Ventocom-Chef Michael Krammer war Geschäftsführer mehrerer Mobilfunkunternehmen, die er nach dem Verkauf selbiger immer wieder verlassen musste. Auflagen der EU-Kommission brachten ihn schlussendlich dazu, seine eigene Firma zu gründen. Im Gespräch erzählt er außerdem, wie er von seiner militärischen Ausbildung in der Privatwirtschaft profitierte, und warum er eigentlich nie Präsident vom SK Rapid Wien werden wollte.

STANDARD: Viele kennen Sie aus der Mobilfunkbranche. Wenige wissen aber, dass Sie die Militärakademie absolvierten. Wie sehr hat Sie das für Ihr späteres Berufsleben geprägt?

Krammer: Ich war einige Jahre Berufsoffizier, habe mich dann aber für die Privatwirtschaft entschieden. In Sachen Selbstdisziplin ist die Ausbildung sehr hilfreich, aber vor allem lernt man zu führen. Das heißt einerseits Menschen zu führen und andererseits nach einem strukturierten Modell Entscheidungen zu treffen. Das fehlt in der Privatwirtschaft oft.

STANDARD: Von welcher Art Modell sprechen Sie da?

Krammer: Im militärischen Führungsverfahren gilt es stets, die Lage nach drei Elementen zu beurteilen: die eigene, die des Gegners und das Gelände. Dieses Vorgehen lässt sich in der Wirtschaft gut adaptieren. Die eigene Lage entspricht den Stärken und Schwächen meines Unternehmens, der Gegner ist mit den Konkurrenten gleichzusetzen, und das Gelände ist der Markt. Das Führungsverfahren sieht vor, immer zwei – besser drei – unterschiedliche Varianten zu planen.

STANDARD: Vermissen Sie diesen Ansatz in der Privatwirtschaft?

Krammer: Eine derartige Herangehensweise habe ich in der Privatwirtschaft selten gesehen. Dabei liegen die Vorteile auf der Hand. Wer sich bereits vorab mit den Vor- und Nachteilen verschiedener Alternativen beschäftigt, bekommt gedankliche Handlungsoptionen und kann flexibler agieren. In meinen Unternehmen habe ich stets diesen Ansatz verfolgt.

"Jeder trug seinen Teil dazu bei, dass sich Telering vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan entwickelt hatte."
Foto: urban

STANDARD: Wie sahen Ihre Anfänge in der Mobilfunkbranche aus?

Krammer: Im Jahr 2002 habe ich mit Telering ein de facto wertloses Unternehmen übernommen. Vodafone hatte es kurz davor um zehn Euro an die US-amerikanische Western Wireless verkauft. Wir hatten ein negatives Ergebnis (vor Abschreibung) in Höhe von 130 Mio. Euro und viele Schulden. Mit der "Weg mit dem Speck"-Kampagne haben wir unsere Marktposition als erster Diskonter der heimischen Branche gefunden. Daraus wurde eine Erfolgsgeschichte. Vier Jahre später waren wir schuldenfrei mit einem positiven Ergebnis in Höhe von 160 Mio. Euro. Die ganze Firma war euphorisch, bis wir im selben Jahr an T-Mobile verkauft wurden und das Management gehen musste.

STANDARD: Wie ging es Ihnen persönlich damit?

Krammer: Das war emotional sehr schwierig, sowohl für mich als auch alle rund 600 Mitarbeiter. Jeder trug seinen Teil dazu bei, dass sich Telering vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan entwickelt hatte. Es fühlte sich an wie "meine Firma". Das war halt leider nicht der Fall.

STANDARD: Wie ging es dann weiter?

Krammer: Ich wechselte zum deutschen Mobilfunkanbieter E-Plus, um dort mehr oder weniger das Gleiche wie bei Telering zu machen: restrukturieren. Es war keine einfache Zeit, wir mussten 320 Stellen abbauen und Teile des Unternehmens ausgliedern. Darüber hinaus kam meine jüngste Tochter zur Welt, und ich war Pendler. Deshalb ging ich nach der Restrukturierung wieder zurück nach Wien.

STANDARD: Haben Sie daraufhin beschlossen, eine eigene Firma zu gründen?

Krammer: Nein, es gab einen Zwischenschritt. Orange (damals France Télécom, Anm.) wollte den heimischen Anbieter One kaufen. Ich war dabei als Berater tätig und wurde anschließend Geschäftsführer von Orange Österreich. Nach fünf Jahren war es wieder so weit, Orange wurde an Hutchinson verkauft. Die Wettbewerbsbehörde und EU-Kommission hatten Bedenken bezüglich der Fusion und suchten nach Auflagen. Diese Auflagen waren die Geburtsstunde von Ventocom.

STANDARD: Auflagen als Grund, ein Unternehmen zu gründen?

Krammer: Es wurde angedacht, dass die großen Anbieter – bei genehmigter Fusion – ihr Netz virtuellen Anbietern zur Verfügung stellen sollten, und zwar zu geregelten Konditionen. Gemeinsam mit meinem Partner Christian Fuchs erstellte ich einen Business-Plan, der genau darauf basierte. Die Fusion wurde genehmigt, und im August 2013 war es dann so weit, Ventocom wurde offiziell gegründet.

STANDARD: Was unterscheidet Ventocom von anderen Mobilfunkern?

Krammer: Ventocom organisiert das Mobilfunkangebot diverser Anbieter. Wir mussten allerdings keine einzige dieser Marken selbst erfinden oder aufbauen. HoT gehört zu Hofer, Allianz SIM zur Allianz und Rapid Mobil zu Rapid. Ein klassischer Anbieter gibt rund 25 Prozent vom Umsatz für Marketing und Vertrieb aus. Unsere Partner haben einen Kundenstock, ein Marketingbudget und ein Vertriebsnetz. Somit entstehen Synergien, bei denen wir Kosten sparen, die Konkurrenten zu tragen haben. Hofer braucht keine einzige Filiale mehr, um Mobilfunk zu verkaufen.

