politischen Familie, oder nach geografischen Gesichtspunkten", solle man dieses Schlüsselamt bekommen, und auch nicht wegen eines Gesamtpakets in Zusammenhang mit anderen EU-Posten. Wie das "Handelsblatt" am Donnerstag berichtete, hatten sich die Finanzminister der EVP davor bereits darauf geeinigt, wer dieser verdiente Mann sein solle: Finanzminister Schelling.

Nicht der einzige Kandidat

Er ist in der Tat der einzige Christdemokrat, der neben drei anderen aussichtsreichen Bewerbern in Brüsseler Kreisen genannt wird. Allerdings: Schellings Chancen stehen auf den ersten Blick nicht so gut. Besser könnte der slowakische Finanzminister Peter Kazimir liegen. Er hat den Vorteil, Sozialdemokrat zu sein. Da Kommission, Europäischer Rat und EU-Parlament im Moment von EVP-Männern an der Spitze geführt werden, hat er ganz gute Chancen. Gegen ihn spricht, dass die Slowakei in der Zeit der Eurohilfen von Griechenland bis Irland eine ultraharte Position eingenommen hat – gegen Hilfsprogramme für klamme Ländern. Bratislava zögerte mit Hilfskrediten, so wie auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen später. Das kommt bei den Kerneuropäern in der Eurozone nicht gut an.

Daher hat auch der Kandidat aus Luxemburg, der Liberale Pierre Gramegna, ein gelernter Diplomat, gute Chancen. Er ist, wie Schelling, seit 2013 Finanzminister und entsprechend erfahren. Was gegen ihn spricht? Juncker als Kommissionspräsident. Gleich zwei Luxemburger an zentraler Stelle in der Europolitik, das könnte dem einen oder anderen Land sauer aufstoßen.

Kleinster gemeinsamer Nenner?

Gewählt wird der Chef der Eurogruppe von den Finanzministern, in der Regel einstimmig, reichen würde aber theoretisch eine einfache Mehrheit. Das Gremium ist nur informell, keine EU-Institution, ähnlich der Landeshauptleutekonferenz in Österreich. Schelling könnte der kleinste gemeinsame Kompromiss für alle sein. Allerdings hat auch er einen Nachteil.

Bleibe ein vierter Kandidat: Der neue französische Finanzminister Bruno Le Maire, ein früherer Europaminister unter Nicolas Sarkozy. Er hätte die Unterstützung seines Präsidenten Emmanuel Macron. Aber was gegen Le Maire spricht ist die Tatsache, dass der EU-Währungskommissar mit Pierre Moscovici bereits mit einem Franzosen besetzt ist. Zudem wäre es für Deutschland schwierig, einen Vertreter aus Paris als Eurogruppenchef zu akzeptieren.

Kern für Schelling

Der Chef der Eurogruppe muss in seinem Land Finanzminister sein, was im Moment bei Schelling unklar ist, solange nicht klar ist, wer mit wem mit welchen Ministern in Österreich wie regiert. Schelling hat sich in der Vergangenheit in einem STANDARD-Interview klar dafür interessiert, dass er Chef der Eurogruppe werden möchte, "eine große Auszeichnung" wäre das. Auf der anderen Seite hat er sich mehrfach geäußert, dass er nicht einer Regierung mit der FPÖ angehören möchte. So könnte der einflussreichste Posten, den je ein Österreicher in der Europäischen Union innehaben, am Land vorbeiziehen. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) unterstützt Schellings Kandidatur, sagte er in einem Interview mit der "Tiroler Tageszeitung" am Donnerstag. Sein möglicher Nachfolger Sebastian Kurz hat auf EU-Ebene noch nicht für Schelling lobbyiert. (Thomas Mayer, 9.11.2017)