Riesenbuchstaben an einer Wand im Wintergarten des Instituts für Molekularbiologie Austria (IMBA), eine Arbeit des Künstlers Lukas Troberg, stellen diese provokante Frage: "What if God was wrong?" Damit trifft sie für viele ins Herz einer Diskussion, die seit Jahrzehnten so erbittert wie wenige andere geführt wird.

Die Debatte um Gentechnik und gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) war vielleicht die erste "postfaktische" überhaupt. Seit Jahrzehnten beflegeln sich Gegner und Befürworter höchst emotional mit übelsten Beschimpfungen und Unterstellungen, hantieren mit "alternativen Fakten" und "Fake-News" – lange vor Erfindung dieser Neusprechbegriffe für Lügen. "Frankenfood" oder "Gen-Scheiß", brüllen die einen, "hunderttausendfachen Mord", gar einen "stillen Holocaust" werfen dagegen etwa Befürworter von Golden Rice den Anbaugegnern vor – die gentechnisch veränderte Sorte soll Vitamin-A-Mangel in Entwicklungsgebieten beheben. Auf beiden Seiten werden Studien gefälscht oder falsch zitiert, Argumente verdreht oder ignoriert, Inhalte auf Slogans und Parolen reduziert.

"Wer argumentiert, Gentechnologie sei "nicht natürlich", müsste konsequenterweise auf sämtliche Entwicklungen der Zivilisation verzichten." Marc Elsberg
Foto: Lukas Ilgner

Pharisäerhafte Debatten

Gern werden auch zwei Dinge (absichtlich?) miteinander vermengt oder gleichgesetzt, die man auseinander halten müsste: Geschäftspraktiken und (Gen-)Technologie. Konzernabhängige Bauern sind nicht der Gentechnologie zuzuschreiben, sondern den Geschäftspraktiken mancher Unternehmen – auch wenn diese unter anderem mittels GVOs durchgesetzt werden. Andererseits verdirbt laut Studien ein Drittel der Nahrungsmittel gerade in Entwicklungsländern durch falsche Lagerung und Transport. Verbesserungen bei diesen würden oft schon Nahrungsmittelsicherheit herstellen, da braucht es nicht immer GVOs.

Dabei beschränkt sich diese hitzig geführte Debatte in unserer Öffentlichkeit im Wesentlichen auf Anwendungen in der Landwirtschaft. Und selbst da mit einer gewissen Pharisäerhaftigkeit: Achtzig Prozent der weltweiten Baumwollernte stammen von gentechnisch veränderten Pflanzen, also auch der Großteil der Kleidung in unseren Geschäften. Die Verkaufszahlen legen nahe, dass auch die meisten Gegner von Gentechnik in der Landwirtschaft ebendiese gern an ihre Haut lassen, wenn sie schön billig ist. Und weit weg. Gentechnik meinetwegen, but not in my backyard! Wobei mir andererseits jemand erklären muss, warum wir in Europas Überschuss produzierender Landwirtschaft Gentechnik einsetzen sollten. Um noch mehr Überproduktion gesponsert in Entwicklungsländer zu exportieren und die dortigen Märkte zu ruinieren?

Ursachen für das Unbehagen

Eine Ursache für das Unbehagen vieler liegt aber wohl tiefer, wie Trobergs Kunstwerk deutlich macht. Keine andere Technologie kann so unmittelbar in das eingreifen, was wir Leben und Natur nennen. Und sie kann es immer stärker. Das beunruhigt viele Menschen. Eigentlich ist es ja faszinierend: Gerade einmal zwei Dutzend Bausteine (Nukleotide, Aminosäuren) bilden die Grundlage für praktisch alles Leben auf diesem Planeten. Je nach genetischer Codierung schaffen sie eine Alge oder eine menschliche Gehirnzelle. Leben als die Codierung von Materie zu betrachten bedeutet für viele aber nicht zuletzt eine tiefe Kränkung – ähnlich wie damals, als Kopernikus uns aus dem Mittelpunkt des Universums vertrieb oder Darwin uns zu Nachkommen von Affen machte. Und jetzt sollen wir plötzlich nicht mehr sein als elaborierte Legosteine, die man irgendwann nach Belieben zusammen- oder umbauen kann?

Wir dürfen nicht "Gott spielen"! Gott irrt nicht. Oder? Wir Menschen wurden als Ebenbilder des Schöpfers geschaffen, sind folglich selber Schöpfer, argumentiert auch so mancher Theologe.

Natur und Technik

Auch wenn wir Gott aus dem Spiel lassen, bleibt in Laiendiskussionen eines der beliebtesten Argumente, Gentechnologie sei "nicht natürlich". Wer so argumentiert, müsste konsequenterweise auf sämtliche Entwicklungen der Zivilisation verzichten, von Kleidung über Brille, Fernseher, Handy, Fahrrad oder Auto bis zu Medikamenten oder Herzschrittmachern, denn sie alle wachsen so nicht auf Bäumen. Auch praktisch alle Lebensmittel, die wir heute zu uns nehmen, stammen von Kulturpflanzen und Zuchttieren, die nur mehr wenig mit ihren "natürlichen" Vorfahren oder "wilden" Verwandten zu tun haben. Sie gälte es als Vertreter des "Nicht natürlich"-Arguments daher in Zukunft ebenfalls tunlichst zu vermeiden. Viel Vergnügen in der Vorsteinzeit!