STANDARD: Wie hart trifft einen Mobilfunkdiskonter die Abschaffung der Roamingkosten in der EU?

Krammer: Hier wurde eine massive Wettbewerbsverzerrung durch die EU-Kommission eingeführt. Ich bin absoluter Befürworter eines Binnenmarktes innerhalb der EU. Konsumenten sollen ihre Pakete überall zu den gleichen Preisen nutzen können. Das sollte aber im gleichen Maß für die Anbieter gelten. Denn die EU reguliert auch die Großhandelspreise, die sich Netzbetreiber untereinander verrechnen dürfen. Diese Preisgrenzen sind jedoch um ein Vielfaches höher. Ein Gigabyte Datenvolumen kostet mich im Inland rund einen Euro, im Roaming allerdings mehr als sieben Euro. Man muss kein Mathematiker sein, um zu verstehen, dass sich das nicht ausgehen kann. Es gibt also einen Binnenmarkt für Konsumenten, aber nicht für Anbieter.

STANDARD: Wie stark hat das Roaming zugenommen?

Krammer: Wir haben erwartet, dass sich das Volumen verfünffacht. Tatsächlich wird zwanzigmal so viel verbraucht. Wir erwarten, dass die Nutzung weiter ansteigt, vor allem im Datenbereich.

"Der gesamte Gewinn von Rapid Mobil geht direkt in die Nachwuchsarbeit."
Foto: APA/SEBASTIAN PUCHER

STANDARD: Sprechen wir über Ihre zweite Leidenschaft. Wie ist es Unternehmer und gleichzeitig Präsident vom SK Rapid Wien zu sein?

Krammer: Es ist herausfordernd und unglaublich emotional, aber vor allem ist es eine Ehre. Der Zeitpunkt der Wahl und jener der Gründung von Ventocom fielen knapp zusammen. In diesem Moment wollte ich alles, nur nicht Rapid-Präsident werden. Mir war bewusst, dass die Doppelbelastung schwer zu schaffen sein würde. Ich war damals Mitglied und Sprecher der Reformkommission von Rapid und wurde dann doch gebeten zu kandidieren. Schlussendlich sagt man zu Rapid aber selbstverständlich nicht Nein.

STANDARD: Wie sieht Ihre zeitliche Gestaltung unter der Woche aus?

Krammer: Bei meinem Start war Rapid noch ein Verein, und die gesamte operative Verantwortung lag beim Präsidium, welches zur Gänze ehrenamtlich arbeitet. Ich habe teilweise 20 bis 25 Stunden pro Woche für Rapid gearbeitet. Das wäre auf Dauer nicht möglich gewesen. Deshalb haben wir den Profibetrieb relativ schnell in eine GmbH ausgegliedert und zwei Geschäftsführer installiert – heute sind das Fredy Bickel für Sport und Christoph Peschek für wirtschaftliche Anliegen. Aktuell ist ein Tag pro Woche für Rapid reserviert.

STANDARD: Von wem der Handytarif Rapid Mobil ausgeht, liegt auf der Hand. Doch wie kam es dazu?

Krammer: Borussia Dortmund hat bereits in den frühen 2000er-Jahren einen Fantarif angeboten. Daran habe ich mich orientiert.

STANDARD: Wie sieht der Deal aus?

Krammer: Der gesamte Gewinn von Rapid Mobil geht in die Nachwuchsarbeit des Vereins. Die Tarife sind ähnlich ausgestaltet wie jene von Hot, für Rapid-Mitglieder gibt es zusätzliche Angebote. Wer mit Rapid Mobil telefoniert, kann davon ausgehen, den Nachwuchs monatlich mit einem Betrag von bis zu 2,50 Euro zu unterstützen. Außerdem ist es für einen Fan etwas Schönes, wenn Rapid als Anbieter auf dem Display steht.

STANDARD: Wie profitiert Ventocom von der Kooperation?

Krammer: Finanziell gar nicht. Es handelt sich um einen Non-Cash-Deal. Wir bekommen von Rapid ein Kartenkontingent zur Verfügung gestellt, und unsere Mitarbeiter können die Heimspiele besuchen. 1400 Fans nutzen den Tarif, wir haben uns aber aufgrund der bescheidenen sportlichen Leistung in der vorigen Saison mit der Bewerbung zurückgehalten.

STANDARD: Wegen des Sports?

Krammer: Wenn es bei Rapid sportlich nicht läuft, muss man sich mit Marketingaktivitäten zurückhalten. Es entsteht sehr schnell die Meinung "Die kümmern sich um alles außer den Sport". Das stimmt natürlich so nicht – was soll der wirtschaftliche Geschäftsführer denn machen? Er kann ja nicht mitkicken. Man braucht für die Community einfach ein bisschen Fingerspitzengefühl. Nichtsdestotrotz hat diese schwere Zeit die Rapid-Familie stärker gemacht.

STANDARD: Sie sprachen von Emotionen. Wie wirkt sich Rapids Abschneiden auf Sie persönlich aus?

Krammer: Auf meine Arbeit bei ventocom wirkt sich das gar nicht aus, es wäre äußerst unprofessionell, diese beiden Dinge nicht zu trennen. Bei mir als Person sieht das ganz anders aus. Wenn Rapid am Wochenende verliert, dauert es meistens bis Mittwoch, bis meine Welt wieder halbwegs in Ordnung ist. (INTERVIEW: Andreas Danzer, 3.12.2017)