Wer sich die Bildungsstudien der vergangenen Jahre ansieht, erkennt: Im österreichischen System herrscht Reformbedarf, allen Modellierversuchen zum Trotz.

Wenn jeder vierte Volksschüler nur kurze und wenig komplexe Texte lesen und auch verstehen kann, läuft etwas falsch. Rund 13 Prozent der Viertklässler besitzen auch diese grundlegenden Fertigkeiten nicht. Das Ganze setzt sich mit zunehmendem Alter fort. Fast jeder dritte Fünfzehnjährige gilt in Lesen, Mathematik oder Naturwissenschaften als "Risikoschüler".

Jetzt könnte man fragen, wieso das so ist. Man könnte die Liste der Verbesserungsvorschläge renommierter Bildungsexperten durchackern. Oder zumindest sich selbst beim Wort nehmen. "Bildung von Anfang an" bilde die Grundlage für alle weiteren Lernprozesse, darin ist man sich über Parteigrenzen hinweg einig. Von "Rohdiamanten" spricht der blaue Parteichef, wenn es um die Kleinen geht, die man für die Zukunft fit machen will.

Logisch weitergedacht hieße das: Die Elementarbildung schwimmt schon bald im Geld. Die Pädagoginnen können sich in den damit finanzierbaren kleineren Gruppen auch wirklich auf die Bildungsarbeit konzentrieren. Endlich gibt es Zeit für Eltern- und Teamgespräche. Selbstverständlich ist der Kindergarten nachmittags gratis. Und weil alle an der Uni ausgebildet sind und es jetzt auch in Österreich eine statt neun verschiedene Regeln zu den organisatorischen Rahmenbedingungen gibt, steigt auch die Qualität. Bildungs-Winter-Wonderland!

Physik-, Mathe- und Englischprivatissimum

Aber, leider nein. Bildung in Türkis-Blau folgt dem Muster: Freiwilligkeit da, wo sie gebraucht wird – etwa bei der Akademisierung der Kindergärtnerinnen. Oder der verschränkten Ganztagsschule. Ob es die gibt, sollen Eltern, Lehrer und Schüler weiterhin am Standort entscheiden. Kein Problem, solange sich Mutti und Vati in bildungsnahen Familien abends das Physik-, Mathe- oder Englischprivatissimum für den Nachwuchs aufteilen – oder viel Geld für die Nachhilfe zahlen.

Darüber hinaus herrschen Pflicht und Ordnung. Das ist notwendig fürs Image und zieht sich durch viele Vorhaben von ÖVP und FPÖ. In Form der geplanten Bildungspflicht heißt das: Gelernt wird, bis du's kannst. Ob es sinnvoll ist, schulfrustrierte Jugendliche bis zu drei weitere Jahre in der Klasse absitzen zu lassen, ist da irrelevant. Was zählt, ist die Verknüpfung mit dem angedrohten Streichen von Sozialleistungen, wenn auch die Eltern nicht kooperieren.

Vorher alleine lassen und hinterher strafen ist nur leider ein Ansatz, der sich nicht durch Fairness auszeichnet. Im frühzeitigen schulischen Aus landet hierzulande meist, wer von vornherein schon schlechtere Startbedingungen hat. Ganztägiger Unterricht – gemeint ist bis etwa 15.30 Uhr – in guter Balance mit Freizeitphasen wäre ein verfolgenswertes bildungspolitisches Ziel. Aber Verbindlichkeit ist bei dem Thema auch im Jahr 2017 von den Demnächst-Koalitionären nicht erwünscht.

Pflicht hingegen gibt es auch dort, wo es mit vermeintlicher Kuschelpädagogik aufzuräumen gilt. Denn für die harte Schule des Lebens scheint es nie zu früh zu sein. Lust am Lernen? Lieber teilt man Sechsjährige pauschal per Ziffernnote in "die Guten" und "die Schlechten" ein, statt klar nachvollziehbar festzuhalten, welche Lernfortschritte sie bereits gemacht haben – und wie die nächsten Lernziele aussehen sollten. (Karin Riss, 29.11.2017)