"Polemik", werden nun manche rufen. Gemeint sei, dass Gentechnologie keine natürliche Entwicklung sei. Dass "natürliche" Entwicklungen in Zeitdimensionen verliefen, die "den Menschen" oder "der Natur" eine Anpassung erlaube usw. Der Ursprung dieser Argumentationslinien liegt wohl in einer Haltung, die a) "Natur" und "Kultur/Zivilisation" (inklusive Technologien) als Gegensatzpaare definiert und b) "Natur" als grundsätzlich positiv sieht, während "Kultur" die "Natur" zu verderben drohe. Und die c) befindet, dass "Natur" keiner Entwicklung unterliege, sondern statisch sei, sich nicht irre und daher auch vom Menschen nicht verändert werden dürfe – da wird sie dann dem unfehlbaren Gott gleichgesetzt.

Natur ändert sich

Natürlich ändert sich "die Natur" laufend, gern sogar ausgesprochen sprunghaft und alles andere als immer menschen- oder lebensfreundlich. Springflut, Erdbeben, Kometen? Oder mal eben eine kleine Virenmutation, durch die der Erreger Menschen infizieren kann, und schon bringt "die Natur" Abermillionen ums Leben, die leider nicht ausreichend Zeit zur Anpassung hatten, mit Pest, Cholera, Pocken, Spanischer Grippe, HIV und anderem. Während die Kultur zum Beispiel mittels Hygiene, Medikamenten und Impfungen Millionen Menschenleben rettet. Und trotz diverser desaströser Fehlentwicklungen wie Asbest, DDT, Contergan oder Kernkraftkatastrophen, die in der Diskussion gern als Beispiele für die Gefahren moderner Technologien angeführt werden, leben dank der überwiegend hilfreichen Entwicklungen heute Milliarden Menschen besser, länger und gesünder als jeder König vor hundert Jahren (und einige Milliarden nach wie vor nicht – weil sie keinen oder zu wenig Zugang zu diesen modernen Entwicklungen und sozialen Errungenschaften haben).

Leseprobe aus Marc Elsbergs "Helix"
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Hier gälte es also zu hinterfragen, ob a) "Natur" und "Kultur" tatsächlich Gegensätze sind und – wenn man darauf besteht – b) "die Natur" tatsächlich "der Kultur" vorzuziehen ist.

Eigentlich aber steht es um das Ansehen der Biotechnologie ohnehin nicht so schlecht. Während laut Umfragen weiterhin eine Mehrheit der Europäer (und eine noch größere der Österreicher) Gentechnik in der Landwirtschaft ablehnt, befürwortet eine Mehrheit industrielle oder medizinische Anwendungen.

Manipulative Propaganda

Kein Wunder, gehört Biotechnologie doch eigentlich schon seit einer Generation zu unserem Alltag und hat in dieser Zeit beachtliche Fortschritte gebracht. Man denke nur, wie viel einfacher und günstiger Diabetiker heute zu Insulin kommen, seit dieses von gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden kann. Dank neuer Technologien wie CRISPR/Cas9 oder gewaltig gestiegener Computerrechenleistungen dürfen wir in den kommenden Jahren zahlreiches Neues erwarten. Doch aus Sorge, in Schützengrabendiskussionen wie bei der grünen Gentechnik zu geraten, arbeiten viele Forschende heute lieber im Stillen. Dadurch aber kommen wir in einen Teufelskreis: Die Angst vor Unbekanntem, gleichgültig ob vor Nützlichem oder Schädlichem, ist eines der stärksten Motive für Ablehnung bei vielen Menschen. Ablehnung führt zu Nichtwissenwollen. Nichtwissenwollen zu noch mehr Unwissenheit.

Ich glaube, besonders die Forschenden sollten den Bonus, den man der Biotechnologie in vielen Bereichen gibt, mutiger und begeisterter zur Information der breiten Öffentlichkeit nützen. Sie sollten auch wagen, selbstbewusster ebenso über Misserfolge zu sprechen wie über ihre Erfolge, um sich von der oft einseitigen und manipulativen Jubelpropaganda kommerzieller Unternehmen zu unterscheiden. Und natürlich müssen sie sich auch kritischen Fragen stellen. Etwa jenen nach den Motiven und Zielen ihrer Forschung. So wie sie selbst es ohnehin täglich tun, wenn sie etwa im Treppenhaus des IMBA an einem weiteren Kunstwerk vorbeikommen, Kay Walkowiaks Installation Please leave quietly: darin lässt er einen Hometrainer kopfüber von der Decke hängen und thematisiert damit den "Drang, das Unmögliche zu versuchen".

Keine Spuren

Manche Entwicklungen ändern die Diskussionsvoraussetzungen schließlich gerade grundlegend: Die relativ junge Geneditierungsmethode CRISPR/Cas9 etwa hinterlässt in damit veränderten Organismen keine Spuren. Ist das jetzt "Genmais" auf dem Feld oder nicht? Kaum mehr nachweisbar. Und wenn man mit CRISPR/Cas9 lediglich ein Gen "ausschaltet", ohne artfremde Gene einzuführen, zum Beispiel damit ein Champignon nicht mehr braun wird, wenn man ihn drückt – ist das Ergebnis ein GVO? Die US-Behörde FDA urteilte: Nein. Aber bevor sich jemand empört: Zu welchen Champignons greifen Sie? Die überwiegende Mehrheit der Konsumenten wählt die weißen. Und bringt so die Lebensmittelindustrie erst auf die Idee zum "genweißen" Champignon. Gleichzeitig macht CRISPR/Cas9 dank seiner Präzision vieles erst möglich (und nebenbei das gern verwendete Gegenargument gefährlicher Ungenauigkeit oft arbeitslos).

Letztlich reden wir von einer Technologie. Diese kann man zum Schlechten und zum Besten einsetzen. Aber nur, wenn wir möglichst viel darüber wissen, so viel wie möglich forschen und entwickeln, können wir informiert Risiken gegen Chancen abwägen, können wir diese Risiken minimieren und die Vorteile optimal nützen. (Marc Elsberg, 13.11.2017)