Sex mit Drogen koppeln: enthemmt, steigert Lustempfinden und macht sehr schnell abhängig. Ein Entzug ist extrem schwierig.

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Es funktioniert in Zeiten von Onlinedating ganz unkompliziert. Die meisten Verabredungen zu Sexpartys finden vor dem Wochenende über Grindr und Tinder statt. Treffpunkt sind Privatwohnungen. Wer kommt, weiß, was er will. In der Erwartung eines ultimativen oder multiplen Orgasmus zahlt man einen Unkostenbeitrag für die Drogen, die dort schon bereitliegen, wirft sie ein und überlässt sich dem Trieb und dem Treiben. Mit vielen Partnern. Manchmal das ganze Wochenende.

Chem-Sex, eine Wortkombination aus Chemie und Sex, heißt ein neues Phänomen, das im British Medical Journal 2015 erstmals als massives Gesundheitsrisiko beschrieben wurde. London und Berlin waren die ersten Hotspots in Europa. Auf Sexpartys erhöht sich das Risiko drastisch, sich nicht nur mit HIV, sondern auch mit andere Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Gonorrhö, Hepatitis, Chlamydien, Genitalherpes oder HPV anzustecken. "Mittlerweile bieten wir auch in der HIV-Ambulanz bei uns im AKH eine Chem-Sex-Sprechstunde an", sagt Gerold Felician Lang, HIV-Experte an der MedUni Wien, der Chem-Sex als "Riesenproblem" in vielen europäischen Städten einstuft.

Nicht nur einmal hat er erlebt, dass nach einem Wochenende zwei HIV-Patienten mit derselben Kombination verschiedener Geschlechtskrankheiten gekommen sind. "So erfahren wir über solche Partys", sagt er, und nicht immer gelinge es, sämtliche Teilnehmer zu kontaktieren, um die Verbreitungsgefahr zu bannen. Was Lang in den Gesprächen in der Ambulanz schon mehrmals gehört hat, ist, dass "das mit dem Orgasmus unter Drogen nicht selten ein eher frustranes Erlebnis ist. Man ist geil, kann aber nicht kommen." Natürlich wüsste jeder in nüchternem Zustand, dass sich Infektionsrisiken durch das Verwenden von Kondomen vermeiden ließen, doch weil die Drogen den Verstand außer Kraft setzten, würden die Grundregeln für Safer Sex fast immer schnell über Bord geworfen.

Eine Frage der Leistung

Das bittere Ergebnis spiegelt sich in der Statistik wider. In Österreich leben derzeit 8.000 HIV-Positive. Im Jahr 2016 kam es zu 447 Neuansteckungen. Im Vergleich: 2014 waren es nur 403. "Wir stagnieren auf einem sehr hohen Niveau", fasst Wolfgang Wilhelm, Leiter der Aids-Hilfe Wien, die Situation zusammen und sieht großen Aufklärungsbedarf. "Der Leistungsdruck ist im Informationszeitalter in der Sexualität angekommen", konstatiert er. Als Sexualtherapeut weiß er: "Wenn man zehn Mal eine Erektion will und es nur acht Mal klappt, wird es als Problem gesehen." Insofern ist auch zu erklären, warum bereits junge Männer mit viagraähnlichen Substanzen experimentieren, "um jederzeit eine gute sexuelle Performance abzuliefern".

Sexpartys sind zwar in erster Linie ein Phänomen in der Schwulenszene, 48 Prozent der Neuansteckungen sind MSM ("Men having sex with men"), doch 35 Prozent sind heterosexuell, so die Statistik. Gefährdete Gruppen sind neben MSM junge Frauen, Sexarbeiterinnen, Transgenderpersonen und Menschen aus Kriegsgebieten, weil sie keinen Zugang zu Safer Sex hatten, so Wilhelm. Dass nur Männer gefährdet sind, will er nicht so sehen, vor allem deshalb, weil sich Frauen wesentlich leichter anstecken. "Ein einziges Mal Sex mit einem HIV-Infizierten kann ausreichen", sagt er.

Dosis-Wirkungsbeziehung

Und was sagen die Experten der Wiener Drogenberatung Checkit zu Chem-Sex? "Die Kombination von Sex und Drogenkonsum ist absolut nichts Neues", betont Bereichsleiter Steve Müller, und traditionellerweise würde die enthemmende Wirkung durch Alkohol bewerkstelligt. Der Unterschied sei die Wirkung. Während man sich mit Alkohol langsam auf ein Plateau zubewegt und dann eine Zeit high ist, funktioniert etwa GHB/GBL viel unmittelbarer.

"Die Wirkung ändert sich ab einer bestimmten Dosis abrupt." Deshalb passiert es, dass Konsumenten von einem Moment auf den anderen ein Black-out haben, bei Mischkonsum mit Alkohol besteht die Gefahr eines Atemstillstands. Auch ist die Gefahr einer Überdosierung bei GHB/GBL groß. Aufgrund der falschen Logik "mehr ist besser" werfen viele Tabletten nach oder ziehen noch eine Line rein. "Nein sagen fällt den meisten schwer", so Müller.

Zudem ist auch das herabgesetzte Schmerzempfinden bei mehrtägigen Sexpartys ein Problem. Die Teilnehmer spüren Verletzungen nicht, vor allem nicht im Analbereich. "Überall dort, wo Blut beim Sex ins Spiel kommt, steigt die HIV-Infektionsgefahr massiv an", betont HIV-Arzt Lang.

Sucht und Depression

Chem-Drugs würden, da sind sich Experten einig, oft einfach nur zum Spaß ausprobiert. "Sexualität ist der stärkste Trieb des Menschen, wer dieses Erlebnis künstlich putscht, ist schnell süchtig und kommt nur mehr sehr schwer von diesen Drogen weg", sagt Müller. Die Dosis für die erwünschte Wirkung wird schnell erhöht, und ziemlich bald entsteht ein Teufelskreis.

Chem-Drugs-Konsumenten passen übrigens nicht ins Klischee von "Drogenjunkies". Oft sind es gebildete Menschen zwischen 25 und 55 Jahren, die einfach mal etwas Neues ausprobieren oder ihr Sexleben bereichern wollen. Sie sind sich der Suchtgefahr nicht bewusst. Abgesehen vom Risiko für mögliche psychotische Schübe und Wahnvorstellungen beobachten Experten bei Chem-Drug-Süchtigen Angstzustände, schwere Depressionen und eine massive Einschränkung der Lebensqualität.

Safer Use

"Drogen werden häufig eingesetzt um Defizite zu kompensieren", so Müller, das sei das Generalthema und dann auch der Ansatzpunkt für eine Therapie. Von Chem-Sex je wieder runterzukommen, brauche mitunter viel Geduld. Deshalb agiert Checkit auch präventiv. "Wer sich der Risiken bewusst ist, kann sie auch reduzieren. Ähnlich wie Safer Sex gibt es bei Substanzkonsum einen Safer Use", so Müller.

Ein geiles Wochenende und dann lebenslang HIV-positiv? Nüchtern und bei Tageslicht will jeder diese Situation vermeiden. HIV-Arzt Lang sieht deshalb in einer Präexpositionsprophylaxe (PrEP) eine wichtige gesundheitliche Vorsorgemaßnahme, um HIV einzudämmen. Diese wird in Österreich allerdings nicht bezahlt. Zudem: Mit Geschlechtskrankheiten würde man sich auf solchen Partys ja trotzdem infizieren, dann, wenn die Chemie den Verstand außer Gefecht gesetzt hat. (Karin Pollack, 1.12.2017)