60 Prozent aller Infarkte sind durch Diabetes verursacht – oft wissen die Betroffenen gar nicht, dass sie zuckerkrank sind.

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Michael Nauck ist Leiter der klinischen Forschung der Abteilung für Diabetologie am Klinikum Ruhr-Universität Bochum.

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STANDARD: Welche Neuerungen gibt es bei der Diabetes-Therapie?

Nauck: Es gibt viele kleine Fortschritte in verschiedenen Bereichen. Nicht alle führen dazu, dass man die aktuellen Behandlungsleitlinien umschreiben muss. Viele Medikamente sind optimiert worden. Es ist die gleiche Wirkstoffklasse, allerdings optimiert, das bringt bessere Ergebnisse.

STANDARD: Inwiefern?

Nauck: Zum Beispiel eine Reduzierung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es ist ja seit langem bekannt, dass Diabetiker ein deutlich erhöhtes Risiko haben, früher oder später im Leben einen Herzinfarkt zu erleiden. Sie sind auch anfälliger für andere kardiovaskuläre Ereignisse.

STANDARD: Wie groß ist das Risiko?

Nauck: Mehr als 60 Prozent aller Infarkte sind durch Diabetes verursacht. Im Vergleich zu einem Nichtdiabetiker ist das Risiko um das Zweieinhalbfache erhöht. Hat jemand bereits eine Herzdiagnose zusätzlich zum Diabetes, ist das Risiko, an einem kardiovaskulären Ereignis zu sterben, um das Vierfache erhöht.

STANDARD: Diabetiker brauchen dann zwei Therapien?

Nauck: Genau. Durch das Normalisieren des Cholesterinspiegels mit Statinen reduziert sich das Risiko wieder um ein Drittel, die medikamentöse Senkung des Blutdrucks bringt noch einmal 20 Prozent an Gefahrenreduktion.

STANDARD: Wie wichtig ist eine gute Blutzuckereinstellung in Bezug auf das Herz-Kreislauf-Risiko?

Nauck: Alle zusammenfassenden Studien zeigen leider, dass die Blutzuckereinstellung durch Insulin oder Antidiabetika selbst auf das kardiovaskuläre Risiko leider keinen Einfluss hat. Allerdings haben wir seit kurzem Daten, die zeigen, dass zwei neue Medikamentenklassen diesbezüglich günstig sein könnten?

STANDARD: Welche Medikamente?

Nauck: Die sogenannten GLP1 -Rezeptor-Agonisten, konkret ist es Liraglutid, das in einer Studie die Reduktion des kardiovaskulären Risikos um 15 Prozent bei Dia betes Typ 2 gezeigt hat. Eine andere Medikamentenklasse, die diesbezüglich ebenfalls vorteilhaft zu sein scheint, sind die SGLT2-Hemmer, Empa gliflozin ist der Medikamentenname. Aber auch damit sind die Risikoniveaus noch nicht gleich mit den Nicht diabetikern. Wir müssen hier noch stark weiter optimieren.

STANDARD: Woran wird aktuell noch geforscht?

Nauck: Diabetes Typ 2 hängt sehr stark mit dem Übergewicht zusammen. Besonders aufregend sind deshalb Medikamente zur Gewichtsabnahme. Es wird an einem Hormonmix gearbeitet, der eine ähnliche Wirkung hat wie eine bariatrische Operation, etwa ein Magenbypass. Im Tierversuch ist eine Körpergewichtsreduktion von 25 Prozent gelungen. In zehn bis 15 Jahren könnten solche Medikamente auf den Markt kommen, damit würde sich das Diabetes-Problem oft von selbst lösen.

STANDARD: Welchen Stellenwert räumen Sie der Technik ein?

Nauck: Software-Lösungen haben Potenzial, allerdings habe ich den Eindruck, die Firmen wenden sich direkt an Patienten. Eine Auswertung der Daten könnte aber für die allgemeine Behandlung wichtig sein. Insofern sollten auch Behandler miteinbezogen werden. (Peter Hopfinger, 15.11.2017)

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